Leitsatz (amtlich)
1. § 141 FGO ist auch dann anwendbar, wenn der Rechtsbehelf nachträglich eingeschränkt worden ist.
2. Der Beginn "der Erörterung der Streitsache" im Sinne von § 141 Satz 2 FGO ist nicht gleichbedeutend mit dem Eintritt in die mündliche Verhandlung.
2. Zur Gebührenberechnung bei teilweiser Klagerücknahme.
Normenkette
FGO § 140 Abs. 1, § 141; GKG § 35
Tatbestand
Das Zollamt (ZA) verlangte von der Beschwerdeführerin die Zahlung von insgesamt 146 863,90 DM Zoll und 45 118,20 DM Ausgleichsteuer. Mit Steuerbescheid vom 12. August 1963 forderte das Hauptzollamt (HZA) insgesamt 185 610 DM Angleichungszoll nach. Der Einspruch gegen diesen Steuerbescheid blieb ohne Erfolg. Die Beschwerdeführerin legte daraufhin Berufung ein, mit der sie sich auch gegen die Erhebung der Abgaben durch das ZA wandte. Insoweit verlangte sie, den Zoll auf 116 934,30 DM herabzusetzen. Gegen die Ausgleichsteuer wandte sie ein, daß sie um den Betrag über 35 859,85 DM hinaus zu hoch berechnet sei; außerdem verstoße die Erhebung der gesamten Ausgleichsteuer gegen Art. 95 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV), gegen Art. III des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von Genf (GATT) und gegen § 1 Nr. 3 UStG. Während des Verfahrens vor dem FG hob das HZA den Steuerbescheid vom 12. August 1963 und die Einspruchsentscheidung auf.
Nach der Sitzungsniederschrift des FG vom 26. Juni 1967 stellte die Beschwerdeführerin, nachdem der Berichterstatter den wesentlichen Inhalt der Akten vorgetragen hatte und bevor die Streitsache mit den Beteiligten erörtert worden war, den Antrag, den Rechtsstreit hinsichtlich der Erhebung des Angleichungszolls sowie des Wertzolls und der Ausgleichsteuer darauf in der Hauptsache für erledigt zu erklären und die Bescheide des ZA aufzuheben, soweit danach mehr als 116 934,30 DM Wertzoll und mehr als 35 859,85 DM Ausgleichsteuer erhoben worden sei, sowie das HZA zur Zahlung des Betrages zu verurteilen, der über die vorgenannten Beträge hinaus erhoben worden sei.
Das HZA beantragte, die Hauptsache hinsichtlich der Erhebung des Angleichungszolls für erledigt zu erklären und die Klage im übrigen abzuweisen.
Durch Beschluß vom 26. Juni 1967 entschied das FG, das Verfahren werde eingestellt, soweit mit der Klage die Festsetzung auch des den Betrag von 35 859,85 DM nicht übersteigenden Teils der Ausgleichsteuer angegriffen worden sei, mit der Begründung, die Klage sei insoweit zurückgenommen worden. Die Beschwerdeführerin habe ihren ursprünglichen Klageantrag insoweit fallengelassen, wie sich aus dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag ergebe. Über die Kosten sei auch insoweit im Schlußurteil zu entscheiden.
Durch Urteil vom 26. Juni 1967 entschied das FG u. a. wie folgt:
"Die Hauptsache ist erledigt, soweit mit der Klage die Aufhebung der Festsetzung von 185 610 DM Angleichungszoll beantragt wurde.
Bezüglich des Wertzolls und der UASt wird die Klage abgewiesen.
Soweit die Hauptsache erledigt ist, werden die Kosten dem Beklagten auferlegt. Im übrigen fallen die Kosten der Klägerin zur Last."
In den Gründen führte das FG aus, daß die Kostenentscheidung zum Nachteil der Beschwerdeführerin sich auch auf den Teil des Verfahrens erstrecke, der durch den Beschluß vom selben Tage eingestellt worden sei, und daß die Kostenentscheidung insoweit auf § 136 Abs. 2 FGO beruhe.
Die Geschäftsstelle des FG setzte die von der Beschwerdeführerin zu erhebenden Kosten in der Kostenrechnung vom 11. September 1967 auf insgesamt 724,68 DM fest. Dieser Betrag setzt sich aus dem Anteil der Beschwerdeführerin an der Prozeßgebühr in Höhe von 374,68 DM sowie aus der Urteilsgebühr von 348 DM und aus 2 DM Auslagen zusammen. Bei der Berechnung des von der Beschwerdeführerin zu tragenden Prozeßgebührenanteils ging die Geschäftsstelle von zwei Streitwertbeträgen in Höhe von 221 469,85 DM und 39 187,95 DM aus. Für den Betrag von 221 469,85 DM setzte sie eine nach § 141 Satz 2 FGO ermäßigte Prozeßgebühr von 722,50 DM und für den Betrag von 39 187,95 DM eine solche von 348 DM an. Von der Summe dieser Gebühren berechnete sie 35 % = 374,68 DM als Anteil der Beschwerdeführerin. Zu dem Prozentsatz war die Geschäftsstelle dadurch gelangt, daß sie die Gebühren für die Streitwertbeträge von 185 610 DM, 35 859,85 DM und 39 187,95 DM gesondert angesetzt und sodann jeweils, soweit ein Beteiligter die Kosten für diese Beträge zu zahlen hat, zur Summe der Gebühren ins Verhältnis gesetzt hatte.
