Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs leitet das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ein zur Prüfung der Frage, ob § 27 EStG 1951 betreffend die Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 GG zu vereinbaren ist.
Normenkette
EStG § 27; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6
Tatbestand
I. Sachverhalt, Entscheidung des Finanzgerichts, Rechtsbeschwerdebegründung und Stellungnahme des Bundesministers der Finanzen
Die beschwerdeführenden Eheleute hatten in den Streitjahren 1951 und 1952 fünf Kinder unter 18 Jahren, von denen zwei aus der ersten Ehe der Ehefrau stammten. Der Vater dieser beiden Kinder, der am 20. Juni 1940 gefallen ist, wurde von der Ehefrau als befreiter Vorerbin und seinen beiden Kindern als Nacherben beerbt. Als die Ehefrau sich am 22. Mai 1942 wiederverheiratete, trat nach dem Testament die Nacherbfolge der beiden Kinder ein, und zwar war die Vermögensverwaltung der beschwerdeführenden Ehefrau (ß 1638 BGB) und ihre Nutznießung an dem Vermögen (ß 1648 BGB) nach § 1650, § 1651 BGB ausgeschlossen. Die beiden Kinder aus der ersten Ehe der Ehefrau hatten seitdem beträchtliche Einkünfte aus einer ererbten Kommanditbeteiligung, aus Vermietung und Verpachtung von Grundbesitz sowie aus Kapitalvermögen. Die Einkünfte der beiden Kinder betrugen 1951 etwa 150.000 DM und 1952 etwa 170.000 DM. Die beiden Kinder lebten nicht in häuslicher Gemeinschaft mit den Bf., sondern in Internaten. Sie besuchten lediglich in den Ferien ihre Mutter. Für diese Zeit erhielten die Bf. auf Weisung des Vormundschaftsgerichts tageweise berechnete geringfügige Beträge für den Unterhalt der Kinder. Soweit deren Einkünfte nicht zur Zahlung von Steuern, für den Lebensunterhalt und zur Sicherung ihres Vermögens verwendet wurden, blieben sie als Gutschriften auf den Konten der beiden Kinder bei der Gesellschaft. Das Finanzamt veranlagte die Bf. gemäß § 27 EStG 1951 mit ihren drei gemeinsamen und den beiden Kindern der Ehefrau aus erster Ehe zusammen.
Mit der Berufung wandten sich die Bf. unter anderem gegen die Zulässigkeit der Zusammenveranlagung mit den beiden Kindern der Ehefrau aus ihrer ersten Ehe.
Nachdem das Finanzgericht durch rechtskräftig gewordenes Zwischenurteil vom 20. Mai 1958 festgestellt hatte, daß die Bewirtschaftung des Gutes durch den Ehemann keine Liebhaberei sei, ging es in der angefochtenen Entscheidung davon aus, daß § 27 EStG 1951 rechtsgültig sei. Es sei zweifelhaft, ob es sich bei dieser Vorschrift um vor- oder um nachkonstitutionelles Recht handle. Diese Frage brauche jedoch nicht abschließend entschieden zu werden, da § 27 EStG nicht als grundgesetzwidrig anzusehen sei. Wenn auch § 27 EStG einen ähnlichen Inhalt habe wie der vom Bundesverfassungsgericht für rechtsungültig erklärte § 26 EStG 1951, so beständen doch wesentliche Unterschiede zwischen beiden Vorschriften; denn bei § 26 EStG sei durch die Eheschließung eine steuerliche Benachteiligung der Ehegatten gegenüber vorher eingetreten. In den Fällen des § 27 EStG sei dagegen in der Regel kein früherer steuergünstigerer Zustand gegeben. Nach § 27 seien die Kinder mit dem Haushaltungsvorstand zusammen zu veranlagen. Das sei derjenige Elternteil, dem das persönliche Sorgerecht über das Kind zustehe. Im Streitfall sei dies ihre Mutter. Da der Stiefvater jedoch nur negative Einkünfte habe und die Mutter mit dem Stiefvater zusammen veranlagt werde, komme es auch zu einer Zusammenveranlagung der Kinder mit dem beschwerdeführenden Ehemann, da dies für alle Beteiligten am günstigsten sei.
