Entscheidungsstichwort (Thema)
Erledigung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens unabhängig vom Hauptsacheverfahren - Zustimmung des FA zum Ruhen des Verfahrens - Kostenentscheidung, wenn das BVerfG eine Norm für verfassungswidrig erklärt hat - Besetzung des Gerichts - einseitige Erledigungserklärung - keine Revisionszulassung wegen fehlerhafter Kostenentscheidung - unrichtige Sachbehandlung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren kann sich unabhängig vom Hauptsacheverfahren erledigen (Bestätigung der Rechtsprechung), im Falle der abschließenden Entscheidung einer bisher als klärungsbedürftig angesehenen Rechtsfrage durch einen Musterprozeß aber grundsätzlich nur durch
beiderseitige Erledigungserklärungen.
2. Ob das FA wegen eines vor dem BFH anhängigen Musterverfahrens dem Ruhen eines gleichgelagerten Verfahrens vor dem FG zustimmt, steht in seinem Ermessen.
3. Entscheidet das BVerfG, daß eine von ihm für verfassungswidrig erklärte gesetzliche Regelung erst für die Zukunft neu zu gestalten ist, können die Kosten finanzgerichtlicher Verfahren, in denen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung streitig war, in der Regel auch dann nicht dem FA auferlegt werden, wenn das BVerfG bei gegen die Regelung anhängig gewesenen (erfolglosen) Verfassungsbeschwerden die
Auslagenerstattung angeordnet hat.
Orientierungssatz
1. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, die Berichterstatter für die einzelnen Beschlußsachen vor Beginn des Geschäftsjahres nach abstrakten generellen Regeln schriftlich in dem senatsinternen Mitwirkungsplan festzulegen (Anschluß an BFH-Beschluß vom 29.1.1992 VIII K 4/91).
2. Die Feststellung der Erledigung der Hauptsache aufgrund einseitiger Erledigungserklärung setzt voraus, daß tatsächlich eine Erledigung eingetreten ist.
3. Eine in der Hauptsache unbegründete Nichtzulassungsbeschwerde kann selbst dann keinen Erfolg haben, wenn die Kostenentscheidung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft oder auf einer Abweichung von einer Entscheidung des BFH oder auf einem Verfahrensmangel beruht.
4. § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG, wonach Gerichtskosten nicht erhoben werden, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären, setzt kein Verschulden voraus. Es muß sich aber immer um eine unrichtige Sachbehandlung handeln.
5. Parallelentscheidung: BFH, 18.3.1994, III B 221/90, NV.
6. Parallelentscheidung: BFH, 18.3.1994, III B 544/90, NV.
Normenkette
FGO §§ 74, 115 Abs. 2, § 135 Abs. 1-2, § 136 Abs. 2, § 137 S. 2, § 138 Abs. 1, §§ 145, 155; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; GKG § 8 Abs. 1 S. 1; ZPO § 251; FGO § 10 Abs. 3
Tatbestand
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob nach erfolglosem Vorverfahren Klage wegen Einkommensteuer 1986. Er hielt den im Einkommensteuertarif berücksichtigten Grundfreibetrag aus verfassungsrechtlichen Gründen für zu niedrig. Mit Schriftsatz vom 1. Juli 1990 beantragte er, das Verfahren ruhen zu lassen, bis über die damals beim erkennenden Senat anhängige Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) Köln vom 14. Juli 1988 5 K 424/88 (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1988, 581) entschieden worden sei.
Das FG wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Hiergegen legte der Kläger
Nichtzulassungsbeschwerde ein. Er stützte die Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Da die Grundfreibeträge unterhalb des sozialhilfe- rechtlichen Existenzminimums des Steuerpflichtigen lägen, sei deren Verfassungsmäßigkeit im Interesse einer Vielzahl von Steuerpflichtigen klärungsbedürftig.
Nach Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 25. September 1992 2 BvL 5,8,14/91 (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413) zu den Grundfreibeträgen erklärte der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Er beantragt, die Kosten des Verfahrens dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) aufzuerlegen oder zumindest von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen. Zur Begründung macht er geltend, das FA hätte das Einspruchsverfahren und das FG das Klageverfahren bis zur Entscheidung des BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge aussetzen müssen. Außerdem habe das BVerfG die Grundfreibeträge für die Vergangenheit für verfassungswidrig erklärt, so daß er ―der Kläger― die verfassungswidrige Praxis des Staates mit Recht angegriffen habe.
