Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfolglose NZB; Verweigerung des Vorsteuerabzugs
Leitsatz (NV)
1. Revisionsrechtlich und dementsprechend auch für eine NZB ist ein Verstoß gegen Erfahrungssätze als materieller Rechtsfehler anzusehen, nicht als Verfahrensmangel. Dies gilt nicht nur im Rahmen der rechtlichen Subsumtion, sondern auch hinsichtlich der Würdigung von Tatsachen.
2. Eine Divergenz liegt nicht vor, wenn der in Beziehung auf das angefochtene Urteil geltend gemachte Rechtssatz in der Entscheidung des FG weder ausdrücklich noch sinngemäß enthalten ist.
3. Das für die grundsätzliche Bedeutung ausschlaggebende Interesse der Allgemeinheit kann von der Bfin. nicht durch den Hinweis auf die Höhe des umstrittenen Steuerbetrages und ihr, der Bfin., hierdurch begründetes erhebliches wirtschaftliches Interesse am Verfahrensausgang dargelegt werden, und zwar auch dann nicht, wenn zusätzlich darauf hingewiesen wird, daß das Steuerrecht eine gerechte finanzielle Beteiligung des Bürgers an den Staatsaus gaben zu regeln habe.
4. Die Verwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes in einem Steuergesetz führt nicht schlechthin dazu, daß sämtlichen auf die Auslegung des Begriffes hinzielenden Fragen grundsätzliche Bedeutung zuerkannt werden müßte.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, Abs. 3 S. 3, § 120 Abs. 2; UStG 1973 §§ 1, 10 Abs. 1 S. 3, § 15 Abs. 1
Tatbestand
Der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) oblag aufgrund eines mit der X geschlossenen Projektierungsvertrages vom 16. Februar 1978 die Konzipierung von steuerbegünstigten Vermögensanlagen, während die X für die Beschaffung des benötigten Zeichnerkapitals und den Vertrieb der in der Rechtsform von Kommanditgesellschaften (KGs) konzipierten Fonds zu sorgen hatte. Hierfür erhielt die X von den Fonds-KGs Beträge, welche die direkten Werbeleistungen für Kapitalbeschaffung und Marketing abdeckten. Aufgrund einer Gemeinkosten ermittlung stellte die X gemäß dem Projektierungsvertrag am Ende eines jeden Wirtschaftsjahres den die eben genannten Kosten übersteigenden Anteil ihres Gesamtaufwandes der Klägerin unter gesondertem Steuerausweis in Rechnung.
Aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) davon aus, daß hinsichtlich des der Klägerin in Rechnung gestellten Anteils am Gesamtaufwand keine Leistungen der X an die Klägerin stattgefunden hätten und ließ im angefochtenen Bescheid für das Streitjahr (1978) die entsprechende Vorsteuer nicht zum Abzug zu.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wurde vom Finanzgericht (FG) mit der Begründung abgewiesen, das FA habe der Klägerin den umstrittenen Vorsteuerabzug zu Recht verweigert. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1973) wäre die Klägerin zum Abzug nur berechtigt gewesen, wenn den ihr von der X in Rechnung gestellten Beträgen Leistungen der X an sie, die Klägerin, zugrunde lägen, d. h. wenn die Klägerin Leistungsempfängerin gewesen wäre, was jedoch nicht der Fall sei.
Leistungsempfänger sei regelmäßig derjenige, der einen Leistungsanspruch habe (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 1. Juni 1989 V R 72/84, BFHE 157, 255, BStBl II 1989, 677). Die Klägerin sei nicht Inhaberin eines solchen Anspruchs gewesen. Nach den im Projektierungsvertrag geregelten Rechtsbeziehungen sei die Klägerin gegenüber der X zur Konzipierung von steuerbegünstigten Vermögensanlagen verpflichtet und erhalte eine Vergütung von der X in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des plazierten Anlagekapitals. Der Projektierungsvertrag begründe für die X keine Leistungspflicht, weder zugunsten der Klägerin noch zugunsten von Dritten. Die Klägerin habe auch nicht darzulegen vermocht, welche Leistungen die X ihr gegenüber habe erbringen wollen.
Der Hinweis der Klägerin, ein Leistungsaustausch zwischen der X und ihr gehe aus dem Umstand hervor, daß sie an die X Zahlungen erbracht habe, sei unzutreffend. Dies ergebe sich aus § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG 1973, wonach zum Entgelt auch dasjenige gehöre, was ein anderer als der Leistungsempfänger dem Unternehmer für die Leistung gewährt. Solche Zuschüsse würden erbracht, weil der Zahlende ein wirtschaftliches Interesse an der Tätigkeit des Zahlungsempfängers habe. Derartige Verhältnisse lägen im Streitfall vor. Die Klägerin sei daran interessiert, daß die X die konzipierten Vermögensanlagen im vollen Umfang absetze; denn aufgrund des Projektierungsvertrages richte sich die Vergütung der Klägerin nach der Höhe des plazierten Anlagekapitals. Wirtschaftlich stelle die Zahlung an die X einen Zuschuß dar.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde beruft sich die Klägerin auf sämtliche drei in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angeführten Zulassungsgründe.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die von der Klägerin erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist, soweit sie überhaupt den formellen Anforderungen aus § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Begründung genügt, unbegründet und wird zurückgewiesen.
