Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Revision wegen fehlerhafter Beweiswürdigung
Leitsatz (NV)
Die Grundsätze über die Beweiswürdigung gehören dem materiellen Recht an, so daß wegen eines Verstoßes des FG gegen diese Grundsätze kein Verfahrensmangel vorliegen kann.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) gab der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), die keine Steuererklärungen abgegeben hatte, Umsatzsteuerbescheide für 1990 und 1991 mit geschätzten Besteuerungsgrundlagen unter dem Datum des 16. April 1993 mit einfachem Brief durch die Post bekannt. Gegen diese Steuerbescheide legte die Klägerin mit zwei am 7. Juni 1993 beim FA eingegangenen Schriftsätzen Einsprüche ein, die das FA durch Einspruchsentscheidung vom 2. September 1993 wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verwarf.
Mit der Klage machte die Klägerin geltend, die Einsprüche seien fristgemäß erhoben worden; denn der Brief mit den Steuerbescheiden sei von Frau L, ihrer vertretungsberechtigten Gesellschafterin, erst am 5. Mai 1993 in ihrem täglich geleerten Briefkasten vorgefunden worden. Dieses Eingangsdatum habe Frau L handschriftlich auf den Bescheiden vermerkt.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Zur Begründung führte es u. a. aus: Die Einsprüche seien verspätetet eingelegt worden, weil die Einspruchsfrist gemäß § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) am 19. April 1993 begonnen habe, nachdem die angefochtenen Bescheide am 16. April 1993 zur Post gegeben worden seien, und weil Zweifel an der Zugangsvermutung durch das Vorbringen der Klägerin nicht begründet würden. Die Klägerin habe lediglich behauptet, die Umsatzsteuerbescheide für 1990 und 1991 zu dem späteren Zeitpunkt erhalten zu haben. Da der Brief mit den Bescheiden richtig adressiert worden sei und die Klägerin den Briefumschlag noch vor der Weiterleitung der Bescheide an ihren Bevollmächtigten vernichtet habe, weil ferner die in der mündlichen Verhandlung vernommene Gesellschafterin (Frau L) nur habe bekunden können, daß der handschriftliche Eingangsvermerk von ihr stamme sowie daß sie keine konkrete Erinnerung an diesen Vorgang und an die Weiterleitung an den Bevollmächtigten habe, reiche das Vorbringen der Klägerin nicht aus, um Zweifel am Zugang der Bescheide bis zum dritten Tage nach Aufgabe zur Post zu begründen. Anlaß, daran zu zweifeln, daß das Datum auf den Bescheiden den Tag der Aufgabe zur Post richtig wiedergebe, bestünde bei der Vielzahl der im maschinellen Verfahren erstellten sowie nach den gleichen organisatorischen Grundsätzen gefertigten und versandten Steuerbescheiden nicht. Anzeichen für derartige Fehler seien auch sonst nicht vorhanden.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, das angefochtene Urteil könne darauf beruhen, daß das FG seiner Entscheidung verfahrensfehlerhaft (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt habe (§ 96 FGO). Sie führt unter Heranziehung von Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) aus, das FG hätte die festgestellten Umstände frei würdigen müssen und etwaige, im Urteil gar nicht aufgezeigte, gegen die Glaubwürdigkeit der klägerischen Behauptung des späteren Zugangs sprechende Umstände abwägen müssen.
Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
a) Soweit die Klägerin rügt, das FG habe das Vorbringen der geschäftsführenden Gesellschafterin in der mündlichen Verhandlung, den handschriftlichen Eingangsvermerk auf den Steuerbescheiden und das schriftsätzliche Klagevorbringen unzutreffend tatsächlich gewürdigt, macht sie keinen Verfahrensmangel i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern einen Verstoß gegen Grundsätze der Beweiswürdigung geltend, die dem materiellen Recht angehören (vgl. BFH-Beschluß vom 23. August 1985 IV B 52/85, BFH/NV 1986, 739). Derartige Mängel rechtfertigen, selbst wenn sie vorliegen sollten, nicht die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
b) Soweit die Klägerin ausgeführt hat, die Vorentscheidung berücksichtige nicht den gesamten Inhalt der Verhandlung und nicht das vollständige Ergebnis der Beweisaufnahme (§ 96 Abs. 1, Abs. 2 FGO), macht sie zwar Verfahrensmängel geltend (vgl. BFH-Beschluß vom 27. Februar 1986 IV B 6/85, BFHE 146, 204, BStBl II 1986, 492; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 1958 VII ZR 436/56, BGHZ 27, 249). Insoweit erfüllt die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde aber nicht die gesetzlichen Anforderungen.
Wird ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 FGO gerügt, so sind zu bezeichnen (vgl. § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO): welches substantiierte Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gewürdigt worden ist und welches Ergebnis daraus für die Entscheidung nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des FG hätte gewonnen werden können (vgl. zu den Anforderungen an die Bezeichnung des Verfahrensmangels: Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 120 Rz. 41 m. w. N.). Derartige Angaben sind in der Beschwerdebegründung nicht enthalten.
Im übrigen hat sich das FG mit allen von der Klägerin vorgebrachten Tatsachen befaßt. Es trifft auch nicht zu, daß das FG Umstände nicht aufgezeigt habe, die "gegen die Glaubwürdigkeit der klägerischen Behauptung des späteren Zugangs" sprechen. Vielmehr hat sich das FG eingehend und ausreichend mit den ihm zugänglichen Tatsachen auseinandergesetzt sowie nachvollziehbare und mögliche tatsächliche Schlußfolgerungen daraus gezogen. Es hat den Vortrag der Klägerin auch nicht als unglaubhaft bezeichnet, sondern ihn bloß als nicht genügend substantiiert angesehen, um Zweifel gegen den regelmäßigen Ablauf bei der Bekanntgabe von Steuerbescheiden hervorzurufen.
Fundstellen