Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersetzung der Entscheidungsgründe durch Bezugnahme auf anderes Urteil
Leitsatz (NV)
Die Gründe eines finanzgerichtlichen Urteils können durch Bezugnahme auf ein anderes Urteil ersetzt werden, das zwischen denselben Beteiligten ergangen ist, die gleichen Sachverhalte und Rechtsfragen lediglich in einem anderen Veranlagungszeitraum betrifft und den Beteiligten am selben Tage zugestellt worden ist.
Normenkette
FGO §§ 105, 116 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und die Revisionsklägerin, seine Ehefrau, sind im Streitjahr 1994 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt worden. Gegen den Einkommensteuerbescheid vom 15. Mai 1996 hat der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage erhoben.
Streitig waren sieben verschiedene Punkte, die der Kläger in einem Schreiben an das Finanzgericht (FG) vom 16. Dezember 1996 einzeln aufgeführt hat. Der Kläger begehrte die Steuerfreiheit von Zahlungen für einen Bereitschaftsdienst, die Berücksichtigung von Zahlungen an eine Pensionskasse sowie einer Jahresprämie für eine Dienstreise- Kaskoversicherung als Werbungskosten und die Berücksichtigung von Pflichtbeiträgen an die Bundesanstalt für Arbeit, die er für seine Ehefrau wegen Pflegetätigkeit seines Sohnes geleistet hat. Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung beanspruchte er Absetzung für Abnutzung (AfA) für eine komplette Einbauküche. Für die Errichtung eines Fahrrad- und Geräteschuppens begehrte er die Steuerbegünstigung nach §10 e des Einkommensteuergesetzes (EStG) und die Steuerermäßigung nach §34 f. EStG. Schließlich machte er Fahrtkosten seines behinderten Sohnes als außergewöhnliche Belastung geltend.
Vor demselben Senat des FG waren neben diesem Verfahren über die Einkommensteuer 1994 auch Verfahren über die Einkommensteuer 1992, 1993 und 1995 anhängig. Bei den sieben strittigen Punkten handelte es sich um Sachverhalte, deren rechtliche Beurteilung auch in den anderen Verfahren streitig war.
Das FG verband die Verfahren wegen Einkommensteuer 1992 bis 1995 zur gemeinsamen Verhandlung und wies die Klagen wegen Einkommensteuer 1992, 1993 und 1994 durch Urteile vom 30. Januar 1997 ab. Die Urteile wurden dem Kläger zusammen am 5. März 1997 zugestellt.
In dem mit der Revision angegriffenen Urteil heißt es im Tatbestand lediglich, daß sieben verschiedene Punkte streitig seien, die der Kläger in seinem Schriftsatz vom 16. Dezember 1996 im einzelnen aufgeführt habe. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes werde auf die Gerichts- und Steuerakten, auch des die Einkommensteuer 1992 betreffenden Verfahrens Bezug genommen. Zur Begründung heißt es in dem Urteil, daß sämtliche in dem Schreiben des Klägers vom 16. Dezember 1996 aufgeführten Positionen ebenfalls im Klageverfahren für das Streitjahr 1992 streitig seien. Zugunsten des Klägers könne allenfalls ein Betrag von ... DM als AfA für die Einbauküche berücksichtigt werden. Insoweit sei aber -- jedenfalls -- eine Gegenrechnung mit vom FA zu Unrecht anerkannten Werbungskosten vorzunehmen, und zwar für im einzelnen aufgeführte Literatur, bei der es sich offenkundig um Studienliteratur des Sohnes handele. Zur weiteren Begründung werde auf das Urteil des Senats vom selben Tage zur Einkommensteuer 1992 Bezug genommen. Weitere inhaltliche Aussagen enthält das Urteil nicht.
Der Kläger und die Revisionsklägerin haben gegen das Urteil wegen Einkommensteuer Revision gemäß §116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt, weil die Entscheidung des FG nicht mit Gründen versehen sei. Der Tatbestand sei völlig unzureichend und bestehe lediglich aus einem Satz. Die Bezugnahme auf den Schriftsatz des Klägers vom 16. Dezember 1996 reiche nicht aus, da dieser Schriftsatz lediglich eine Aufzählung der geltend gemachten Positionen und nicht eine substantielle Argumentation enthalte. Die allgemeine Bezugnahme auf die Gerichts- und Steuerakten zur Einkommensteuer 1992 sei ebenfalls unzureichend. In den Entscheidungsgründen fehle eine rechtliche Würdigung der Argumente des Klägers. Dem Urteil lasse sich nicht entnehmen, welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen für die getroffene Entscheidung maßgeblich seien. Insbesondere habe sich das FG nicht mit den Argumenten hinsichtlich der Aufwendungen für den Fahrrad- und Geräteschuppen sowie hinsichtlich der Privatfahrten des Sohnes als außergewöhnliche Belastung auseinandergesetzt.
Der Kläger und die Revisionsklägierin beantragen, den Rechtsstreit an das FG zurückzuweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind unzulässig; sie sind gemäß §126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.
1. Die Revision der Revisionsklägerin zu 2 ist unzulässig, da sie nicht Beteiligte des Klageverfahrens war. Zur Einlegung der Revision sind nur die in der Vorinstanz Beteiligten berechtigt (§115 Abs. 1 i V. m. §§122 Abs. 1, 57 FGO; ausführlich z. B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, §115 Anm. 3 und 49, m. w. N.; vgl. auch Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. Oktober 1990 IX R 124/90, BFH/NV 1991, 545).
2. Die Revision des Klägers ist ebenfalls unzulässig.
a) Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet abweichend von §115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn sie das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß §116 FGO gegeben ist.
Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der erkennende Senat durch Beschluß zurückgewiesen. Gründe, die eine zulassungsfreie Revision gemäß §116 FGO gerechtfertigt erscheinen lassen, liegen nicht vor.
b) Ein Begründungsmangel i. S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ergibt sich nicht aus dem Vortrag des Klägers.
Nach §105 Abs. 2 Nr. 4 und 5 FGO muß ein Urteil Tatbestand und Entscheidungsgründe enthalten. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen i. S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO liegt vor, wenn die Beteiligten keine Möglichkeit haben, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu prüfen. Das ist z. B. der Fall, wenn jegliche Begründung fehlt (vgl. BFH- Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417), oder wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt oder auf welche rechtlichen Erwägungen die Entscheidung gestützt wird. Dabei können sich die Entscheidungsgründe auch aus der Bezugnahme auf andere Urteile ergeben (BFH-Urteile vom 10. April 1984 VIII R 229/83, BFHE 141, 113, BStBl II 1984, 591; vom 20. September 1995 I R 175/94, BFH/NV 1996, 552). Allerdings muß das in Bezug genommene Urteil (in der Regel) zwischen denselben Beteiligten ergangen sein, da das FG die Gründe seiner Entscheidung nur dadurch ersetzen darf, daß es auf eine Urkunde verweist, deren Inhalt dem Kläger bei Beginn der Revisionsfrist bekannt oder zugänglich war (vgl. BFH-Urteile vom 28. März 1984 I R 117/83, BFHE 141, 206, BStBl II 1984, 666; vom 3. Februar 1988 I R 134/84, BFHE 153, 14, BStBl II 1988, 588; vom 30. September 1988 III R 27/87, BFH/NV 1989, 511, und vom 2. August 1996 XI R 50/95, BFH/NV 1997, 134).
Zwar ist die Entscheidung des FG im vorliegenden Fall knapp begründet. Sie genügt jedoch jedenfalls im Hinblick auf die am selben Tag ergangenen und dem Kläger zeitgleich zugestellten Entscheidungen zur Einkommensteuer 1992 und 1993, die die gleichen Sachverhalte und Rechtsfragen betreffen, noch den Anforderungen des §105 FGO. Werden Verfahren, die verschiedene Streitjahre betreffen, gemäß §73 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, genügt es den Anforderungen des §105 FGO, wenn die alle Streitjahre betreffenden Rechtsfragen gemeinsam behandelt werden. Nichts anderes gilt dann, wenn für jedes Streitjahr ein eigenes Urteil ergeht und die Begründung durch eine Bezugnahme auf die Entscheidung ersetzt wird, in der die rechtlichen Argumente im einzelnen dargelegt sind. Entscheidend ist, daß die Beteiligten die Möglichkeit haben, die getroffene Entscheidung für das jeweilige Streitjahr auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu überprüfen, und daß ihnen für diese Prüfung die volle Rechtsmittelfrist zur Verfügung steht.
Im Tatbestand verweist das FG auf den Schriftsatz des Klägers, in dem er die einzelnen Sachverhaltskomplexe aufgeführt hat, die er bei der Einkommensteuerfestsetzung des FA für das Jahr 1994 beanstandet. Außerdem läßt sich dem Urteil des FG entnehmen, daß sämtliche in diesem Schreiben aufgeführten Positionen ebenfalls im Klageverfahren für das Streitjahr 1992 streitig sind, auf das das FG verweist. Die tatsächlichen Feststellungen zu den verschiedenen Positionen sind danach für die Streitjahre 1992 und 1994 einheitlich getroffen.
Die Entscheidungsgründe ersetzt das FG dadurch, daß es auf die Gründe des Urteils vom gleichen Tage zur Einkommensteuer 1992 verweist. Soweit eine Gegenrechnung mit dem FA zu Unrecht anerkannten Werbungskosten vorgenommen wird, werden diese einzeln benannt, da sie lediglich die Veranlagung des Jahres 1994 betreffen. Das in Bezug genommene Urteil ist zwischen denselben Beteiligten ergangen und am selben Tag zugestellt worden. Das Urteil, auf das verwiesen wird, enthält zu allen Positionen, die der Kläger im vorliegenden Verfahren geltend macht, eine eigenständige rechtliche Begründung. Damit wird dem Kläger ermöglicht, auch die für das Streitjahr 1994 getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit innerhalb der vollen Rechtsmittelfrist zu überprüfen.
c) Soweit der Kläger in seiner Revision rügt, daß das FG rechtserhebliche Einwendungen im Hinblick auf die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen für den Fahrrad- und Geräteschuppen und im Hinblick auf die Berücksichtigung der Privatfahrten seines Sohnes als außergewöhniche Belastungen nicht beachtet habe, ergibt sich daraus kein Verfahrensmangel i. S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Der Begründungszwang dient dem Zweck, den Beteiligten Kenntnis davon zu vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen oder rechtlichen Erwägungen eine Entscheidung beruht (BFH-Urteil vom 26. Juni 1975 IV R 122/71, BFHE 116, 540, BStBl II 1975, 885). Eine Auseinandersetzung mit jedem einzelnen vorgetragenen Argument ist nicht erforderlich.
Der Kläger rügt im vorliegenden Verfahren lediglich, daß das FG zu einzelnen Einwendungen in seinem Urteil keine Stellung genommen hat, nicht aber, daß das FG einen der beiden wesentlichen Streitpunkte gänzlich übergangen hat. Soweit sich der Kläger auf Schriftsätze beruft, die er in anderen Verfahren vorgelegt hat, ist die Revision bereits unschlüssig.
Fundstellen
Haufe-Index 66551 |
BFH/NV 1998, 482 |