1. In Beziehung auf den in § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geregelten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels macht die Klägerin geltend, das FG habe die Anwendung des Erfahrungssatzes unterlassen, daß gewinnorientierte Unternehmen nicht mehrere Millionen DM zahlten, ohne eine Leistung dafür zu erhalten (Kaufleute schenken einander nichts). Hierbei hat die Klägerin übersehen, daß revisionsrechtlich -- und dementsprechend auch im Bereich der Nichtzulassungsbeschwerde -- ein Verstoß gegen Erfahrungssätze als materieller Rechtsfehler angesehen wird, nicht als Verfahrensmangel (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Anm. 29 i. V. m. § 118 Anm. 21 und 41 m. w. N.). Dies gilt nicht nur, wenn ein solcher Verstoß die rechtliche Subsumtion betrifft, sondern auch in Beziehung auf die Würdigung von Tatsachen.
2. Der Nichtzulassungsbeschwerde muß der Erfolg ferner insoweit versagt bleiben, als die Klägerin Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) geltend macht.
a) Die Klägerin hat ausgeführt, das angefochtene Urteil beruhe auf dem Rechtssatz, daß eine Leistung eine vertragliche Verpflichtung voraussetze, und weiche damit vom BFH-Urteil vom 28. Februar 1980 V R 90/75 (BFHE 140, 430, BStBl II 1980, 535) ab, wonach ein Leistungsaustausch nicht durch den Abschluß entsprechender Verträge begründet werde, sondern allein dadurch, daß die Beteiligten einander Leistungen erbringen, um jeweils die Gegenleistung zu erhalten. Hierbei hat die Klägerin verkannt, daß sich der von ihr der Vorentscheidung zugeordnete Rechtssatz dieser nicht entnehmen läßt.
Die Vorentscheidung enthält keine diesbezügliche ausdrückliche Äußerung. Das FG hat auch nicht sinngemäß zum Ausdruck gebracht, daß es als Leistungsaustausch die vertragliche Begründung einer Leistungspflicht ansehe oder daß es nur bereit sei, einen Leistungsaustausch anzuerkennen, wenn der Leistung eine vertragliche Leistungspflicht zugrunde liegt. Die Vorentscheidung ergibt im Gegenteil, daß das FG gerade nicht von einer derartigen Ansicht ausgegangen ist. Anderenfalls wäre unverständlich, daß das FG im Anschluß an seine Äußerung, der Projektierungsvertrag begründe keine Leistungspflicht der X zugunsten der Klägerin, den Hinweis in die Vorentscheidung aufgenommen hat, die Klägerin habe nicht darlegen können, welche Leistung die X ihr gegenüber habe erbringen wollen. Die zuletzt angeführte Äußerung ist nur auf der Grundlage der Bereitschaft des FG sinnvoll, das Vorliegen einer Leistung der X an die Klägerin trotz des Fehlens einer entsprechenden Leistungspflicht im Projektierungsvertrag in Betracht zu ziehen.
b) Nach der Meinung der Klägerin liegt eine Divergenz ebenfalls insoweit vor, als das FG angenommen hat, es gelte ausnahmslos die Regel, daß Leistungsempfänger sei, wer einen Anspruch auf die Leistung habe, wobei das FG zwar verbal die Möglichkeit einer Ausnahme eingeräumt ("regelmäßig"), aber das Vorliegen einer solchen Möglichkeit noch nicht einmal geprüft habe. Hierin liege eine Abweichung vom BFH-Urteil vom 1. Juni 1989 V R 72/84 (BFHE 157, 255, BStBl II 1989, 677), weil der BFH die Ermittlung des Leistungsempfängers darauf abgestellt habe, wer die Leistung tatsächlich erhält.
Auch in dieser Hinsicht ist durch die Klägerin der Vorentscheidung ein Rechtssatz zugeordnet worden, für den die Ausführungen des FG keine Grundlage bieten. Mit der erörterten Rüge unterstellt die Klägerin, daß das FG trotz gegenteiliger Aussage ("verbal") für die Bestimmung des Leistungsempfängers eigentlich von ausnahmsloser Maßgeblichkeit der Inhaberschaft eines Leistungsausspruchs ausgegangen sei. Hierfür bietet die Vorentscheidung keinen Anlaß. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß das FG die durch "regelmäßig" zum Ausdruck gebrachte Anerkennung der Möglichkeit von Ausnahmen nicht ernstgemeint hätte, zumal vom FG eine Leistungsbewirkung ohne zugrunde liegende Leistungsverpflichtung in Betracht gezogen worden ist (s. unter 2. a).
c) Die Klägerin macht ferner geltend, die Vorentscheidung beruhe auch auf dem Rechtssatz, daß ein Unternehmer nicht durch eine Handlung gleichzeitig mehrere Leistungen an unterschiedliche Empfänger erbringen könne, wogegen der BFH in seinem Urteil vom 15. Juli 1987 X R 13/80 (BFH/NV 1988, 56) dies für möglich gehalten habe.
