Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für sog. "dualen Ausbildungsgang"
Leitsatz (NV)
1. Ein Kind befindet sich (weiterhin) in Berufsausbildung, wenn es nach erfolgreichem Abschluss einer ersten Ausbildung eine weitere Ausbildung beginnt oder fortsetzt, ohne dass es darauf ankommt, ob diese als eigenständige zweite Ausbildung anzusehen ist oder als zweiter Abschnitt einer einheitlichen Ausbildung.
2. Für die Frage, ob eine Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gegeben ist, kommt es nicht darauf an, ob das Kind im konkreten Einzelfall deshalb nicht auf Unterhaltszahlungen der Eltern angewiesen ist, weil es in Form eigener Einkünfte oder Bezüge über eigene Mittel verfügt.
3. Sind im Fall des Überschreitens des Jahresgrenzbetrags die Einkünfte und Bezüge eines Kindes in den einzelnen Berücksichtigungsmonaten unterschiedlich hoch, ist es nach dem Jahresprinzip ausgeschlossen, Kindergeld für einzelne Monate zu gewähren, in denen keine oder nur geringe Einkünfte oder Bezüge zugeflossen sind.
Normenkette
EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 15.05.2007; Aktenzeichen 14 K 3643/06 Kg) |
Tatbestand
I. Die Tochter (T) des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) schloss 1999 mit der B-GmbH einen "Berufsausbildungsvertrag zur Betriebswirtin (VWA)". Danach begann die Ausbildung am 1. August 2000 und sollte am 31. Juli 2003 enden. Die Ausbildung war in zwei Abschnitte gegliedert. Der erste Abschnitt von zwei Jahren (vier Semestern) umfasste die betriebspraktische und theoretische Vorbereitung auf die Prüfung zur Industriekauffrau und endete mit dieser Prüfung vor der Industrie- und Handelskammer (IHK); er erfolgte entsprechend dem ebenfalls 1999 mit der B-GmbH abgeschlossenen Berufsausbildungsvertrag. Der zweite Abschnitt umfasste ein Jahr (zwei Semester) und beinhaltete die Vertiefung der theoretischen und betriebspraktischen Ausbildung zur Vorbereitung auf die Diplomprüfung als "Betriebswirtin (VWA)". Während der Ausbildungszeit sollte T an den Lehrveranstaltungen der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie (VWA) für Abiturienten teilnehmen und hierfür von dem Ausbildungsbetrieb freigestellt werden. Die Prüfung zur Industriekauffrau sollte als Zwischenprüfung im Rahmen der Ausbildung zur Betriebswirtin (VWA) gelten. Die Höhe der monatlichen Vergütung sollte im ersten Jahr 1 227 DM brutto, im zweiten Jahr 1 314 DM brutto und im dritten Jahr 3 078 DM brutto betragen.
Im Juni 2002 bestand T die Prüfung zur Industriekauffrau. Die Bruttobezüge bis Juni 2002 betrugen 4 534,26 €, die Bruttoeinkünfte für das gesamte Jahr 2002 17 681,18 €.
2003 hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) die Festsetzung des Kindergeldes ab Januar 2002 auf und forderte das für die Monate Januar bis Juli 2002 bereits gezahlte Kindergeld zurück. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (Beurteilung sog. "dualer Ausbildungsgänge" für das Kindergeld) und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (Divergenz des Urteils des Finanzgerichts --FG-- zu dem Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen.
Die Revision ist weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) zuzulassen.
1. Der Kläger hält es für grundsätzlich bedeutsam zu klären, für welche Zeiträume der sog. "neueren dualen Ausbildungsgänge", bei denen dem Auszubildenden durch erfolgreichen Abschluss des ersten Ausbildungsabschnitts unabhängig vom späteren Erfolg oder Misserfolg des Studiums bereits eine wirtschaftliche Existenzgrundlage gesichert werde, ein Kindergeldanspruch besteht. Der Umstand, dass ein Kind im zweiten Abschnitt einer solchen dualen Ausbildung aufgrund der Vollzeitanstellung nach bestandener Prüfung unabhängig von den Eltern wirtschaftlich existieren könne, müsse dazu führen, dass diese Zeiten bei der Berechnung des Grenzbetrags unberücksichtigt blieben.
