Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit der Rücknahme eines Einspruchs
Leitsatz (NV)
Es ist nicht klärungsbedürftig, dass die Rücknahme eines Einspruchs nicht allein deshalb unwirksam ist, weil die Rücknahmeerklärung Bestandteil einer als "Vergleich" bezeichneten Vereinbarung mit dem Finanzamt war.
Normenkette
AO 1977 § 362; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Rücknahme eines Einspruchs.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erzielte in den Streitjahren (1985 bis 1989) Einkünfte, mit denen sie nach der Auffassung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war. Das FA erließ deshalb Einkommensteuerbescheide, in denen es diese Einkünfte steuererhöhend berücksichtigte. Die Klägerin bestritt, in den Streitjahren im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt zu haben, und focht auf dieser Basis die Bescheide mit Einsprüchen an. Ebenso legte sie gegen weitere vom FA erlassene Steuerbescheide Einsprüche ein.
Im Verlauf der deswegen anhängigen Rechtsbehelfsverfahren kam es im November 1995 zu einer Besprechung zwischen den Beteiligten, an der die Klägerin und ihr damaliger steuerlicher Berater sowie für das FA der stellvertretende Amtsvorsteher sowie der Sachbearbeiter der Rechtsbehelfsstelle teilnahmen. Im Anschluss an diese Besprechung wurde ein Protokoll erstellt und u.a. von der Klägerin unterzeichnet, das folgenden Wortlaut hat:
"Der Finanzrechtsstreit wurde ausgiebig erörtert. Beide Parteien bekräftigten ihre Rechtsauffassung. Um langwierige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, einigten sich die Parteien auf folgenden Vergleich:
1. Das FA hilft den Einsprüchen wegen Einkommen- und Kirchensteuer 1983 und 1984, Umsatzsteuer 1983, 1984, 1989, 1990 sowie gegen die Gewerbesteuermessbescheide 1983 und 1984 ab.
2. (Die Klägerin) nimmt die Einsprüche gegen Einkommensteuer und Kirchensteuer 1985 ‐ 1989 sowie die Gewerbesteuermessbescheide 1985 ‐ 1989 zurück.
3. …"
Die weiteren Vereinbarungen betreffen die Festlegung der offenen Steuerschulden, deren vorgesehene Tilgung und die Aufhebung erfolgter Vollstreckungsmaßnahmen sowie den Erlass von Vollstreckungskosten, eine Billigkeitsregelung zur Berücksichtigung der nachzuzahlenden Umsatzsteuer und Gewerbesteuer als Betriebsausgaben und eine Erklärung des FA zur Einstellung eines eingeleiteten Strafverfahrens.
In Umsetzung dieser Vereinbarung erließ das FA in 1996 u.a. geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre. Diese Bescheide focht die Klägerin nach erfolglosem Einspruch mit der Klage an. Das Finanzgericht (FG) hat über die Klage noch nicht entschieden; das dort anhängige Verfahren ist gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt.
Am 31. August und am 1. September 1998 erließ das FA erneut geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, in denen es ―wiederum in Durchführung des "Vergleichs"― die Nachzahlungen von Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für die Streitjahre aus Billigkeitsgründen steuermindernd berücksichtigte. Die Änderungen in den Jahren 1996 und 1998 führten für alle Streitjahre zu einer Herabsetzung der zuvor festgesetzten Steuer.
Die Klägerin legte gegen die Änderungsbescheide vom 31. August und 1. September 1998 erneut Einspruch und Klage ein. Das FG wies die Klage mit der Begründung ab, dass die Klägerin durch die vorgenommenen Änderungen nicht beschwert sei. Die ursprünglichen Bescheide seien durch die Rücknahme der Einsprüche bestandskräftig geworden und könnten wegen § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 42 FGO nicht mehr überprüft werden. Die Rücknahme der Einsprüche sei wirksam, da die vom FG durchgeführte Beweisaufnahme ergeben habe, dass sie nicht durch einen unzulässigen Druck seitens des FA herbeigeführt worden sei. Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Sonstige Gründe für eine Zulassung der Revision hat die Klägerin nicht in der gehörigen Form bezeichnet.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil u.a. dann zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Voraussetzung hierfür ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass die Entscheidung des konkreten Einzelfalls von der Beantwortung einer Rechtsfrage abhängt, die im Interesse einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts der höchstrichterlichen Klärung bedarf (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 7, m.w.N.). Das ist nicht der Fall, wenn es um eine Frage geht, die sich unmittelbar aus dem Gesetz oder der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantworten lässt. Eine solche Gestaltung liegt im Streitfall vor.
