Leitsatz (amtlich)

Wird ein Rechtsbehelf nach einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zurückgenommen, so steht die mündliche Verhandlung vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften der Ermäßigung der Gerichtsgebühr nach § 141 Satz 2 FGO nicht entgegen.

 

Normenkette

EWGV Art. 177; Verfahrensordnung EGH Art. 72; FGO § 141 S. 2

 

Tatbestand

Die Kostenschuldnerin und Beschwerdegegnerin (Beschwerdegegnerin) hatte ihre Klagen gegen drei Zollbescheide des Zollamts (ZA) zurückgenommen, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EGH) auf die Vorlage des Finanzgerichts (FG) gemäß Art. 177 Abs. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) entschieden hatte. Die Kosten für die vom FG eingestellten Verfahren setzte der Urkundsbeamte des FG jeweils in Höhe einer vollen Prozeßgebühr fest.

Das FG ermäßigte auf die Erinnerung der Beschwerdegegnerin die Gebühren auf je die Hälfte mit der Begründung, daß die Beschwerdegegnerin ihre Rechtsbehelfe zurückgenommen habe, bevor mit der Erörterung der Streitsache in mündlicher Verhandlung begonnen worden sei.

Der Vertreter der Staatskasse hält das Vorabentscheidungsverfahren kostenrechtlich für einen Teil des Ausgangsverfahrens mit dem Charakter eines Zwischenverfahrens (vgl. Entscheidung des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 29. Oktober 1968 VII B 106/67, BFHE 94, 49, BStBl II 1969, 83). Sei ein Spruchkörper in mündlicher Verhandlung tätig geworden, sei es auch nur in einem Teil- oder Zwischenverfahren, so sei die gesetzliche Voraussetzung für die Ermäßigung der Gebühr auf die Hälfte gemäß § 141 Satz 2 FGO nicht mehr erfüllt. Denn die Zurücknahme sei nicht vor der Erörterung der Streitsache in mündlicher Verhandlung erfolgt. Auch der EGH habe in seinem Urteil vom 3. März 1971 Rs. 51/70 (EGHE 1971, 121) im Abschnitt „Kosten” ausgeführt: „Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit.” Die Prozeßgebühren seien somit mit 1/1 anzusetzen.

Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin ist die Beschwerde auf jeden Fall unbegründet. Es gehe nicht um die Frage, ob die eingeholte Vorabentscheidung des EGH kostenrechtlich als ein Teil des finanzgerichtlichen Verfahrens anzusehen sei. Das FG habe zutreffend darauf hingewiesen, daß in der mündlichen Verhandlung vor dem EGH nicht die Streitsache des Ausgangsverfahrens erörtert werde, sondern eine abstrakte Rechtsfrage. Sie könne deshalb die mündliche Verhandlung vor dem FG nicht ersetzen. Die von der Beschwerdeführerin angezogenen Entscheidungen des BFH und des EGH bezögen sich nur auf die außergerichtlichen Kosten der Parteien des Ausgangsrechtsstreits und hätten für die Gerichtskosten keine Bedeutung. Nach § 141 FGO solle auch die Gebührenlast nach dem Ausmaß der Tätigkeit abgestuft werden, die das Gericht entfalten müsse. Danach sei die zweite Hälfte der Prozeßgebühr als Entgelt für die Erörterung der Streitsache in mündlicher Verhandlung anzusehen. Da das Verfahren beim EGH nach Art. 72 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs gerichtskostenfrei sei, dürfe die Mühewaltung des EGH auch nicht durch Gerichtskosten der nationalen Verfahrensordnungen abgegolten werden. Auch aus diesem Grunde sei die mündliche Verhandlung vor dem EGH keine solche i. S. von § 141 FGO.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

Nach § 141 Satz 2 FGO ermäßigt sich die Gebühr auf die Hälfte, wenn der Rechtsbehelf zurückgenommen wird bevor mit der Erörterung der Streitsache in mündlicher Verhandlung begonnen worden ist. Wie das FG zutreffend ausführt, ersetzt die mündliche Verhandlung vor dem EGH das Sach- und Rechtsgespräch vor dem FG nicht, weil dieser im Vorabentscheidungsverfahren über die Auslegung von Handlungen der EWG-Organe nur über abstrakte Rechtsfragen und nicht über den Streitfall selbst entscheidet. Dieses Verfahren stellt zwar nach dem Ausspruch des EGH im Urteil vom 3 März 1971 Rs. 51/70 einen Zwischenstreit dar, aber nicht einen solchen i. S. des § 37 Nr. 3 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO). Gebührenrechtlich ist es wie das Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine selbständige Angelegenheit und stellt einen besonderen Rechtszug im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 2 BRAGebO dar, da es sich vor einem anderen als dem zur Entscheidung in der Streitsache zuständigen Gericht abspielt (vgl. BFH-Beschluß vom 24. Oktober 1973 VII B 150/70, BFHE 110, 462). Anders jedoch als bei den Aufwendungen des Rechtsanwalts, die nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte für dessen besondere Tätigkeit im Verfahren vor dem EGH erstattet werden, gebt es im Streitfall um die Ermäßigung der Gerichtskosten im Fall der Zurücknahme eines Rechtsbehelfs. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die mündliche Verhandlung vor dem EGH lediglich zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem FG im Sinne von § 79 FGO dient, aber noch keine mündliche Verhandlung des finanzgerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 141 Satz 2 FGO darstellt. Im übrigen ist das Verfahren vor dem EGH gemäß Art. 72 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs gerichtskostenfrei, so daß auch aus diesem Grund keine besondere Gebühr für die mündliche Verhandlung vor dem EGH anfallen kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 514632

BFHE 1974, 23

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