Leitsatz (amtlich)
1. Ein Rechtsanwalt kann im finanzgerichtlichen Verfahren einen zu niedrigen Streitwert nach § 9 Abs. 2 BRAGebO aus eigenem Recht im eigenen Namen anfechten.
2. Hat der Steuerpflichtige nicht die Kosten des Verfahrens zu tragen, so kann er seinerseits jedoch nicht zugunsten seines Rechtsanwalts, der ihn im Prozeß vertreten hatte, die Festsetzung eines höheren Streitwerts begehren.
Normenkette
FGO § 139 Abs. 3, § 146; BRAGO § 9 Abs. 1-2; AO a.F. § 316
Tatbestand
Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt. Das FG stellte durch Beschluß vom 24. Januar 1969 das Verfahren ein, legte die Kosten des Verfahrens dem FA auf und setzte den Streitwert auf 2 534 DM fest.
Das FA legte gegen den Streitwertbeschluß Beschwerde ein. Das FG half der Beschwerde ab und setzte den Streitwert auf 1 408 DM herab.
Rechtsanwalt X, der Prozeßbevollmächtigte des Steuerpflichtigen im erledigten Hauptverfahren und vorangegangenen Beschwerdeverfahren, führte daraufhin im Schriftsatz vom 16. Juni 1969 aus, daß er gegen den Beschluß des FG Beschwerde einlege mit dem Antrag, unter Abänderung des angefochtenen Bescheids den Wert des Streitgegenstandes auf 2 624 DM festzusetzen. Auf Anfrage der Geschäftsstelle des Senats, ob der Steuerpflichtige auch in diesem Verfahren von ihm vertreten werde, reichte der Rechtsanwalt eine Prozeßvollmacht des Steuerpflichtigen dem Senat ein. Er wies das FA, das ihn in einem Schriftsatz als Beschwerdeführer bezeichnet hatte, ausdrücklich darauf hin, daß es sich hier nicht um einen Rechtsstreit zwischen ihm und dem FA, sondern um die Beschwerde des Steuerpflichtigen handle.
Der Vorsitzende des Senats machte den Rechtsanwalt unter Hinweis auf die Ausführungen von Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 29. Aufl., Einführung zu §§ 3 bis 9, Anm. 2 B b) cc) darauf aufmerksam, daß es zweifelhaft sei, ob der Steuerpflichtige durch den angefochtenen Beschluß beschwert sei. Er bat ihn deshalb um Auskunft, ob er für das Hauptverfahren eine von der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO) abweichende Honorarvereinbarung mit seinem Mandanten getroffen habe. Der Bevollmächtigte teilte daraufhin mit, er habe nur für das Einspruchsverfahren, nicht aber für das Klageverfahren vor dem FG ein von der BRAGebO abweichendes Honorar vereinbart. Er habe im übrigen "ganz allgemein" Beschwerde gegen den Beschluß des FG eingelegt. Die Beschwerde habe "selbstverständlich zunächst den Charakter einer Beschwerde nach § 9 Abs. 2 BRAGebO" gehabt. Auf die Anfrage der Geschäftsstelle des Senats habe er "wunschgemäß eine Vollmacht (seines) ... Mandanten überreicht und damit klargestellt", daß sich sein Mandant der Beschwerde anschließe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Nach § 146 Abs. 1 Satz 2 FGO wird ein Streitwert durch Beschluß des Gerichts festgesetzt, wenn ein Beteiligter dies beantragt oder das Gericht es für angemessen erachtet. Gegen den Streitwertbeschluß des FG ist nach § 146 Abs. 3 FGO die Beschwerde gegeben, auch wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 50 DM nicht übersteigt (vgl. Entscheidungen des BFH I B 11/66 vom 25. Januar 1967, BFH 88, 19, BStBl III 1967, 253, und III B 56/67 vom 6. Oktober 1967, BFH 90, 284, BStBl II 1968, 65).
