Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifierung von Aminosäure-Mischungen
Leitsatz (NV)
Zur Abgrenzung zwischen Arzneiwaren und Lebensmittelzubereitungen im zolltariflichen Sinne, hier bezogen auf Mischungen von Aminosäuren in Pulverform für die Herstellung von Infusionslösungen (Vorlage an EuGH).
Normenkette
GZT Tarifst. 30.03 A II b; GZT Tarifnr. 21.07; GZT Vorschrift 1 zu Kap. 30; GZT Vorschrift 1d zu Kap. 21
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) meldete im März 1987 aus ihrem offenen Zollager entnommene, als Amino Acid ... Mixture ... bezeichnete Waren - dosierte, pulverförmige, sterile Mischung verschiedener Aminosäuren für die Herstellung von Infusionslösungen - als (andere) Arzneiwaren, nicht in Aufmachungen für den Einzelverkauf, der Code-Nr. 3003 290 90 des Deutschen Gebrauchszolltarifs (= Tarifstelle 30.03 A II b des Gemeinsamen Zolltarifs - GZT -) an. Das beklagte und revisionsklagende Hauptzollamt (HZA) wertete die Waren als andere Lebensmittelzubereitungen der Tarif-Nr. 21 07 GZT und erhob dafür Zoll nach (Bescheid vom 22. März 1990, Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 1991).
Das Finanzgericht (FG) billigte die Tarifauffassung der Klägerin und gab ihrer Klage statt (EFG 1992, 774).
Mit der Revision gegen dieses Urteil macht das HZA geltend, im maßgebenden Zeitpunkt liege noch kein Fertigerzeugnis zur parenteralen künstlichen Ernährung vor. Nach der Beschaffenheit handele es sich um Lebensmittelzubereitungen, die nur peroral zugeführt werden könnten. Unerheblich sei, ob sie genießbar seien. Im übrigen habe das FG den Eindruck, daß die Waren (peroral) ungenießbar seien, aus der Verkostung eines anderen Aminosäurepulvers gewonnen. Als unfertige Infusionslösungen könnten die Erzeugnisse nicht angesehen werden, zumal auch eine andere Verarbeitung möglich sei.
Entscheidungsgründe
Im Streitfall sind gemeinschaftsrechtliche Vorschriften - GZT 1987 - anzuwenden, deren Auslegung zweifelhaft erscheint. Der Senat ist somit verpflichtet, den Gerichtshof um eine entsprechende Vorabentscheidung zu ersuchen (Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft).
Für die Entscheidung über die Revision kommt es darauf an, ob die Erzeugnisse, die die Klägerin ihrem Zollager entnommen hat, zolltariflich Lebensmittelzubereitungen - so das HZA - oder, wie die Vorinstanz entschieden hat, Arzneiwaren sind.
Arzneiwaren sind nach der hier maßgebenden Begriffsbestimmung in Vorschrift 1 zu Kapitel 30 GZT 1987 zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken gemischte oder - unter bestimmten weiteren Voraussetzungen - lediglich geeignete ungemischte Erzeugnisse, jedoch nicht Lebensmittel ... (z.B. diäteische oder angereicherte Lebensmittel, Lebensmittel für Diabetiker ...).
Der Senat hat Bedenken, Mischungen von Aminosäuren in Pulverform als Lebensmittel (alliments, foods; Nahrungsmittel im Sinne von Anm. 1a zu Kapitel 30 der jetzt geltenden Kombinierten Nomenklatur) anzusehen. Zwar rechnen Lebensmittelzubereitungen von Eiweiß- oder anderen Nährstoffen mit Ausnahme von nicht peroral zu verabreichenden Erzeugnissen nach den zolltariflichen Erläuterungen (zu Tarif-Nr. 30.03 Teil I Rz. 31, 9) nicht zu den Arzneiwaren, doch handelt es sich bei den Aminosäuren noch nicht um Eiweiße, sondern lediglich um deren Bausteine (vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 257. Aufl., S. 52), chemische Erzeugnisse der Tarifstelle 29.23 D GZT 1987. Ihr Nährwert macht sie nicht notwendig zu Lebensmitteln bzw. Nährstoffen (vgl. auch das in anderem zolltariflichen Zusammenhang ergangene Urteil des Gerichtshofs vom 30. Januar 1992 C - 14/91, Sammlung 1992 I, 441). Näher liegt die Annahme, daß die Erzeugnisse beschaffenheitsmäßig ausschließlich für eine medizinische Verwendung (Therapie oder Prophylaxe) in Betracht kommen, sie somit Arzneiwaren sind. Selbst wenn daneben noch die Tarif-Nr. 21.07 GZT 1987 heranzuziehen wäre, würde eine entsprechende Einreihung ausscheiden (Vorschrift 1d zu Kapitel 21).
Andererseits ist diese Auslegung nicht unzweifelhaft. Das HZA hat nachgewiesen, daß gleichartige Erzeugnisse jedenfalls in den Niederlanden - anders wohl in Belgien - als Lebensmittelzubereitungen (der Position 2106 des jetzigen Zolltarifs) tarifiert und im Rahmen des Rates für die gegenseitige Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens als foodstuffs... with nutritive value behandelt werden.
Aufgrund dessen hat der Senat beschlosen, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 177 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist der Gemeinsame Zolltarif (1987) dahin auszulegen, daß die Tarif-Nr. 30.03 (hier: Tarifstelle 30.03 A IIb) als ,Arzneiwaren Erzeugnisse wie dosierte, pulverförmige, sterile Mischungen verschiedener Aminosäuren für die Herstellung von Infusionslösungen erfaßt?
2. Verneinendenfalls:
Ist der Gemeinsame Zolltarif (1987) dahin auszulegen, daß Waren der in Frage 1 bezeichneten Art als ,andere Lebensmittelzubereitungen von der Tarif-Nr. 21.07 erfaßt werden?
Fundstellen
Haufe-Index 419528 |
BFH/NV 1994, 432 |