Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Verlängerung der Frist für einen Antrag auf Vorsteuervergütung ist kein Grundlagenbescheid
Leitsatz (NV)
Die Entscheidung über die Verlängerung der Frist für den Antrag auf Vorsteuervergütung ist kein Grundlagenbescheid. Deshalb könnte der Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf Vorsteuervergütung nach einer positiven Entscheidung über die Fristverlängerung auch nicht nach den Vorschriften über die Änderung von Folgebescheiden geändert werden.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; AO 1977 § 109 Abs. 1 S. 2, § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; UStDV 1980 § 61
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine in der Schweiz (Drittland) ansässige Gesellschaft ohne Umsätze im Inland, beantragte am 21. Dezember 1994 Vergütung von Vorsteuerbeträgen für die Zeiträume Januar bis Dezember 1991, 1992 und 1993. Am selben Tag beantragte sie, dafür die bereits abgelaufenen Abgabefristen rückwirkend nach § 109 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) zu verlängern, weil ihr das Vorsteuervergütungsverfahren bisher unbekannt gewesen sei.
Die Anträge auf rückwirkende Fristverlängerung lehnte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Bundesamt für Finanzen ―BfF―) mit Bescheiden vom 6. Januar 1995 ab, weil die dargelegte Unkenntnis keine rückwirkende Fristverlängerung rechtfertige. Am selben Tag lehnte das BfF die Anträge auf Vorsteuervergütung ab, weil die Antragsfristen nicht eingehalten worden seien. Gegen die Bescheide über die Ablehnung der Vorsteuervergütung für 1991 bis 1993 vom 6. Januar 1995 legte die Klägerin keine Einsprüche ein.
Sie erhob aber gegen die Bescheide über die Ablehnung der Fristverlängerung Beschwerde. Das BfF verwarf die Beschwerden gemäß § 18 Abs. 3 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung i.V.m. § 347 AO 1977 i.d.F. des Grenzpendlergesetzes vom 24. Juni 1994 (BGBl I 1994, 1395) durch Einspruchsentscheidung vom 28. März 1996 als unzulässig.
Die dagegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab. Das FG legte dar, dass die Ablehnung des Antrags auf Fristverlängerung zwar als Verwaltungsakt anfechtbar sei. Die Ablehnung sei aber rechtmäßig, weil die in § 61 Abs. 1 Satz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) 1980 enthaltene Regelung für den Antrag auf Vorsteuervergütung eine Frist von sechs Monaten bestimme, die nicht verlängerbar sei. Dies ergebe die richtlinienkonforme an Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Achten Richtlinie des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 79/1072/EWG ―Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige― (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― 1979 Nr. L 331, 11) ―Richtlinie 79/1072/EWG― orientierte Auslegung der Vorschrift. Auf die Antragsfrist in § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 sei § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 nicht anwendbar, weil es sich um eine Ausschlussfrist handele, die wegen ihrer Eigenart und nach dem Zweck der Richtlinie 79/1072/EWG nicht verlängerbar sei.
Das BfF sei aber schon deswegen im Streitfall nicht zur Verlängerung der Antragsfrist verpflichtet, weil es den Vergütungsantrag bestandskräftig abgelehnt habe und dadurch ein Bedürfnis für eine Entscheidung über die Fristverlängerung entfallen sei.
Mit der Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Sie hält es für eine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung, ob es sich bei § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 um eine nicht verlängerbare gesetzliche Ausschlussfrist handele. Dies habe der Bundesfinanzhof (BFH) bisher noch nicht entschieden und die Frage sei in der Rechtsprechung der FG, in Stellungnahmen der Verwaltung (u.a. Abschn. 243 Abs. 5 der Umsatzsteuer-Richtlinien ―UStR― 1992) und der Literatur nicht eindeutig beantwortet worden.
Außerdem sei die Revision wegen Verletzung von Verfahrensrecht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen, weil das FG gegen § 74 FGO verstoßen habe, dadurch dass es das Verfahren nicht ausgesetzt habe, bis eine Entscheidung des BFH in einem von vier Musterverfahren vorgelegen habe.
Die Klägerin beantragt die Zulassung der Revision.
Das BfF ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Klägerin hat keine durchgreifenden Zulassungsgründe dargetan.
1. Anwendbar ist (insoweit) die Finanzgerichtsordnung i.d.F. vor dem In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757), weil die angefochtene Entscheidung des FG vor dem 1. Januar 2001 zugestellt worden ist (Art. 4 2.FGOÄndG).
2. Die Klägerin hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), ob es sich bei § 61 Abs. 1 Satz 2 UStDV 1980 um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist handele.
a) Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F.) verlangt § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. u.a., dass der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung darlegt, weshalb es in dem angestrebten Revisionsverfahren auf die Klärung der hervorgehobenen Rechtsfrage ankommt (Klärungsbedürftigkeit) und dass dem Revisionsgericht eine Klärung möglich ist (Klärbarkeit).
b) Im Streitfall ist die dargelegte Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärbar.
Nach den nicht mit Verfahrensrügen in Frage gestellten Feststellungen des FG hat das BfF die Vergütungsanträge der Klägerin für 1991 bis 1993 bestandskräftig abgelehnt. Damit steht unanfechtbar fest, dass die Klägerin keine Vergütung von Vorsteuern für diese Zeiträume beanspruchen kann; denn wegen der durch Unanfechtbarkeit eingetretenen materiellen Bestandskraft gilt der Inhalt der Bescheide als richtig. Die Richtigkeit der unanfechtbaren Entscheidungen wird nicht mehr geprüft. Es ist deshalb unerheblich, ob die Frist für Anträge auf Vorsteuervergütung für 1991 bis 1993 noch eingehalten und ob eine Vorsteuervergütung trotz Ablaufs der Festsetzungsfrist noch festgesetzt werden kann.
Die von der Klägerin im Revisionsverfahren erstrebte (positive) Entscheidung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 über die Verlängerung der Antragsfristen kann die Wirkung der Bestandskraft der Entscheidung über die Ablehnung der Vorsteuervergütung nicht durchbrechen. Das wäre nur der Fall, wenn die Entscheidung über die rückwirkende Fristverlängerung für die Abgabe des Antrags auf Vorsteuervergütung als Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977) wirken würde. Dann könnte die Entscheidung über die Vorsteuervergütung, auf die die für Steuerfestsetzungen geltenden Vorschriften sinngemäß anwendbar sind (§ 155 Abs. 4 AO 1977), nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 änderbar sein.
Es handelt sich bei der Entscheidung über die Verlängerung der Antragsfrist nach § 109 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 aber nicht um einen Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO 1977). Die Entscheidung ist nicht für die Festsetzung der Vorsteuervergütung bindend, sondern beeinflusst, wenn sie anwendbar sein sollte, nur die Frist für die Abgabe des Antrags.
3. Soweit die Klägerin die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels begehrt, erfüllt die Beschwerde nicht die Zulässigkeitsvoraussetzungen. Die Klägerin bezeichnet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.) nicht, aus welchen Gründen die gerügte Unterlassung der Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO) wegen der Anhängigkeit von sog. Musterverfahren für die Entscheidung im Streitfall bedeutsam sein könnte.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO n.F. ab.
Fundstellen