Wie jedes andere Rechtsmittel setzt auch die Beschwerde in diesen Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers voraus. Wer einen Streitwertbeschluß angreift, muß ein eigenes rechtliches Interesse an der Änderung der Streitwertfestsetzung haben. Ein Steuerpflichtiger ist in der Regel durch eine zu hohe Streitwertfestsetzung beschwert, wenn er die Kosten des Rechtsstreits ganz oder teilweise zu tragen hat, da sich die gerichtlichen Gebühren nach § 10 Abs. 1 GKG und bei Vertretung durch einen Rechtsanwalt auch die Gebühren nach § 9 Abs. 1 BRAGebO nach der Höhe des Streitwerts richten. Hat der Steuerpflichtige hingegen wegen Obsiegens oder aus anderen Gründen, wie insbesondere bei Erledigung der Hauptsache nach § 138 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO, keine Kosten zu tragen, so besteht in der Regel für eine Beschwerde des Steuerpflichtigen gegen eine zu niedrige Streitwertfestsetzung kein Rechtsschutzbedürfnis, auch wenn er im Rechtsstreit von einem Rechtsanwalt vertreten worden war. Der Steuerpflichtige hat an der Streitwertänderung kein eigenes unmittelbares Interesse, da er nicht mit gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten belastet ist. Sein Rechtsanwalt kann dagegen an der Festsetzung eines höheren Streitwerts interessiert sein, da sich der Betrag der ihm nach § 139 Abs. 3 Satz 1 FGO zu erstattenden Gebühren nach der Höhe des Streitwerts richtet. Der Steuerpflichtige ist zwar aufgrund des Auftrags- und Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und dem Rechtsanwalt verpflichtet, den Kostenerstattungsanspruch zugunsten seines Anwalts im weitest möglichen Umfang geltend zu machen. Er ist aber nicht gehalten, gegen einen zu niedrigen Streitwert Beschwerde einzulegen. Denn der Rechtsanwalt kann in diesem Fall nach § 9 Abs. 2 BRAGebO den Streitwertbeschluß aus eigenem Recht im eigenen Namen anfechten. Es widerspricht den Interessen des Steuerpflichtigen, für seinen Rechtsanwalt einen Rechtsstreit wegen eines zu niedrigen Streitwerts zu führen und sich mit dem Kostenrisiko eines Prozesses zu belasten, den der Rechtsanwalt aus eigenem Recht hätte führen können. Unterliegt der Steuerpflichtige nämlich mit der Beschwerde, so muß er die Gerichtskosten tragen und, falls er im Beschwerdeverfahren von seinem Rechtsanwalt vertreten wurde, auch dessen Gebühren und Auslagen nach der BRAGebO bezahlen, obwohl der Rechtsstreit nur die wirtschaftlichen Belange des Rechtsanwalts betrifft.
Anders ist die Rechtslage, wenn ein Steuerpflichtiger mit seinem Rechtsanwalt eine Vereinbarung über ein von der BRAGebO abweichendes höheres Honorar getroffen hat, und die nach der Streitwertfestsetzung bemessenen Gebühren das vereinbarte Honorar nicht erreichen. Dann hat der Steuerpflichtige in der Regel ein eigenes unmittelbares Interesse an der Festsetzung eines höheren Streitwerts, weil sich durch die Erhöhung des Streitwerts auch die nach § 139 Abs. 3 FGO zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren erhöhen. Die Frage, ob der Rechtsanwalt in einem solchen Fall selbst Beschwerde nach § 9 Abs. 2 BRAGebO einlegen könnte, kann dahingestellt bleiben.