Das FA widersprach der Erledigungserklärung. Es beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen.
Der Kläger erhebt Bedenken gegen die geschäftsplanmäßige Besetzung des Senats. Er macht geltend, der Senatsvorsitzende könne die Richterbank beeinflussen, indem er den Berichterstatter bestimme und damit in Beschlußverfahren zusammen mit diesem Berichterstatter die Mehrheit bilden könne. Darin liege eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter.
Entscheidungsgründe
Entscheidungsgründe
I. Der Senat teilt diese Bedenken nicht. Er entscheidet daher im Streitfall in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung. Diese Besetzung verletzt entgegen der Auffassung des Klägers nicht dessen Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art.101 Abs.1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG). Nach § 10 Abs.3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entscheiden die Senate des Bundesfinanzhofs (BFH) regelmäßig in der Besetzung von fünf Richtern, bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung ―wie in vorliegendem Fall― in der Besetzung von drei Richtern. Welche drei Richter jeweils an den Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung mitwirken, ergibt sich aus dem senatsinternen Mitwirkungsplan. Danach entscheidet der Senat in der Besetzung des Vorsitzenden, des Berichterstatters und des Mitberichterstatters. Der Mitberichterstatter ergibt sich in der Regel aus der Endziffer der Geschäftsnummern des Senats. Der Berichterstatter wird vom Vorsitzenden bestimmt. Nach dieser Regelung ist im Streitfall verfahren worden.
Sie entspricht den Anforderungen an den gesetzlichen Richter. Der VIII.Senat des BFH hat mit Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91 (BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252) eingehend begründet, daß es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, die Berichterstatter für die einzelnen Beschlußsachen vor Beginn des Geschäftsjahres nach abstrakten generellen Regeln schriftlich in dem senatsinternen Mitwirkungsplan festzulegen. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die Auswahl des Berichterstatters durch den Senatsvorsitzenden darf demgemäß nur nicht willkürlich getroffen werden, d.h. sie muß von sachgerechten Erwägungen (z.B. besondere Fachkompetenz des Richters für die zu entscheidenden Fragen, Vorbefassung des Richters mit gleichen oder ähnlichen Problemen, gleichmäßige Arbeitsbelastung der Senatsmitglieder im Interesse möglichst schneller Rechtsschutzgewährung usw.) getragen sein.
Im Streitfall gibt es keinerlei Anhaltspunkte für die Erwägung, die Auswahl des Berichterstatters könnte willkürlich erfolgt sein. Zum Berichterstatter ist nach der zwar nicht schriftlich, aber mündlich festgelegten Aufgabenverteilung im Senat der im Schwerpunkt für Verfahrensfragen einschließlich schwieriger Kostensachen zuständige Richter bestimmt worden. Die Auswahl des Berichterstatters entsprach daher der regelmäßig geübten senatsinternen Aufgabenverteilung.
II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen.
- Die Hauptsache ist nicht erledigt.
- Beiderseitige Erledigungserklärungen, die den Rechtsstreit unabhängig von der tatsächlichen Erledigung beendet hätten (vgl.Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 138 Rdnr.11), liegen nicht vor. Das FA hat der Erledigung des Rechtsstreits sogar ausdrücklich widersprochen.
- b) Die einseitige Erledigungserklärung des Klägers kann im Streitfall nicht zur Feststellung der Erledigung der Hauptsache führen.
