Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Berufsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Für die Entscheidung der Frage, ob ein Kühlschrank in einem kleinen Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft nach § 811 Ziff. 5 ZPO in Verbindung mit § 350 AO der Pfändung nicht unterworfen ist, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.
Normenkette
AO § 350; ZPO § 811 Ziff. 5
Tatbestand
Das Finanzamt hat wegen Steuerschulden der Beschwerdeführerin (Bfin.) durch Pfändungs- und Anschlußpfändungsverfügungen vom 3. Februar 1954, 25. Juni 1954, 11. August 1954, 30. September 1954, 16. Dezember 1954, 19. April 1955 und vom 21. November 1955 einen Kühlschrank (Fabrikat Bosch) im damals angenommenen Schätzungswerte von 1.000 DM gepfändet. Die letzte in diesem Rechtsmittelverfahren zur Beurteilung stehende Anschlußpfändung vom 21. November 1955 wurde wegen Rückständen an Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer nebst Säumniszuschlägen und Kosten im Gesamtbetrag von 6.000,25 DM vorgenommen.
Mit Schreiben vom 7. Januar 1956 drohte das Finanzamt der Bfin. die Abholung des Pfandgegenstandes zwecks Versteigerung an; dagegen erhob die Bfin., die sich schon im Laufe des Pfändungsverfahrens auf die Unentbehrlichkeit des Kühlschrankes für ihr Einzelwarengeschäft berufen hatte, mit am 10. Januar 1956 beim Finanzamt eingegangenem Schreiben Beschwerde.
Das Finanzgericht wies die Beschwerde durch den angefochtenen Beschluß vom 17. April 1956 als unbegründet zurück.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.), welche die Bfin. trotz wiederholter Aufforderung nicht ausdrücklich begründet hat, kann im Ergebnis keinen Erfolg haben.
Nach der gemäß § 350 der Reichsabgabenordnung (AO) auch für das Zwangsverfahren nach der AO geltenden Vorschrift des § 811 Ziff. 5 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sind der Pfändung nicht unterworfen
bei Personen, die aus ihrer körperlichen oder geistigen Arbeit oder sonstigen persönlichen Leistungen ihren Erwerb ziehen, die zur Fortsetzung dieser Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände.
Nach der vor dem Gesetz zur änderung von Vorschriften über die Zwangsvollstreckung vom 24. Oktober 1934 (Reichsgesetzblatt - RGBl - I S. 1070) maßgebenden Fassung der Vorschrift waren nur die zur "persönlichen Fortsetzung der Erwerbstätigkeit unentbehrlichen Gegenstände" unpfändbar. Die änderungen in der Gesetzesfassung sollten einer durch die früheren Worte "unentbehrlichen" und "zur persönlichen Fortsetzung" bedingten unerwünscht engen Auslegung der Vorschrift entgegentreten (vgl. Stein-Jonas-Schönke-Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 17./18. Auflage 1956, Zweiter Band, Bem. IV, 5 zu § 811).
Im Laufe der Zeit hat sich gegenüber einer früheren engeren Auslegung in der Rechtsprechung und im Schrifttum die Auffassung mehr und mehr durchgesetzt, daß unter die genannte Vorschrift auch kleine Gewerbetreibende fallen können, wenn die persönliche Arbeitsleistung das wirtschaftlich Wesentliche im Betrieb ist. Zutreffend hat daher das Finanzgericht sich auf den Standpunkt gestellt, daß auch die Bfin., die außer bei eigener Erkrankung persönlich allein im Laden bedient, als kleinere Lebensmitteleinzelhändlerin mit Jahresumsätzen von rund 40.000 DM (1955) bzw. 57.000 DM (1954) zu dem Personenkreis gehört, der aus "sonstigen persönlichen Leistungen" seinen Erwerb zieht.
Die Frage, ob ein Kühlschrank in einem Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft als ein Gegenstand anzusehen ist, der zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erforderlich erscheint, ist in der Rechtsprechung und im Schrifttum umstritten.