Die Erinnerung gegen diesen Kostenansatz wies das FG durch Beschluß vom 29. November 1967 zurück. Gegen den Beschluß ließ das FG die Beschwerde zu.
Die Beschwerdeführerin legte gegen den Beschluß Beschwerde ein mit der Begründung, für die Berechnung der Prozeßgebühr dürfe der Gesamtstreitwert nicht in mehrere Teilstreitwerte aufgeteilt werden. Dadurch gehe der Vorteil wieder verloren, der der Beschwerdeführerin nach § 141 Satz 2 FGO zukomme. § 19 Abs. 1 GKG könne nicht angewendet werden.
Die Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Gerichtskosten auf insgesamt 689,15 DM festzusetzen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist nicht begründet. Die von der Beschwerdeführerin zu tragenden Gerichtskosten sind nicht herabzusetzen.
Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ist bei der Berechnung der Prozeßgebühr § 141 Satz 2 FGO zu berücksichtigen. Bezüglich des Betrages, der Gegenstand der Einstellung des Verfahrens durch das FG ist, liegt eine Klagerücknahme im Sinne des § 141 FGO vor. Der BGH hat wiederholt die Auffassung vertreten, daß die Zurücknahme der Klage im Kostenrecht nicht so zu verstehen sei, wie die Klagerücknahme im verfahrensrechtlichen Sinne (Beschlüsse des BGH III ZR 105/50 vom 16. Februar 1951, BGHZ 1, 205; III ZR 34/53 vom 8. Oktober 1954, BGHZ 15, 39, und I ZR 28/60 vom 2. März 1962, NJW 1962, 1155). Er hat außerdem entschieden, daß in der Stellung eines beschränkten Rechtsmittelantrages kostenrechtlich dann eine Zurücknahme des Rechtsmittels liege, wenn erkennbar sei, daß der Streitstoff, soweit er vom Antrag nicht erfaßt werde, endgültig nicht mehr Gegenstand der Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht sein solle (vgl. Beschluß des BGH III ZR 34/53 vom 8. Oktober 1954, a. a. O.). Den Grund für die gebührenrechtlichen Vorteile nach den §§ 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 Satz 2 GKG erblickt der BGH darin, daß eine Sachprüfung und Entscheidung durch das Gericht nach der Rücknahme entbehrlich sei (Beschluß des BGH I ZR 28/60 vom 2. März 1962, a. a. O.). In Anlehnung an diese Rechtsprechung wird in der Literatur zum GKG die Auffassung vertreten, daß die gebührenrechtlichen Vorteile stets dann zu gewähren seien, wenn das Verhalten, aus dem die Klagerücknahme zu entnehmen sei, das Verfahren tatsächlich beendet und dem Gericht weitere Arbeit erspart habe (vgl. Lauterbach, Kostengesetze, 15. Aufl., GKG § 35 Anm. 2; Markl, Gerichtskostengesetz, 1967, § 35 Anm. 2). Diesen Auffassungen ist auch bei der Anwendung des § 141 FGO zu folgen, da die Gebührenbefreiung und -ermäßigung nach dieser Vorschrift ihr Vorbild in den §§ 35, 36 GKG hat (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, V. 1.-5. Aufl., FGO § 141 Anm. 4). Demgemäß kommt es auch bei der Anwendung des § 141 FGO nicht darauf an, ob eine Klagerücknahme im verfahrensrechtlichen Sinne vorliegt. Vielmehr ist darauf abzustellen, ob das Verhalten, soweit das FG daraus eine Klagerücknahme entnommen hat, tatsächlich zur Beendigung des Verfahrens geführt und eine Entscheidung des FG entbehrlich gemacht hat. Bezüglich des Betrages von 35 859,85 DM, der Gegenstand der Einstellung des Verfahrens durch das FG ist, trifft das zu.
Dem FG ist auch darin zu folgen, daß die Klage, soweit das Verfahren eingestellt worden ist, vor Beginn der Erörterung der Streitsache in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen worden ist. Wie das FG dargelegt hat, ergibt sich die Klagerücknahme aus den Ausführungen, die die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor Beginn der Erörterung der Streitsache gemacht hat. Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ist zu entnehmen, daß dabei unter "Erörterung der Streitsache" ein Gespräch mit den Beteiligten über die Streitsache zu verstehen ist, das nach dem Vortrag des wesentlichen Akteninhalts durch den Berichterstatter und im Anschluß an die Stellung und Begründung der Anträge durch die Beteiligten stattgefunden hat. Unter Berücksichtigung des § 93 Abs. 1 FGO ist dieses Gespräch auch als Erörterung der Streitsache im Sinne von § 141 Satz 2 FGO anzusehen (vgl. Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, Bd. 3, 9. Aufl., FGO § 141 Anm. 4 - S. 637 -; Görg-Müller, Finanzgerichtsordnung, § 141 Rdnr. 768).