- Dabei kann offenbleiben, ob die einseitige Erledigungserklärung des Hauptsacheverfahrens auf das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde überhaupt einen Einfluß haben kann (verneinend Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 18. September 1969 VIII B 200.67, BVerwGE 34, 40; Ziemer/ Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz.8928; bejahend Beschluß des BVerwG vom 28. August 1985 8 B 128.84, BVerwGE 72, 93). Jedenfalls setzt die Feststellung der Erledigung der Hauptsache aufgrund einseitiger Erledigungserklärung voraus, daß tatsächlich eine Erledigung eingetreten ist. Das ist im Streitfall nicht geschehen. Denn die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 zu den Grundfreibeträgen hat den vom Kläger angestrengten >Rechtsstreit nicht gegenstandslos gemacht. Dies folgt schon daraus, daß Streitgegenstand nicht die Verfassungsmäßigkeit des im Streitjahr geltenden Grundfreibetrages, sondern die Herabsetzung der Steuer um einen bestimmten Betrag ist (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 65 Rdnr.39 ff.). Die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit des Grundfreibetrages ist nur eine Begründung dafür, warum die Steuerfestsetzung nach Auffassung des Klägers in Höhe dieses Betrages rechtswidrig ist. Der Kläger könnte daher im Falle der Zulassung der Revision auch noch andere Gründe für die Herabsetzung der Steuer um diesen Betrag nachschieben. Der Senat hätte die Steuerfestsetzung sogar unabhängig von den vom Kläger geltend gemachten Gründen in Höhe des Klageanspruchs auf die materielle Richtigkeit zu überprüfen. Im übrigen macht die Klärung einer bisher streitigen verfassungsrechtlichen Rechtsfrage in einem Musterprozeß durch das BVerfG vor den Fachgerichten anhängige andere Verfahren zu der Rechtsfrage je nach Ausgang des Musterprozesses möglicherweise begründet oder unbegründet, aber nicht gegenstandslos.
- Ebenso kann auch nicht etwa nur das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde als erledigt angesehen werden. Ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erledigt sich nicht allein dadurch, daß über die Rechtsfrage, wegen der die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist, in einem anderen (Muster-)Verfahren eine abschließende Entscheidung getroffen worden ist. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann weiterer Klärungsbedarf hinsichtlich der Rechtsfrage bestehen oder geltend gemacht werden. Ob im Hinblick auf den jeweiligen Streitfall kein Klärungsbedarf mehr gegeben ist, kann nur durch Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung der Revision und nicht durch Feststellung der Erledigung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens entschieden werden. Ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren kann sich deshalb zwar unabhängig vom Hauptsacheverfahren erledigen (vgl. z.B. Beschluß des erkennenden Senats vom 25. Juli 1991 III B 10/91, BFHE 165, 17, BStBl II 1991, 846), im Falle der Entscheidung über eine bisher als klärungsbedürftig angesehene Rechtsfrage in einem Musterprozeß aber grundsätzlich nur durch beiderseitige Erledigungserklärungen.
- Der Senat kann die einseitige Erledigungserklärung des Klägers ferner nicht als Zurücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde deuten, da bei einer solchen Deutung die vom Kläger beantragte Auferlegung der Verfahrenskosten auf das FA nach § 136 Abs.2 FGO nicht in Betracht käme.
- Folglich hat der Senat über die Zulassung der Revision zuentscheiden.
- a) Ob ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs.2 FGO vorliegt, richtet sich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rdnr.68). Unerheblich ist, ob die Nichtzulassungsbeschwerde im Zeitpunkt ihrer Einlegung begründet war.Im gegenwärtigen Zeitpunkt ist die vom Kläger zur Stützung seiner Nichtzulassungsbeschwerde allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht mehr gegeben. Die vom Kläger als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage der Verfassungsmäßigkeit des bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr berücksichtigten Grundfreibetrages ist durch die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 geklärt worden. Danach sind die im Einkommensteuertarif für die Jahre bis 1992 berücksichtigten Grundfreibeträge zwar verfassungswidrig. Folgerungen daraus sind aber erst ab 1993 zu ziehen (s. Nr.2 der Entscheidungsformel des gen. Beschlusses). Für die Jahre bis 1992 bleibt es bei der uneingeschränkten Anwendung der damals geltenden Regelungen über die Grundfreibeträge in § 32a Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Senat ist an diese Entscheidung des BVerfG gebunden (§ 31 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht ―BVerfGG―). Er sieht daher im Streitfall keinen Klärungsbedarf wegen des Grundfreibetrages mehr. Ein noch bestehender Klärungsbedarf wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
- b) Auch der Antrag des Klägers, die Kosten des gesamten Verfahrens dem FA aufzuerlegen, kann kein Grund für die Zulassung der Revision sein. Die Rüge einer fehlerhaften Kostenentscheidung kann nicht zur Zulassung der Revision führen, wenn der Nichtzulassungsbeschwerde ―wie im Streitfall― in der Hauptsache der Erfolg zu versagen ist (BFH-Beschluß vom 26. April 1993 VIII B 101/92, nicht veröffentlicht ―NV―; Tipke/Kruse,
- Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 145 FGO Tz.1 m.w.N.). Anderenfalls müßte die Einlegung der Revision nur wegen der Kostenentscheidung zugelassen werden. Das widerspricht aber § 145 FGO. Eine in der Hauptsache unbegründete Nichtzulassungsbeschwerde kann daher selbst dann keinen Erfolg haben, wenn die Kostenentscheidung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft oder auf einer Abweichung von einer Entscheidung des BFH oder auf einem Verfahrensmangel beruht. Es muß vielmehr ein Zulassungsgrund in bezug auf die Hauptsache vorliegen, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich sein soll (vgl. auch BFH-Beschluß vom 12. Oktober 1988 I R 210/84, BFHE 154, 489, BStBl II 1989, 110 zur vergleichbaren Frage bei einer nur auf die Kostenentscheidung bezogenen Rüge nach § 116 Nr.5 FGO für eine zulassungsfreie Revision).