Der Senat ist der Auffassung, daß es von den Umständen des Einzelfalles abhängt, ob ein Kühlschrank bei einer Lebensmitteleinzelhändlerin der Pfändung unterworfen ist oder nicht. Im allgemeinen wird unter Berücksichtigung der heutigen technischen Entwicklung und der geltenden hygienischen Auffassungen ein solcher Kühlschrank jedenfalls dann als unpfändbar anzusehen sein, wenn in nicht nur unerheblichem Umfange Lebensmittel verkauft werden, für deren Kühlhaltung besonders in der heißen Jahreszeit der Geschäftsinhaber auf einen Kühlschrank angewiesen ist und wenn außerdem keine andere zumutbare Kühlhaltung möglich ist.
Unter den besonderen Umständen des Streitfalles ist jedoch im Ergebnis der angefochtene Beschluß des Finanzgerichts, das die Unpfändbarkeit verneint hat, nicht zu beanstanden. Nicht mit Unrecht hat das Finanzgericht, wie die Begründung erkennen läßt, bei der Entscheidung berücksichtigt, daß sich der Laden im Keller eines mehrstöckigen massiven Steinhauses in einer Großstadt in der Nähe der Nordsee befindet, das mit seiner Frontseite von der Mittags- und Nachmittagssonne nicht erfaßt wird (vgl. dazu auch Beschluß des erkennenden Senats II 296/55 U vom 8. Februar 1956, Slg. Bd. 62 S. 294, Bundessteuerblatt - BStBl - 1956 III S. 108).
Soweit dagegen die Vorentscheidung maßgebend auf den Wert des Kühlschrankes, dessen Anschaffungspreis im Jahre 1953 1.450 DM betrug, abstellen will, könnte ihr, jedenfalls allgemein gesehen, nicht gefolgt werden. Wie auch das Finanzgericht nicht verkennt, handelt es sich nach den Gesamtumständen bei dem Geschäft der Bfin. um ein Unternehmen, bei dem die persönliche Arbeitsleistung im Vordergrund steht und keineswegs eine sogenannte "kapitalistische" Arbeitsweise überwiegt (vgl. dazu Schönke-Baur, Zwangsvollstreckungsrecht, 1956 S. 78, § 21, II, 1b). Wenn jedoch diese Voraussetzung gegeben ist, so ist für die Beurteilung der Pfändbarkeit der Wert der für die Ausübung der Tätigkeit benutzten Gegenstände grundsätzlich nicht ausschlaggebend (vgl. ebenso Stein-Jonas-Schönke-Pohle, a. a. O., Bem. II, 2 und IV, 5, b, Seite 13 vorletzter Absatz, ferner Baumbach-Lauterbach, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 22. Auflage 1954, Anm. 8 C zu § 811 ZPO). Dabei sei nebenbei bemerkt, daß der zuständige Vollziehungsbeamte, nachdem der Schätzungswert des Kühlschrankes bei der letzten für dieses Rechtsmittelverfahren zur Beurteilung stehenden Anschlußpfändung vom 21. November 1955 noch auf 1.000 DM angenommen war, bei einer erneuten, in diesem Rechtsmittelverfahren nicht angefochtenen Anschlußpfändung vom 18. Mai 1956, den Schätzungs- bzw. Versteigerungswert auf nur mehr 400 DM bzw. 600 DM festgestellt hat. Nach den gegebenen Verhältnissen kann nach Ansicht des Senats nicht davon gesprochen werden, daß der Arbeitsleistung der Bfin. gegenüber dem Wert des Kühlschrankes nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt.