Die Bf. sind der Auffassung, daß § 27 EStG 1951 nachkonstitutionelles Recht ist und daß er mit den Artikeln 3 und 6 des Grundgesetzes (GG) nicht zu vereinbaren ist. Sie weisen insbesondere darauf hin, daß die Mutter der beiden aus ihrer ersten Ehe stammenden Kinder durch die Wiederverheiratung nicht nur nach § 1697 BGB alter Fassung die elterliche Gewalt über die Kinder verloren habe, sondern daß auf Grund der letztwilligen Verfügung ihres im Kriege gefallenen ersten Ehemannes auch das Verwaltungs- und Nutznießungsrecht an dem erheblichen Nachlaß ihres gefallenen Ehemannes weggefallen sei, den die Kinder von ihrem Vater geerbt hätten. Die Bf. hätten mithin weder hinsichtlich der Erziehung noch vermögensmäßig einen Einfluß auf die beiden Kinder. Die Angelegenheiten der von den Bf. unabhängigen Kinder seien von einem Vormund geregelt worden, der den Bf. sogar ein Tagegeld für den Unterhalt der Kinder gezahlt habe, wenn diese sich besuchsweise bei ihnen aufgehalten hätten. Eine Zusammenveranlagung der Bf. mit den beiden Kindern nach § 27 EStG bedeute, daß vier Personen zu einer Einheit zusammengefaßt würden, die sie außerhalb der Besteuerung weder wirtschaftlich noch in anderer Beziehung bildeten. Für die Zeit von der Währungsumstellung bis zum Jahre 1956 einschließlich ergebe sich dadurch für die Beteiligten eine Mehrbelastung an Einkommensteuer von etwa 120.000 DM.
Der Bundesminister der Finanzen, der dem Verfahren gemäß § 287 Ziff. 2 AO beigetreten ist, hält § 27 EStG 1951 für rechtsgültig. Die in ihm vorgeschriebene Zusammenveranlagung von Eltern und Kinder widerspreche nicht dem GG. Die hierüber gemachten Ausführungen sind die gleichen wie in der Sache VI 117/61 U vom heutigen Tage (BStBl 1962 III S. 369), in der der Senat das Verfahren gleichfalls ausgesetzt hat, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Rechtsgültigkeit des § 27 in der Fassung des EStG 1958 einzuholen. Auf diesen Beschluß, der ebenfalls veröffentlicht wird, nimmt der Senat Bezug. Im übrigen ist der Bundesminister der Finanzen der Auffassung, daß der im vorliegenden Fall angewandte § 27 EStG 1951 vorkonstitutionelles Recht sei, auf das Artikel 100 Abs. 1 GG nicht zur Anwendung komme.
Entscheidungsgründe
II. Entscheidungserheblichkeit der Rechtsgültigkeit des § 27 EStG 1951
Die aus der ersten Ehe der beschwerdeführenden Ehefrau stammenden Kinder sind am 13. Oktober 1937 und am 27. November 1938 geboren. Sie waren also in den Jahren 1951 und 1952 noch nicht 18 Jahre alt. Ihre Mutter und der mit ihr zusammen veranlagte Stiefvater hatten infolgedessen Anspruch auf Kinderermäßigung nach § 32 Abs. 4 Ziff. 2 in Verbindung mit Ziff. 4 Buchstabe a) bzw. b) EStG 1951. Sowohl die beschwerdeführenden Eheleute als auch die beiden Kinder waren unbeschränkt steuerpflichtig. Nach dem Wortlaut des § 27 Abs. 1 EStG 1951 sind somit alle Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung nach dieser Vorschrift erfüllt. Auf die Haushaltszugehörigkeit, die im vorliegenden Fall nicht anzunehmen wäre, kommt es dabei nicht an.
Falls § 27 EStG 1951 mit dem GG nicht zu vereinbaren und deshalb rechtsungültig ist, können die Bf. mit den beiden Kindern nicht zusammen veranlagt werden. Die Einkommensteuer der Bf. und der beiden Kinder muß dann anders festgesetzt werden. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist es daher erheblich, ob § 27 EStG 1951 wegen Verstoßes gegen das GG nichtig ist.