Es wird zwar die Auffassung vertreten, daß schon der Eintritt in die mündliche Verhandlung die Gebührenermäßigung nach § 141 Satz 2 FGO ausschließe (Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, § 141, Tz. 8; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 2.- 3. Aufl., FGO § 141 A 3). Dieser Auffassung vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Wie aus § 141 Satz 2 FGO zu entnehmen ist, umfaßt die Erörterung der Streitsache nur einen Teil der mündlichen Verhandlung. Das folgt aus der Ausdrucksweise "Erörterung der Streitsache in mündlicher Verhandlung". Hätte der Gesetzgeber die Gebührenermäßigung nach § 141 Satz 2 FGO schon durch den Eintritt in die mündliche Verhandlung ausschließen wollen, so hätte er diesem Willen dadurch eindeutig Ausdruck verleihen können, daß er die "Erörterung der Streitsache" in dieser Vorschrift nicht erwähnt hätte. Daraus, daß er sie neben dem Begriff der mündlichen Verhandlung erwähnt hat, ist zu schließen, daß damit ein besonderer Vorgang in der mündlichen Verhandlung gemeint ist und daß die Gebührenermäßigung erst durch den Beginn dieses Vorgangs ausgeschlossen werden soll. Auch die §§ 92, 93 FGO lassen erkennen, daß die Erörterung der Streitsache im Sinne der FGO ein besonderer Vorgang innerhalb der mündlichen Verhandlung ist, der insbesondere vom Vortrag des wesentlichen Akteninhalts sowie von der Stellung und Begründung der Anträge getrennt verlaufen soll. Es ist kein Grund ersichtlich, die "Erörterung der Streitsache" in § 141 Satz 2 FGO anders zu verstehen. Auch nach § 35 Abs. 2 GKG, der dem § 141 Satz 2 FGO entspricht, wird die Gebührenermäßigung nicht bereits durch den Eintritt in die mündliche Verhandlung, sondern erst durch die Stellung eines Sachantrages in der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen. Für den Ausschluß der Gebührenermäßigung nach § 141 Satz 2 FGO entspricht die "Erörterung der Streitsache" demnach der "Stellung eines Sachantrages" in § 35 Abs. 2 GKG.
Der Berechnung der Prozeßgebühr in der Vorinstanz kann allerdings nicht gefolgt werden. Es bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Prozeßgebühr zu berechnen ist, wenn die Klage wegen eines Teils des ursprünglichen Streitgegenstandes zurückgenommen worden ist (vgl. dazu Markl, a. a. O., § 35 Anm. 12). Der Senat folgt der Auffassung des BGH in dem Beschluß III ZR 105/50 vom 16. Februar 1951 (a. a. O.) aus den dort dargelegten Gründen.
Danach ist die Prozeßgebühr unter Beachtung der Darlegungen des FG, daß § 141 Satz 2 FGO auch hinsichtlich der 185 610 DM wegen Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache anzuwenden ist, wie folgt zu berechnen:
1. Volle Gebühr von 260 657,80 DM = 1 679,- DM
2. Volle Prozeßgebühr von 39 185,95 DM = 348,- DM
3. Differenz von 1. ./. 2. = 1 331,- DM
4. Davon 1/2 = 665,50 DM
5. Zuzüglich der vollen Gebühr von 39 185,95 DM = 348 DM = 1 013,50 DM
Von dieser Gebühr in Höhe von 1 013,50 hat die Beschwerdeführerin gemäß der Kostenentscheidung des FG zunächst den auf 39 185,95 DM entfallenden Teil von 348 DM zu tragen. Außerdem ist zu Lasten der Beschwerdeführerin der Anteil an dem unter Anwendung des § 141 Satz 2 FGO errechneten Betrag von 665,50 DM zu bestimmen. Nach dem Verhältnis der Streitwertteilbeträge von 185 610 DM und 35 859,80 DM zur Summe dieser Beträge hat die Beschwerdeführerin davon 16,19 % = 107,74 DM zu tragen, so daß der Anteil der Beschwerdeführerin an der Prozeßgebühr insgesamt 455,74 DM beträgt. Bei Einbeziehung der Urteilsgebühr in Höhe von 348 DM und der Auslagen von 2 DM liegen die von der Beschwerdeführerin zu tragenden Kosten über 724,68 DM.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über den Streitwert auf § 140 Abs. 3 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 68293 |
BStBl II 1969, 588 |
BFHE 1969, 215 |