Das Finanzgericht hat aber, insbesondere auch auf Grund einer am 27. März 1956 vorgenommenen Ortsbesichtigung festgestellt, daß es sich bei dem Unternehmen der Bfin. um ein Geschäft handelt, in dem ganz überwiegend Brot, Rundstücke, Backwaren, Nährmittel, Süßwaren, Essig, Streichhölzer und ähnliche Gegenstände verkauft werden. Andererseits hat nach der tatsächlichen Feststellung des Finanzgerichts die Bfin. nur in einem geringfügigen Umfang mit Waren gehandelt, für deren Kühlhaltung sie auf den Kühlschrank angewiesen sein könnte (zum Beispiel mit Fett und Wurst). Diese vom Finanzgericht in überzeugender Weise getroffene tatsächliche Feststellung ist auch von der Bfin., die, wie schon erwähnt, ihre Rb. nicht ausdrücklich begründet hat, nicht angegriffen worden. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß die Bfin. selbst in einem Schreiben an das Finanzamt vom 23. Oktober 1955 mitteilt, sie könne - nach einer Erkrankung - ihr "Brot-Backwaren-Geschäft" wieder (selbst) führen. Die Bfin. hat allerdings bei der Ortsbesichtigung am 27. März 1956 geltend gemacht, sie wolle ab Mai 1956 mit dem Verkauf von Frischmilch in Tüten beginnen. Dieser Einwand der Bfin. hat für die Beurteilung der Pfändbarkeit keine Bedeutung, da es grundsätzlich für die Frage, ob ein Gegenstand der Pfändung unterworfen ist oder nicht, nach der überwiegenden Meinung und der Rechtsprechung des Senats auf den Zeitpunkt der Pfändung und nicht auf einen späteren Zeitpunkt ankommt (vgl. unter anderem Stein-Jonas-Schönke-Pohle, a. a. O., Bem. II, 4 zu § 811 ZPO, Schönke-Baur, a. a. O. S. 78, § 21, II, 2 mit Zitaten aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung, ferner insoweit Beschluß des erkennenden Senats II 12/53 U vom 3. September 1953, Slg. Bd. 58, S. 21, BStBl 1953 III S. 299). Die Bfin. kann daher die Unpfändbarkeit nicht aus einer beabsichtigten Erweiterung ihres Betriebes herleiten. übrigens ist es in diesem Zusammenhang unbedenklich, daß das Finanzgericht seiner Beurteilung, rückschließend auf die Verhältnisse zur Zeit der vorangegangenen Pfändungen, auch die tatsächlichen Feststellungen bei der Ortsbesichtigung vom 27. März 1956 mit zugrunde gelegt hat, zumal die letzte in diesem Streitfall zur Entscheidung stehende Anschlußpfändung nur einige Monate vorher, nämlich am 21. November 1955, vorgenommen war (vgl. auch dazu § 811 c ZPO).
Danach ist das Finanzgericht ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß im Hinblick auf das weitgehende übergewicht des Verkaufs solcher Waren, für deren Aufbewahrung ein Kühlschrank nicht notwendig ist, der Kühlschrank für die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit in dem bisherigen Umfange nach dem Gesamtbild des Unternehmens nicht erforderlich erscheint.
Mit Recht hat das Finanzgericht auch die Auffassung vertreten, daß wegen der fortlaufenden sich über Jahre erstreckenden Säumigkeit der Bfin. bei der Bezahlung ihrer Steuern, insbesondere auch von Umsatzsteuer seit 1950, in der Durchführung der Zwangsvollstreckung keine Ermessensverletzung, insbesondere auch keine Unbilligkeit zu erblicken ist (vgl. dazu § 57 der Beitreibungsordnung und auch insoweit den angeführten Beschluß des erkennenden Senats II 12/53 U). In diesem Zusammenhang hat das Finanzgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß die Bfin. unbeschadet ihrer zurückliegenden erheblichen Steuerrückstände im Jahre 1953 den Kühlschrank auf Abzahlung erwarb und "praktisch also die Finanzverwaltung als Kreditinstitut in Anspruch nahm".
Nach alledem war die Rb. mit der Kostenfolge aus § 307 AO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 408820 |
BStBl III 1957, 365 |
BFHE 1958, 351 |
BFHE 65, 351 |