Die damit aufgeworfenen Rechtsfragen rechtfertigen keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Sie sind nicht klärungsbedürftig, da sie sich aus dem Gesetz ergeben und durch den BFH bereits entschieden sind:
a) Dies gilt zunächst für die Frage, ob sich ein Kind, das eine sich in zwei Abschnitte gliedernde --vom Kläger als "neueren dualen Ausbildungsgang" bezeichnete-- Ausbildung durchläuft, während der gesamten Ausbildungszeit in Berufsausbildung befindet. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH befindet sich in Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG), wer seine Berufsziele noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft darauf vorbereitet. Einzubeziehen sind alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufes geeignet sind. Erfasst werden auch Maßnahmen, die aus der maßgeblichen Sicht der Eltern und des Kindes geeignet sind, die berufliche Stellung des Kindes zu verbessern (z.B. Senatsurteil vom 24. Juni 2004 III R 3/03, BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294). Danach bedarf es keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass sich ein Kind (weiterhin) in Berufsausbildung befindet, wenn es nach erfolgreichem Abschluss einer ersten Ausbildung eine weitere Ausbildung beginnt oder fortsetzt, ohne dass es darauf ankommt, ob diese als eigenständige zweite Ausbildung anzusehen ist oder als zweiter Abschnitt einer einheitlichen Ausbildung.
b) Nicht klärungsbedürftig ist auch, welche Zeiträume bei der Berechnung des Grenzbetrags in einem solchen Fall zu berücksichtigen sind. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind die Einkünfte und Bezüge des Kindes für alle Monate zu ermitteln, in denen es die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG erfüllt. In der Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, dass es für die Frage, ob eine Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gegeben ist, nicht darauf ankommt, ob das Kind im konkreten Einzelfall deshalb nicht auf Unterhaltszahlungen seiner Eltern angewiesen ist, weil es in Form eigener Einkünfte oder Bezüge über ausreichende eigene Mittel verfügt. Daher schließt selbst eine Vollzeiterwerbstätigkeit neben einem ernsthaft und nachhaltig betriebenen Studium die Berücksichtigung als Kind in der Berufsausbildung nicht aus (z.B. BFH-Urteile vom 26. November 2003 VIII R 30/03, BFH/NV 2004, 1223; vom 17. Februar 2004 VIII R 84/03, BFH/NV 2004, 1229; vom 16. März 2004 VIII R 65/03, BFH/NV 2004, 1522; vom 30. November 2004 VIII R 9/04, BFH/NV 2005, 860; vom 14. Dezember 2004 VIII R 44/04, BFH/NV 2005, 1039; Senatsbeschluss vom 31. Juli 2008 III B 64/07, juris). Sind im Fall des Überschreitens des Jahresgrenzbetrags die Einkünfte und Bezüge eines Kindes in den einzelnen Berücksichtigungsmonaten unterschiedlich hoch, ist es nach dem Jahresprinzip ausgeschlossen, Kindergeld für einzelne Monate zu gewähren, in denen keine oder nur geringe Einkünfte oder Bezüge zugeflossen sind (Senatsbeschlüsse vom 13. August 2007 III S 9/07 (PKH), BFH/NV 2007, 2114; vom 31. Juli 2008 III B 64/07, juris).
2. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Eine die einheitliche Rechtsprechung gefährdende Abweichung i.S. der 2. Alternative des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegt nur vor, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH (z.B. BFH-Beschluss vom 1. April 2008 X B 154/04, BFH/NV 2008, 1116). Der vorliegende Sachverhalt ist jedoch dem nicht vergleichbar, der dem Urteil des BFH in BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473 zugrunde lag. Dort war der Sohn des Klägers nach Ablegung der letzten Prüfungsleistung, aber noch vor Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses, in Vollzeit in den aufgrund der Ausbildung angestrebten Beruf eingetreten, hatte sein Berufsziel also bereits erreicht. Zu entscheiden war allein die Frage, ob der Sohn seine Berufsausbildung erst mit Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses oder bereits mit Eintritt in den Beruf beendet hatte. Demgegenüber war das Berufsziel der T im vorliegenden Fall mit Bestehen der Prüfung vor der IHK gerade noch nicht erreicht; vielmehr diente der zweite Ausbildungsabschnitt der Vorbereitung auf die Diplomprüfung als "Betriebswirtin (VWA)". Das FG ist daher nicht von dem Urteil des BFH in BFHE 191, 557, BStBl II 2000, 473 abgewichen, wenn es davon ausgeht, dass T sich auch nach Bestehen der Prüfung vor der IHK weiterhin in Berufsausbildung befunden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 2069617 |
BFH/NV 2009, 16 |