III. Zur Verfassungsmäßigkeit des § 27 EStG 1951
Der Senat hat in der oben bereits angeführten Sache VI 117/61 U, in der ebenfalls die Zulässigkeit der Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern streitig und entscheidungserheblich ist, zur Rechtsgültigkeit des § 27 in der Fassung des EStG 1958 Stellung genommen. In dem angeführten Beschluß hat er die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem GG verneint. Auf die in diesem Beschluß hierzu gemachten Ausführungen wird Bezug genommen. Sie gelten in gleicher Weise für die im vorliegenden Fall in Betracht kommende Fassung des § 27 EStG 1951. Da die Kinder bzw. Stiefkinder der Bf. erhebliches eigenes Einkommen haben, werden die dem GG widersprechenden Auswirkungen der Zusammenveranlagung besonders deutlich, zumal die Kinder mit den Bf. nicht in häuslicher Gemeinschaft leben und mit ihnen auch keine wirtschaftliche Einheit bilden. Da jedes der beiden Kinder in den Streitjahren eigene Einkünfte von jährlich etwa 75.000 bis 85.000 DM hatte, würde die Anwendung des § 27 EStG - abgesehen von den Auswirkungen der Zusammenveranlagung mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater - auch durch die Zusammenveranlagung der beiden Geschwister zu einer Erhöhung ihrer Einkommensteuer führen. Dafür, daß die Verschärfung der Einkommensbesteuerung weder mit Artikel 3 noch mit Artikel 6 GG zu vereinbaren ist, kann im Streitfall noch angeführt werden, daß es sich bei den Kindern um Waisen handelt, die ihren Vater durch den Krieg verloren haben und die deshalb in besonderem Masse Schutz und Betreuung durch den Staat erwarten können.
Daß der Senat nicht in der Lage ist, durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 27 EStG eine dem GG entsprechende Besteuerung herbeizuführen, wurde in dem bereits angeführten Beschluß in der Sache VI 117/61 U dargelegt. Der hier vorliegende Sachverhalt beweist, daß eine solche Auslegung in engem Zusammenhang mit der Gewährung der Kinderermäßigung stehen müßte und daß eine Regelung dieser Frage nicht durch ein Gericht, sondern nur durch eine vom Gesetzgeber nach steuerpolitischen Erwägungen getroffene Entscheidung erfolgen kann.
IV. § 27 EStG 1951 als nachkonstitutionelles Recht 1. Historische Entwicklung der Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern.
Bereits das EStG vom 10. August 1925 kannte eine Zusammenveranlagung von Eltern und Kindern. Nach § 23 dieses Gesetzes war dem Einkommen eines unbeschränkt steuerpflichtigen Haushaltungsvorstandes das Einkommen seiner minderjährigen Kinder zuzurechnen, wenn die Kinder unbeschränkt steuerpflichtig waren und zu seiner Haushaltung gehörten. Kinder in diesem Sinne waren neben leiblichen Abkömmlingen auch seine Stief-, Schwieger-, Adoptiv- und Pflegekinder sowie deren Abkömmlinge. Ausgenommen von der Zusammenveranlagung waren Einkünfte der Kinder aus sonstiger, selbständiger Berufstätigkeit und aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne von § 6 Abs. 1 Ziff. 3 und 4 EStG 1925.
Das EStG vom 16. Oktober 1934 behielt die Zusammenveranlagung des Haushaltsvorstandes mit seinen Kindern bei. Nach § 27 EStG 1934 waren der Haushaltsvorstand und alle Kinder zusammen zu veranlagen, für die er nach § 32 Abs. 2 Ziff. 2 Kinderermäßigung erhielt, solange er und die Kinder unbeschränkt steuerpflichtig waren. Da Kinderermäßigung nicht nur für die zum Haushalt gehörenden minderjährigen Kinder gewährt wurde, sondern auch für volljährige Kinder unter 25 Jahren, die auf Kosten des Haushaltungsvorstandes für einen Beruf ausgebildet wurden, bedeutete die Regelung des § 27 EStG 1934 gegenüber vorher eine Erweiterung des Kreises der zusammenveranlagten Personen. Als Kinder in diesem Sinne wurden neben den Abkömmlingen auch Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder sowie deren Abkömmlinge angesehen. Von der Zusammenveranlagung ausgenommen waren nur die Einkünfte der Kinder aus nichtselbständiger Arbeit, die diese aus einem dem Haushaltsvorstand fremden Betrieb bezogen.