- Da die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen ist, hat der Kläger nach § 135 Abs.2 FGO auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Senat sieht keine Möglichkeit, die Kosten des erfolglosen Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens (oder sogar des gesamten Verfahrens) dem FA aufzuerlegen.
- Das BVerfG hat allerdings im Anschluß an seine Grundsatzentscheidung in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413, die auf Vorlagebeschlüsse von FGen ergangen ist, bei ihm noch anhängige Verfassungsbeschwerden zu den Grundfreibeträgen zwar zurückgewiesen, die Kosten aber der öffentlichen Hand auferlegt (z.B. Beschluß des BVerfG vom 22. Dezember 1992 2 BvR 1265/90, Steuerrechtsprechung in Karteiform ―StRK―, Einkommensteuergesetz 1975, Allg., Rechtsspruch 93). Diese Kostenentscheidung ist auf § 34a Abs.3 BVerfGG gestützt.Nach dieser Bestimmung kann das BVerfG anordnen, daß dem Beschwerdeführer auch bei einer erfolglosen Verfassungsbeschwerde seine Auslagen zu erstatten sind. Im Verfassungsprozeßrecht muß demgemäß bei der Kostenentscheidung nicht der Erfolg der Verfassungsbeschwerde in den Vordergrund gestellt werden, sondern es kann die dem Prozeß zugrundeliegende materielle Rechtslage berücksichtigt werden.
- Eine dem § 34a Abs.3 BVerfGG vergleichbare Vorschrift gibt es in der FGO nicht. Die Kostenvorschriften der FGO orientieren sich vielmehr grundsätzlich streng am Erfolg oder am Mißerfolg eines Rechtsmittels. Wenn wie im Streitfall die Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos ist, ergibt sich aus § 135 Abs.2 FGO grundsätzlich die zwingende Rechtsfolge der Kostentragung durch den Beschwerdeführer. Welche Rechtslage zu der Erfolglosigkeit führt, ist bedeutungslos.
- Eine Ausnahme von den streng am Erfolg ausgerichteten Kostenvorschriften läßt § 137 Satz 2 FGO ―außer in den hier nicht in Betracht kommenden Fällen des § 137 Satz 1 FGO― nur für Kosten zu, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind im Streitfall nicht gegeben. Das FA trifft kein Verschulden daran, daß der Kläger (erfolglos) Nichtzulassungsbeschwerde gegen das klageabweisende Urteil des FG eingelegt oder überhaupt Klage erhoben hat und ihm dadurch Kosten entstanden sind.
aa) Es kann kein Verschulden des FA darin gesehen werden, daß das FA zur Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge eine andere Auffassung vertreten hat, als sie letztlich vom BVerfG für Recht erklärt worden ist. Das FA mußte das Gesetz befolgen und durfte daher nicht anders handeln.
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers ist es dem FA ferner nicht als Verschulden zuzurechnen, daß das Verfahren nicht bis zur Entscheidung des BVerfG zu den Grundfreibeträgen ausgesetzt worden ist. Als der Kläger (mit Schriftsatz vom 1. Juli 1990) das Ruhen des Verfahrens beantragte, war die Einspruchsentscheidung bereits getroffen und Klage erhoben worden. Die Aussetzung des Verfahrens lag daher nicht mehr in der Hand des FA.