Diese Ansicht des Senats stimmt überein mit der herrschenden Meinung der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur (vgl. z. B. Beschluß des RG VI 122/88 vom 10. Dezember 1888, RGZ 22, 425; RG-Beschluß VI 121/93 vom 2. Oktober 1893, RGZ 31, 419; Beschluß des Kammergerichts 1 W 1680/55 vom 16. Juni 1955, Rechtspfleger 1956 S. 87; Baumbach-Lauterbach, a. a. O., Einführung §§ 3 bis 9, Anm. 2 B; Willenbücher, Kostenfestsetzungsverfahren und Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 16. Aufl., § 9 Anm. 17; Gerold-Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 3. Aufl., § 9 Anm. 70 und 100), der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur (OVG Münster, Beschluß vom 24. Januar 1950, Die Öffentliche Verwaltung 1950 S. 595 - DÖV 1950, 595 -; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluß vom 24. Dezember 1953, Neue Juristische Wochenschrift 1954 S. 616 - NJW 1954, 616 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluß vom 15. März 1962, DÖV 1962, 512; OVG Hamburg, Beschluß vom 17. September 1964, NJW 1965, 2267; Klinger, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl., § 165 Anm. C 3; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 4. Aufl., § 162 Anm. 17 am Schluß; Redeker-von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Aufl., § 165 Anm. 8) sowie den sonstigen Ausführungen in der Literatur (vgl. Götz, Rechtspfleger 1959 S. 371; Offerhaus, Deutsches Steuerrecht 1968 S. 449). Sie widerspricht auch nicht der bisherigen Rechtsprechung des BFH. Der BFH hatte schon zu den am 31. Dezember 1965 außer Kraft getretenen Vorschriften der Reichsabgabenordnung (AO) a. F. die Auffassung vertreten, daß ein Rechtsanwalt nach § 9 Abs. 2 BRAGebO Streitwertfestsetzungen kraft eigenen Rechts mit dem Ziel einer höheren Streitwertfestsetzung anfechten kann (vgl. BFH-Urteil I 10/58 S vom 16. Februar 1960, BFH 70, 388, BStBl III 1960, 145). Ob in einem solchen Fall auch der Steuerpflichtige Beschwerde einlegen kann, hat der BFH noch nicht entschieden.
Die Rechtsprechung zu § 316 AO a. F. hatte anderen Bevollmächtigten, die nach § 107a Abs. 1 AO a. F. zugelassen waren oder nach § 107a Abs. 2 Nr. 2 AO a. F. geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisteten, in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 2 BRAGebO ebenfalls ein eigenes Beschwerderecht wegen eines zu niedrigen Streitwerts gewährt (BFH-Urteil I 10/58, S, a. a. O.) und außerdem das Rechtsschutzbedürfnis auch für Beschwerden des Steuerpflichtigen bejaht, so z. B. wenn der Steuerpflichtige durch einen Steuerberater (BFH-Urteile II 190/54 S vom 30. März 1955, BFH 60, 415, BStBl III 1955, 158; IV 305/61 U vom 13. April 1962, BFH 75, 145, BStBl III 1962, 321, und III 4/62 vom 3. August 1962, HFR 1963, 178), einen vereidigten Buchprüfer (BFH-Urteil IV 44/58 U vom 9. November 1962, BFH 76, 214, BStBl III 1963, 76) oder eine berufsständische Genossenschaft (BFH-Urteil III 312/61 vom 9. Oktober 1964, StRK, Reichsabgabenordnung, § 320, Rechtsspruch 75) vertreten worden war. Der IV. Senat des BFH hat im Urteil IV 98/65 vom 4. April 1968 (BFH 93, 23, BStBl II 1968, 669) ein solches Beschwerderecht allerdings nur noch anerkannt, wenn der Steuerpflichtige mit seinem Steuerberater eine Gebührenvereinbarung getroffen hatte und die nach der Streitwertfestsetzung bemessenen Gebühren die vereinbarten Gebühren nicht erreichten. Der Senat braucht diese Fragen bei anderen Bevollmächtigten als Rechtsanwälten im Streitfall nicht abschließend zu entscheiden. Er hat im Streitfall nur über die Befugnis des Steuerpflichtigen zur Anfechtung eines angeblich zu niedrigen Streitwerts zu befinden, wenn der Steuerpflichtige im Prozeß durch einen Rechtsanwalt vertreten worden war.
Der Senat setzt sich mit seiner Rechtsauffassung auch nicht in Widerspruch zu dem zur FGO ergangenen Beschluß des V. Senats des BFH V B 29-32/68 vom 8. August 1968 (BFH 93, 266, BStBl II 1968, 778). Der V. Senat hatte in diesem Beschluß ein Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen für die im Interesse ihres Prozeßbevollmächtigten, eines Rechtsanwalts, eingelegte Beschwerde gegen einen Streitwertbeschluß des FG angenommen, weil die "Vorentscheidung zu Auseinandersetzungen im Kostenfestsetzungsverfahren oder zum Streit zwischen der Klägerin und ihrem Prozeßbevollmächtigten führen könnte". Es handelte sich dort aber um einen anderen Sachverhalt. Denn die Beschwerde der Steuerpflichtigen richtete sich nicht gegen einen zu niedrigen Streitwert, sondern dagegen, daß das FG einen einheitlichen Streitwert statt vier getrennter Streitwerte für jede der vier in der Hauptsache erledigten Klagen festgesetzt hatte, was für die Gebührenberechnung des Rechtsanwalts günstiger gewesen wäre.