Der von der Klägerin für die Vorentscheidung gebildete Rechtssatz findet in dieser keinerlei Grundlage. Den Ausführungen des FG in den Entscheidungsgründen seines Urteils ist kein Anhalt für die Annahme zu entnehmen, daß die Verneinung einer Leistungsbewirkung der X an die Klägerin etwas mit der Erwägung zu tun hätte, an die Klägerin könne schon deswegen von der X nicht geleistet worden sein, weil das insoweit in Betracht kommende Leistungsverhalten der X zu Leistungen an Dritte geführt habe.
d) Divergenz nimmt die Klägerin auch im Hinblick darauf an, daß das angefochtene Urteil auf dem Rechtssatz beruhe, eine von einem anderen als dem Leistungsempfänger gewährte Zahlung stelle Entgelt i. S. des § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG 1973 dar, wenn der Zahlende ein wirtschaftliches Interesse an der Tätigkeit des Zahlungsempfängers habe. Aus ihrem, der Klägerin, Interesse an der Tätigkeit der X, so heißt es weiter, habe das FG gefolgert, daß eine Leistung der X an die Klägerin nicht vorliegen könne.
Nach dem BFH-Urteil vom 9. Dezember 1987 X R 39/81 (BFHE 152, 280, BStBl II 1988, 471), so führt die Klägerin ferner aus, ergebe sich aus dem vom Zahlenden verfolgten Zweck eine andere Rechtsfolge, und zwar: Wenn der Zahlende nicht bezwecke, den die Zahlung empfangenden Unternehmer in dessen Interesse zu fördern, so liege es nahe, daß eine Leistung abgegolten werden solle (Zahlung für ein Verhalten des Unternehmers, an dem der Zahlende ein eigenes Interesse hat).
Bei der Wiedergabe des der Vorentscheidung entnommenen Rechtssatzes ist der Klägerin vermutlich ein Mißverständnis unterlaufen. Die Bemerkungen des FG im Zusammenhang mit § 10 Abs. 1 Satz 3 UStG 1973 haben offensichtlich den Hinweis der Klägerin entkräften sollen, daß aufgrund der von der Klägerin an die X geleisteten Zahlungen zwangsläufig von einer Leistung der X an die Klägerin ausgegangen werden müsse, so daß fraglich ist, ob überhaupt eine die Vorentscheidung tragende Äußerung des FG vorliegt. Abgesehen davon hat das FG mit der zitierten Vorschrift offensichtlich belegen wollen, daß das UStG 1973 selbst von der Möglichkeit ausgeht, daß ein nicht den Leistungsempfänger darstellender Dritter -- das Entgelt erhöhende -- Zahlungen an den Leistenden erbringen kann, z. B. wenn der Zahlende ein eigenes Interesse an dem Leistungsverhalten des Zahlungsempfängers hat. Diese Ausführungen lassen sich nicht, wie es seitens der Klägerin geschehen ist, in dem Sinne deuten, das FG habe zum Ausdruck gebracht, aus dem Interesse der Klägerin an der Tätigkeit der X folge, daß eine Leistung der X an die Klägerin nicht vorliege.
3. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin kann schließlich insoweit keinen Erfolg haben, als sich die Klägerin auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) beruft. In dieser Beziehung hat die Klägerin nicht die formellen Anforderungen aus § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO an die Begründung einer auf den erörterten Zulassungsgrund gestützten Nichtzulassungsbeschwerde erfüllt (vgl. hierzu Gräber/Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 55 ff. und 7 ff.).
Ein Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts kann nicht durch den Hinweis der Klägerin auf die Höhe des umstrittenen Steuerbetrages und ihr, der Klägerin, hierdurch begründetes erhebliches wirtschaftliches Interesse am Verfahrensausgang dargelegt werden, und zwar selbst dann nicht, wenn dieser Hinweis durch die Bemerkung ergänzt wird, daß es die Aufgabe des Steuerrechts sei, die gerechte finanzielle Beteiligung des Bürgers an den Staatsausgaben zu regeln. Auch unter Berücksichtigung dessen ist davon auszugehen, daß grundsätzlich die Allgemeinheit den Ausgang eines einzelnen Verfahrens nicht als ihre Angelegenheit ansieht.
Aus der von der Klägerin ferner vorgenommenen Zuordnung des Tatbestandsmerkmals Leistung im Umsatzsteuerrecht zu den unbestimmten Rechtsbegriffen, wobei die Richtigkeit hier dahingestellt bleiben kann, läßt sich ferner nicht mit Erfolg herleiten, daß die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe eine Würdigung aller Einzelumstände erfordere, so daß für jedes diesbezügliche Verfahren die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO erfüllt seien. Mit dieser von der Klägerin angestellten Erwägung wird übersehen, daß der Begriff der Leistung bereits durch eine Vielzahl von einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidungen zu den einzelnen Begriffselementen in weiten Bereichen geklärt ist, so daß schon von daher die grundsätzliche Bedeutung nicht schlechthin anzuerkennen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 418683 |
BFH/NV 1995, 748 |