Das FA war auch nicht schon vor Erlaß der Einspruchsentscheidung verpflichtet, das Verfahren auszusetzen. Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen nur dann auszusetzen, wenn vor dem BVerfG ein Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist (s. u.a. Beschluß des erkennenden Senats vom 7. Februar 1992 III B 24,25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408). Diese Voraussetzung war im vorliegenden Streitfall jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung (14. Mai 1990) noch nicht erfüllt. Die Vorlageverfahren zu den Grundfreibeträgen, auf die der Beschluß des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 ergangen ist, sind erst später anhängig geworden (s. die einzelnen Daten in dem Beschluß des erkennenden Senats in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408). Ebenso ist das Urteil des erkennenden Senats vom 8. Juni 1990 III R 14-16/90 (BFHE 161, 109, BStBl II 1990, 969) zu den Grundfreibeträgen erst nach der Einspruchsentscheidung ergangen. Bis zur Einspruchsentscheidung konnte folglich auch noch keine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil anhängig sein. Der Kläger trägt demgemäß nur vor, daß er (in dem späteren Schreiben an das FG vom 1. Juli 1990) auf das beim erkennenden Senat anhängige Musterverfahren hingewiesen habe. Ein beim BFH anhängiges Musterverfahren ist aber kein Grund für eine Verfahrensaussetzung (s. u.a. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 8. Juni 1990 III R 41/90, BFHE 161, 1, BStBl II 1990, 944, und in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408).
cc) Da der Kläger seinen Antrag mit einem beim BFH anhängigen Musterverfahren begründet hat und bei Antragstellung auch noch kein Musterverfahren beim BVerfG anhängig war, kann weiter kein Verschulden des FA darin gesehen werden, daß es dem Ruhen des gerichtlichen Verfahrens nicht zugestimmt hat. Das FA war zu einer solchen Zustimmung nicht verpflichtet.
Nach dem über § 155 FGO anwendbaren § 251 der Zivilprozeßordnung (ZPO) hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und die Anordnung aus wichtigen Gründen zweckmäßig ist. Die Durchführung eines finanzgerichtlichen Musterprozesses (also gerade auch vor dem BFH) kann dabei für das FG ein Grund für die Anordnung des Ruhens des Verfahrens sein (Tipke/Kruse, a.a.O., § 74 FGO, Rdnr.5). Immer ist dazu aber ein Antrag beider Seiten oder die Zustimmung der einen Seite zu einem Antrag der anderen Seite erforderlich. Ob das FA einen solchen Antrag stellt oder einem Antrag des Klägers zustimmt, liegt in seinem Ermessen. Dieses Ermessen würde weitgehend gegenstandslos, wenn man bei Anhängigkeit eines Musterprozesses vor dem BFH stets eine Ermessensreduzierung auf Null und somit eine Pflicht des FA zur Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens annehmen würde, obwohl eine auch ohne Zustimmung des FA mögliche Verfahrensaussetzung nicht geboten oder sogar nicht zulässig ist.
dd) Allerdings wurde die Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge schon vor der Klärung durch das BVerfG deshalb als besonders zweifelhaft angesehen, weil in Einzelfällen auch Steuerpflichtige der Besteuerung unterworfen wurden, deren Einkommen nicht höher als das sozialhilferechtliche Existenzminimum war (vgl. Beschlüsse des erkennenden Senats vom 25. Juli 1991 III B 555/90, BFHE 164, 570, BStBl II 1991, 876, und vom 29. Oktober 1991 III B 83/91, BFH/NV 1992, 246). Ausdiesem Grund hat das BVerfG die geltenden Grundfreibeträge auch für verfassungswidrig erklärt. Die Besteuerung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums berührt einen besonders empfindlichen Bereich der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art.2 Abs.1 GG. Es spricht daher viel dafür, daß das FA in den Fällen, in denen dem Steuerpflichtigen nach der Besteuerung weniger als das sozialhilferechtliche Existenzminimum verblieben war, daran mitwirken mußte, weitere (zusätzliche) Rechtsmittelkosten nach Möglichkeit zu vermeiden.