2. Die Beschwerde, über die der Senat zu befinden hat, wurde von dem Rechtsanwalt nicht kraft eigenen Rechts, sondern namens und im Auftrag des von ihm vertretenen Steuerpflichtigen eingelegt. Der Schriftsatz vom 16. Juni 1969 konnte zwar zu Zweifeln Anlaß geben, ob der Rechtsanwalt das Rechtsmittel im Namen des Steuerpflichtigen oder nach § 9 Abs. 2 BRAGebO aus eigenem Recht erhoben hatte. Die Unsicherheit wurde jedoch durch Übersendung der Vollmacht des Steuerpflichtigen und durch den Schriftsatz des Rechtsanwalts beseitigt, in dem dieser ausdrücklich erklärte, es handele sich nicht um einen Rechtsstreit zwischen ihm und dem FA, sondern um die Beschwerde des Steuerpflichtigen. Diese eindeutige Erklärung kann der Prozeßbevollmächtigte nicht dadurch aus der Welt schaffen, daß er nachträglich die Rechtslage so darzustellen versucht, die Beschwerde habe "selbstverständlich zunächst den Charakter einer Beschwerde nach § 9 Abs. 2 BRAGebO" gehabt und er habe nur "wunschgemäß" eine Vollmacht seines Mandanten überreicht "und damit klargestellt", daß sich sein Mandant seiner Beschwerde anschließe. Eine von einem Rechtsanwalt mit dem Antrag auf Herabsetzung des Streitwerts eingelegte Beschwerde wird man zwar in der Regel als eine Beschwerde ansehen können, die der Rechtsanwalt nach § 9 Abs. 2 BRAGebO im eigenen Namen eingelegt hat (vgl. auch Beschluß des OVG Münster vom 24. Januar 1950, DÖV 1950, 595). Eine solche Deutung ist aber nicht möglich, wenn der Rechtsanwalt ausdrücklich dem Beschwerdegegner und dem Senat erklärt, er habe die Beschwerde im Namen und im Auftrag des Mandanten eingelegt (vgl. auch VGH Kassel, Beschluß vom 12. August 1963, Deutsches Verwaltungsblatt 1964 S. 600). Der Rechtsanwalt konnte sich auch nicht dem Rechtsmittel seines Mandanten anschließen. Denn ein Beteiligter kann nur durch Anschlußbeschwerde der Beschwerde der Gegenpartei, nicht aber der Beschwerde der auf seiner Seite stehenden Partei beitreten (vgl. auch Urteil des Senats III 59/64 vom 2. Februar 1968, BFH 93, 17, BStBl II 1968, 683, und Beschluß des OVG Hamburg vom 17. September 1964, NJW 1965, 2267 Nr. 18).
Der Steuerpflichtige erstrebt im Streitfall mit der Beschwerde die Festsetzung eines höheren Streitwerts. Hierfür bestände nach den obigen Ausführungen nur dann ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Steuerpflichtige eine von der BRAGebO abweichende Honorarvereinbarung getroffen hätte und die nach der angefochtenen Streitwertfestsetzung bemessenen Gebühren das vereinbarte Honorar nicht erreichten. Der Steuerpflichtige muß, wenn die Beschwerde zulässig sein soll, das Bestehen einer solchen Honorarvereinbarung von sich aus in der Beschwerdeschrift behaupten und im einzelnen darlegen (vgl. Gerold-Schmidt, a. a. O., § 9 Anm. 100). Die Beschwerde ist im vorliegenden Fall unzulässig, weil der Steuerpflichtige auf Anfrage dem Senat mitgeteilt hat, er habe für das Klageverfahren vor dem FG kein von der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte abweichendes Honorar vereinbart. Das mit dem Anwalt vereinbarte Sonderhonorar für das Einspruchsverfahren ist für die Zulässigkeit der Beschwerde ohne Bedeutung; denn der Streitwert wird für jede Instanz gesondert festgesetzt (v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 140 FGO Anm. 21).
Fundstellen
Haufe-Index 68742 |
BStBl II 1970, 324 |
BFHE 1970, 125 |