Die Neufassung des EStG vom 6. Februar 1938 änderte zwar § 27, ließ die Grundlagen der Vorschrift jedoch unberührt.
Das EStG in der Fassung vom 27. Februar 1939 (EStG 1939) beschränkte die Zusammenveranlagung nach § 27 auf minderjährige Kinder und minderjährige Angehörige im Sinne von § 10 Ziff. 3 bis 6 des Steueranpassungsgesetzes. Voraussetzung war, daß die Kinder oder die Angehörigen zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörten und dieser für sie Kinderermäßigung nach § 32 Abs. 5 Ziff. 2 EStG 1939 erhielt. Ebenso wie vorher schieden Arbeitseinkünfte der Kinder aus einem dem Haushaltsvorstand fremden Betrieb bei der Zusammenveranlagung aus.
Die Steuervereinfachungs-Verordnung (StVVO) vom 14. September 1944 (RGBl 1944 I S. 202, RStBl 1944 S. 577) verzichtete auf die Haushaltszugehörigkeit als Voraussetzung der Zusammenveranlagung und machte sie neben der unbeschränkten Steuerpflicht aller Beteiligten nur von der Gewährung der Kinderermäßigung nach § 32 Abs. 5 Ziff. 2 EStG abhängig (ß 6 StVVO). Kinderermäßigung kam nach den gleichfalls geänderten Voraussetzungen hierfür nur noch für minderjährige Kinder in Betracht, die mindestens vier Monate im Veranlagungszeitraum das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten und während dieser Zeit auf Kosten des Steuerpflichtigen unterhalten und für einen Beruf ausgebildet worden waren (ß 5 StVVO). Da demnach auch die Gewährung der Kinderermäßigung nicht von der Haushaltszugehörigkeit abhing, waren während der Geltungsdauer der StVVO Kinder unter 18 Jahren ohne Rücksicht auf die Haushaltszugehörigkeit immer mit ihren Eltern zusammen zu veranlagen.
Das EStG 1947, das von der Finanzleitstelle für die britische Besatzungszone und von den übrigen Ländern des Bundesgebiets in gleichlautenden Fassungen veröffentlicht wurde, kam bei den Einkommensteuerveranlagungen für 1947 und für das erste Halbjahr 1948 zur Anwendung. Das EStG 1947 entsprach im wesentlichen dem durch die StVVO geänderten EStG 1939. § 27 EStG 1947 enthielt jedoch insofern gegenüber vorher eine wesentliche änderung, als die Zusammenveranlagung der Eltern mit ihren Kindern nur erfolgte, wenn die Kinder zum Haushalt gehörten und den Eltern Kinderermäßigung für sie zustand. Die Voraussetzungen für die Gewährung der Kinderermäßigung waren in § 32 Abs. 4 Ziff. 2 EStG 1947 dahin geändert, daß diese einem Steuerpflichtigen nur zustand für Kinder unter 16 Jahren, die entweder zu seinem Haushalt gehörten oder für die er die Kosten des Unterhalts und der Erziehung mindestens vier Monate getragen hatte. Die Begrenzung der Kinderermäßigung auf Kinder unter 16 Jahren ging offenbar zurück auf Artikel II Ziff. 1 Buchstabe c des Kontrollratgesetzes Nr. 12.
Das Militärregierungsgesetz Nr. 64 vom 20. Juni 1948 (Beilage Nr. 4 zum Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes - WiGBl - ) änderte § 27 EStG nicht. Da die Kinderermäßigung nunmehr aber den Steuerpflichtigen zustand für alle Kinder, die im Veranlagungszeitraum vier Monate noch nicht 18 Jahre alt waren, wurden im zweiten Halbjahr 1948 Eltern mit ihren noch nicht 18 Jahre alten Kindern nur dann zusammen veranlagt, wenn diese zu ihrem Haushalt gehörten.