Der Senat kann jedoch offen lassen, ob das FA in solchen Fällen einem Antrag des Steuerpflichtigen auf Ruhen des Verfahrens wegen eines Musterprozesses zustimmen mußte, um das Kostenrisiko des Steuerpflichtigen möglichst gering zu halten. Ebenso braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob das FA bei einer solchen Fallgestaltung nicht wenigstens im jetzigen Verfahrensstadium der Erledigung der Hauptsache zustimmen müßte, um den Weg für eine Kostenentscheidung nach Billigkeit (§ 138 Abs.1 FGO) freizumachen. Denn ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.
Der Kläger hat bei einem steuerpflichtigen Einkommen (unter Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen an seine in Spanien lebende Ehefrau) von 24 974 DM Einkommensteuer in Höhe von 4 761 DM gezahlt. Das sozialhilferechtliche Existenzminimum betrug für das Streitjahr nach den vom BVerfG in seinem Beschluß in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 angeführten Tabellen bei großzügigster Berechnung (unter Einbeziehung eines Mehrbedarfs für Erwerbstätige) 11 040 DM. Der dem Kläger nach Besteuerung verbliebene Betrag lag daher erheblich über diesem sozialhilferechtlichen Existenzminimum.
c) Bei der Regelung des § 137 Satz 2 FGO, wonach einem Beteiligten trotz Obsiegens die Kosten auferlegt werden können, geht es nur um ein Verschulden dieses Beteiligten, hier also des FA. Ein etwaiges Verschulden des Gesetzgebers beim Erlaß der gesetzlichen Vorschrift, die das FA anzuwenden hatte, fällt nicht unter § 137 Satz 2 FGO. Dem FA ein Verschulden des Gesetzgebers zuzurechnen, scheitert schon am verfassungsrechtlichen Prinzip der Gewaltenteilung. Der Senat kann deshalb dahingestellt lassen, ob und unter welchen Voraussetzungen überhaupt von einem Verschulden des Gesetzgebers gesprochen werden könnte, wenn ein später vom BVerfG für verfassungswidrig erklärtes Gesetz erlassen wird.
Wegen der grundsätzlichen Einwendungen gegen eine Zurechnung eines etwaigen Verschuldens des Gesetzgebers an die gesetzesausführende Behörde ist auch eine entsprechende Anwendung des § 137 Satz 2 FGO nicht möglich, soweit es um den Gesetzgeber geht. Es besteht zudem insoweit keine Gesetzeslücke, die durch entsprechende Anwendung des § 137 Satz 2 FGO geschlossen werden könnte.
Welche Kostenfolgen sich aus einer Entscheidung des BVerfG für andere vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit anhängige Verfahren ergeben, ist ohne weiteres aus den allgemeinen Kostenvorschriften der §§ 135 und 136 FGO abzuleiten. Soweit das BVerfG eine Norm für nichtig oder mit der Verpflichtung zur rückwirkenden Neuregelung für verfassungswidrig erklärt, bekommen im finanzgerichtlichen Verfahren die jeweiligen Kläger Recht und haben daher nicht die Kosten zu tragen. Ebenso fallen die Kosten dem FA zur Last, soweit der Gesetzgeber über die ihm vom BVerfG auferlegte Verpflichtung hinaus eine rückwirkende Neuregelung trifft und das finanzgerichtliche Verfahren deshalb
Erfolg hat. In den anderen Fällen, in denen das BVerfG die Norm für verfassungsgemäß oder erst in der Zukunft für neuregelungsbedürftig hält, müssen die Kläger in bezug auf die Anwendbarkeit der Norm im finanzgerichtlichen Verfahren unterliegen. Sie müssen dann insoweit auch die Verfahrenskosten tragen, es sei denn, das FA hat diese Kosten schuldhaft verursacht.
d) Da das BVerfG eine gesetzliche Neuregelung (abgesehen von der Vermeidung von gleichheitswidrigen Progressionssprüngen) nur insoweit aufgegeben hat, als das sozialhilferechtliche Existenzminimum besteuert worden ist, hätte das von dem Kläger angestrengte Klageverfahren im übrigen vermutlich selbst dann keinen Erfolg gehabt, wenn das BVerfG die Neuregelung rückwirkend statt nur für die Zukunft angeordnet hätte. Angesichts der Regelung, die der Gesetzgeber ab 1993 getroffen hat, wäre nicht zu
erwarten gewesen, daß eine etwaige rückwirkende Regelung dem Kläger mit seinem über dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum liegenden Einkommen für das Streitjahr steuerliche Vorteile verschafft hätte. Die rückwirkende Regelung wäre vielmehr vermutlich ebenso wie die Regelung, die ab 1993 getroffen worden ist, auf die unbedingt notwendigen verfassungsrechtlichen Vorgaben beschränkt worden.
