Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristversäumnis infolge fehlerhafter Einlegung der Revision beim FG; keine Wiedereinsetzung
Leitsatz (NV)
- Die Einlegung der Revision beim FG ist seit dem 1.1.2001 nicht geeignet, die Revisionsfrist zu wahren.
- Von Angehörigen der steuerberatenden Berufe, die als Prozessvertreter ein Rechtsmittel einlegen, muss erwartet werden, dass sie die Voraussetzungen und die Anforderungen für dieses Rechtsmittel kennen oder sich davon Kenntnis verschaffen. Insbesondere müssen die Prozessvertreter die einer geänderten Gesetzeslage entsprechende, dem angefochtenen Urteil beigefügte ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung beachten.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 120 Abs. 1 S. 1; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
I. Durch Urteil des Finanzgerichts (FG) Münster vom 29. August 2001 8 K 6097/99 GrE wurde die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wegen Grunderwerbsteuer abgewiesen und die Revision zugelassen. Das Urteil wurde der (damaligen) Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 28. September 2001 zugestellt. Die an das FG adressierte Revision ging dort am 29. Oktober 2001 ein. Das FG informierte am Tage des Eingangs die Prozessbevollmächtigten per Telefax über die unzutreffende Revisionseinlegung und leitete die Revisionsschrift an den Bundesfinanzhof (BFH) weiter, bei dem sie am 30. Oktober 2001 eintraf. Mit Telefax vom 31. Oktober 2001 beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Hinblick auf die Versäumung der Revisionsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und mit Schriftsatz vom 28. November 2001 begründeten sie die Revision.
Die Klägerin beantragt, unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Vorentscheidung, den Grunderwerbsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Sie ist verspätet eingelegt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.
1. Die Revision ist nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO i.d.F. durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) bei dem BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Nachdem das angefochtene Urteil der (damaligen) Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 28. September 2001 zugestellt worden war, lief die Revisionsfrist gemäß § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am 29. Oktober 2001 ab. Die Revision der Klägerin ging jedoch erst am 30. Oktober 2001 und damit verspätet beim BFH ein.
2. Die Einlegung der Revision beim FG ist nicht geeignet, die Revisionsfrist zu wahren. Die Vorschrift des § 120 Abs. 1 FGO ist durch Art. 1 2.FGOÄndG mit Wirkung ab 1. Januar 2001 dahin gehend geändert worden, dass seither die Revision bei dem BFH einzulegen ist. Der Wortlaut ist klar und zwingend. Aus Gründen der Rechtssicherheit kann der Einlegung der Revision beim FG keine Rechtswirksamkeit zukommen.
3. Der Klägerin kann wegen der Versäumung der Revisionsfrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO gewährt werden; denn sie war nicht ohne Verschulden verhindert, die Revisionsfrist einzuhalten. Sie muss sich das Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie ein eigenes Verschulden zurechnen lassen. Der die Revisionsschrift unterzeichnende Prozessbevollmächtigte handelte schuldhaft, indem er entgegen § 120 Abs. 1 FGO und trotz anders lautender Rechtsmittelbelehrung die Revision beim FG einreichte und dadurch bewirkte, dass die Revisionsschrift nicht innerhalb der Revisionsfrist beim BFH einging.
Ein Verschulden i.S. des § 56 Abs. 1 FGO ist, jedenfalls wenn es sich um die Fristversäumnis eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts handelt, nur dann zu verneinen, wenn die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 16. August 1993 VII B 163/93, BFH/NV 1994, 384, 385). Diese Sorgfaltsanforderungen haben die Prozessbevollmächtigten bei der Einlegung der Revision gegen das FG-Urteil nicht gewahrt. Von Angehörigen der steuerberatenden Berufe, die als Prozessbevollmächtigte ein Rechtsmittel einlegen, muss erwartet werden, dass sie die Voraussetzungen und die Anforderungen für dieses Rechtsmittel kennen oder sich zumindest davon Kenntnis verschaffen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. November 1992 III B 76/92, BFH/NV 1994, 105; vom 7. Januar 1998 VII B 222/97, BFH/NV 1998, 616). Insbesondere aber mussten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin die der geänderten Gesetzeslage entsprechende, dem angefochtenen Urteil beigefügte ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung des FG beachten, nach der unmissverständlich die zugelassene Revision beim BFH einzulegen war. Die Rechtsmittelbelehrung enthielt zudem ausschließlich Angaben zur Postanschrift des BFH und dessen Telefaxnummer (vgl. zum Vorstehenden BFH-Beschluss vom 9. August 2001 III R 14/01, BFH/NV 2002, 48). Die Rechtsmittelbelehrung war hinreichender Anlass, die Aktualität des vom Prozessbevollmächtigten verwendeten Gesetzestextes in Zweifel zu ziehen und zu überprüfen.
Da ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten festzustellen ist, bedarf es keiner Erörterung, ob der Umstand, dass die Benachrichtigung durch das FG vom 29. Oktober 2001 dem sachbearbeitenden Prozessbevollmächtigten erst am 31. Oktober 2001 zugeleitet worden ist, auf einem entschuldbaren Büroversehen beruht oder nicht.
4. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter dem Gesichtspunkt einer Mitverantwortung des FG für die verspätete Einlegung des Rechtsmittels (vgl. dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 1995 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, 99; BFH-Urteil vom 4. Juni 1992 IV R 123-124/91, BFHE 169, 132, BStBl II 1993, 125, 126) kommt nicht in Betracht, da das FG noch am Tage des Eingangs der Revisionsschrift per Telefax einen Hinweis an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegeben und den Schriftsatz ohne Verzögerung im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Revisionsgericht weitergeleitet hat.
Fundstellen
Haufe-Index 705704 |
BFH/NV 2002, 658 |