Die ab 1949 geltende Fassung des EStG vom 10. August 1949 (EStG 1949) - WiGBl 1949 S. 266 - glich § 27 hinsichtlich der Haushaltszugehörigkeit an die Regelung der Kinderermäßigung in § 32 EStG an. Eine Zusammenveranlagung mit Kindern war danach vorzunehmen, wenn der Haushaltsvorstand für sie Kinderermäßigung erhielt und alle Beteiligten unbeschränkt steuerpflichtig waren. Die Voraussetzungen der Kinderermäßigung wurden nicht geändert. Nach dem EStG 1949 wurden daher Eltern mit ihren noch nicht 18 Jahre alten Kindern, für die sie Kinderermäßigung erhielten, auch dann zusammen veranlagt, wenn die Kinder nicht zu ihrem Haushalt gehörten.
Die für die Entscheidung der vorliegenden Rb. in Betracht kommende Fassung des EStG vom 17. Januar 1952 (BGBl 1952 I S. 33, BStBl 1952 I S. 47 - EStG 1951 - ) weist bei den hier in Betracht kommenden Bestimmungen der §§ 27 und 32 gegenüber den entsprechenden Vorschriften im EStG 1949 keine änderungen auf.
Zulässigkeit der Aussetzung des Verfahrens gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG.
Der Senat kann gesetzliche Bestimmungen, die nach seiner Auffassung mit dem GG nicht zu vereinbaren sind, als rechtsungültig bei der Urteilsfindung unberücksichtigt lassen, wenn sie als vorkonstitutionelles Recht nicht der Normenkontrolle des Bundesverfassungsgerichts nach Artikel 100 Abs. 1 GG unterliegen. Das sind Gesetze, die vor dem Inkrafttreten des GG, also vor dem 24. Mai 1949 verkündet worden sind (Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1953 1 BvL 21/51, veröffentlicht in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 2 S. 124). Zu diesen Vorschriften gehört § 27 EStG 1951 nicht.
Wenn die Rechtsgültigkeit von gesetzlichen Bestimmungen im Wege der Normenkontrolle nach Artikel 100 Abs. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht zu prüfen ist, entfällt die Möglichkeit einer Entscheidung dieser Frage durch die zur Sachentscheidung zuständigen Gerichte.
Ob die zwischen dem Inkrafttreten des GG am 24. Mai 1949 und dem ersten Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestags am 7. September 1949 erlassenen gesetzlichen Bestimmungen der Normenkontrolle nach Artikel 100 Abs. 1 GG unterliegen, ergibt sich weder aus dem Wortlaut dieser Vorschrift noch aus Artikel 123 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat die Zulässigkeit der Normenkontrolle für diese Vorschriften jedoch bejaht, weil es sich auch insoweit um die Vereinbarkeit von Rechtsnormen mit dem zur Zeit der Normensetzung bereits geltenden GG handelt (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 1955 1 BvL 13/52, 1 BvL 21/52, BVerfGE Bd. 4 S. 331, 339). Dieser Sachverhalt liegt hinsichtlich des § 27 EStG 1949 vor.
Die Fassung des § 27 im EStG 1951 stimmt mit der im EStG 1949 überein. § 27 EStG 1951 ist also identisch mit dem am 10. August 1949 von dem Direktor der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes bekanntgemachten § 27 EStG 1949 (WiGBl 1949 S. 266, 271). Wie oben dargelegt wurde, unterscheidet sich diese Vorschrift hinsichtlich der Haushaltszugehörigkeit der Kinder von dem vor dem Inkrafttreten des GG geltenden § 27 EStG 1947 in der Fassung des Militärregierungsgesetzes Nr. 64. Da § 27 EStG 1949 vor dem Zusammentritt des ersten Deutschen Bundestages am 7. September 1949 als Rechtsnorm in der durch die damaligen Verhältnisse gebotenen Weise verkündet wurde, ist der Senat der Auffassung, daß bei der von ihm angenommenen Unvereinbarkeit des § 27 EStG 1949/1951 mit dem GG nur das Bundesverfassungsgericht nach seinem Beschluß 1 BvL 13/52, 1 BvL 21/52 (a. a. O.) berechtigt ist, die Rechtsungültigkeit des § 27 EStG 1949/1951 festzustellen. Bei dieser Rechtslage ist nach Artikel 100 Abs. 1 GG die Aussetzung der bei dem Bundesfinanzhof anhängigen Rb. und die Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht erforderlich, damit dieses über die Rechtsgültigkeit des § 27 EStG entscheidet.
Fundstellen
Haufe-Index 410477 |
BStBl III 1962, 372 |
BFHE 1963, 292 |
BFHE 75, 292 |