Selbst bei einer rückwirkenden Regelung hätten daher nur die Klageverfahren derjenigen Steuerpflichtigen Erfolg gehabt, deren besteuertes Einkommen nicht erheblich über dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum lag. Diesen Gesichtspunkt übersahen die vom Kläger vorgelegten Entscheidungen des Niedersächsischen FG vom 29. Dezember 1993 (Az. unbekannt) und des FG des Saarlandes vom 2. November 1993 1 K 331/92. Nur auf (durch beiderseitige Erledigungserklärung erledigte) Fälle, in denen die Klage ohne die Erledigung aufgrund einer rückwirkenden Neuregelung durch den Gesetzgeber Erfolg gehabt
hätte, beziehen sich auch die von dem Kläger und vom FG des Saarlandes in Bezug genommenen Entscheidungen des BVerwG vom 17. Mai 1966 II C 66.64 (Die Öffentliche Verwaltung ―DÖV― 1966, 654) und des Oberverwaltungsgerichts ―OVG― Münster vom 13. Juli 1966 II B 123/66 (Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1966, 2377). Wäre somit der Kläger bei einer rückwirkenden (verfassungsgemäßen) Regelung erfolglos geblieben, hätte er nach § 135 Abs.1 FGO für das Klageverfahren und nach § 135 Abs.2 FGO für das Nichtzulassungsbeschwerde- oder Revisionsverfahren die Kosten tragen müssen. Dann ist aber nicht einzusehen, warum dies anders sein soll, wenn das BVerfG wie hier beim Grundfreibetrag ―weit weniger einschneidend― eine Neuregelung nur für die Zukunft für erforderlich gehalten hat.
4. Eine Nichterhebung von Gerichtskosten nach § 8 Abs.1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) scheidet ebenfalls aus. Diese Bestimmung, wonach Kosten nicht erhoben werden, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären, setzt zwar kein Verschulden voraus. Es muß sich aber immer um eine unrichtige Sachbehandlung handeln. In der Befolgung des Gesetzes durch das FA liegt nicht nur kein Verschulden, sondern auch keine unrichtige Sachbehandlung. Das gleiche gilt für die unterbliebene Zustimmung des FA zum Ruhen des Verfahrens. Selbst wenn man aber die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 (nachträglich) zum Maßstab für die "richtige" Sachbehandlung nehmen würde, läge keine unrichtige Sachbehandlung durch das FA vor. In das sozialhilferechtliche Existenzminimum des Klägers ist nämlich durch die Besteuerung im Streitfall nicht eingegriffen worden.
Auch eine unrichtige Sachbehandlung durch das FG, die im Rahmen des § 8 GKG zu berücksichtigen wäre, ist nicht ersichtlich. Das FG mußte das Verfahren nicht im Hinblick auf die Entscheidung des erkennenden Senats in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408 wegen Anhängigkeit eines Musterverfahrens vor dem BVerfG aussetzen. Die Vorlageverfahren, auf die der Beschluß des BVerfG in BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413 ergangen ist, sind nicht nur erst nach der Einspruchsentscheidung (s. oben), sondern auch erst nach dem angegriffenen Urteil des FG (vom 4. Oktober 1990 und dessen Zustellung am 13. Oktober 1990) beim BVerfG anhängig geworden. Das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 161, 109, BStBl II 1990, 969 zur Verfassungsmäßigkeit der Grundfreibeträge ist zwar vor dem angegriffenen FG-Urteil ergangen. Soweit die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde schon vor dem FG-Urteil beim BVerfG anhängig geworden sein sollte, mußte dies dem FG nicht bekannt gewesen sein. Die Entscheidung des erkennenden Senats in BFHE 161, 109, BStBl II 1990, 969 ist erst im BStBl vom 10. Dezember 1990 veröffentlicht worden.
Fundstellen
Haufe-Index 611162 |
BStBl II 1994, 473 |
BFHE 173, 506 |
BB 1994, 1134 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1994, 475 (Leitsatz und Gründe) |