Nach § 362 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 kann ein Einspruch bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zurückgenommen werden. Die Rücknahmeerklärung bedarf der Schriftform (§ 362 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 357 Abs. 1 AO 1977) und hat den Verlust des Einspruchs zur Folge (§ 362 Abs. 2 AO 1977). Sie kann nicht widerrufen oder zurückgenommen werden, ist aber unwirksam, wenn der Erklärende nicht handlungsfähig war oder wenn die Finanzbehörde ihn durch unlautere Mittel zur Abgabe der Erklärung veranlasst hat (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 362 AO Tz. 18 f., m.w.N.). Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage stellt sich in diesen Punkten nicht.
Eine solche ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht daraus, dass die im Streitfall von der Klägerin abgegebene Rücknahmeerklärung Bestandteil einer Vereinbarung war, die die Beteiligten als "Vergleich" bezeichnet haben. Es trifft zwar zu, dass nach der Rechtsprechung des BFH Vergleiche im Steuerrecht grundsätzlich unzulässig sind (BFH-Urteil vom 11. Dezember 1984 VIII R 131/76, BFHE 142, 549, BStBl II 1985, 354, 357, m.w.N.) und dass bindende Verständigungen nur insoweit getroffen werden können, als es um Umstände tatsächlicher Art geht (BFH-Urteile vom 6. Februar 1991 I R 13/86, BFHE 164, 168, BStBl II 1991, 673; vom 31. Juli 1996 XI R 78/95, BFHE 181, 103, BStBl II 1996, 625, jeweils m.w.N.). Von diesem Grundsatz wird die im Streitfall maßgebliche Frage indessen nicht berührt.
Denn bei der Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von Vergleichen einerseits und zur "tatsächlichen Verständigung" andererseits geht es allein darum, ob und ggf. unter welchen Umständen Absprachen zwischen dem Bürger und der Behörde bindend sein können, die im Vorfeld des förmlichen Verfahrensabschlusses getroffen werden. Die dort behandelte Frage ist also lediglich, ob die Verfahrensbeteiligten stets bis zur Bestandskraft der behördlichen Entscheidung von ihren jeweiligen Standpunkten abrücken können oder ob unter bestimmten Voraussetzungen nach Treu und Glauben schon zu einem früheren Zeitpunkt eine Bindungswirkung eintritt. Hiervon unabhängig bleibt hingegen der im Streitfall maßgebliche Umstand, dass jedenfalls die förmliche Rücknahme eines Rechtsbehelfs zur Unanfechtbarkeit des zunächst angefochtenen Verwaltungsakts führt. Es bedarf keiner Klärung durch ein Revisionsverfahren, dass diese unmittelbar aus dem Gesetz ersichtliche Rechtsfolge auch dann eintritt, wenn die Rücknahmeerklärung Bestandteil eines "Vergleichs" zwischen Bürger und Behörde ist.
Ebenso besteht kein Raum für die Annahme der Klägerin, dass in einer solchen Situation die Unwirksamkeit des Vergleichs zur Unwirksamkeit der Rücknahmeerklärung führe. Die Gründe, die zur Unwirksamkeit einer Rücknahmeerklärung führen können, sind vielmehr durch die gefestigte Rechtsprechung des BFH abschließend bestimmt. Die Einbindung der Erklärung in einen als solchen unwirksamen ―und deshalb nicht bindenden― Vergleich zählt hierzu nicht. Die "vergleichsweise" Einigung ist vielmehr allenfalls das Motiv für die Rücknahme des Rechtsbehelfs. Auf die Beweggründe für die Abgabe einer Verfahrenserklärung kommt es indes für deren Wirksamkeit nicht an. Der von der Klägerin in Anspruch genommene § 59 Abs. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ist für den Streitfall schon deshalb ohne Bedeutung, weil er nur den vertraglichen Vergleich betrifft, der im Steuerverfahrensrecht nicht vorgesehen ist. Im Ergebnis lässt sich deshalb auch diese Frage aus dem Gesetz und der schon vorhandenen Rechtsprechung beantworten, so dass ihr keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.
2. Eine Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung) hat die Klägerin nicht ausreichend bezeichnet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Dasselbe gilt hinsichtlich der von ihr gerügten Verfahrensmängel. Der Senat verzichtet auf weitere Ausführungen dazu, da solche nicht geeignet wären, zur Klärung der Voraussetzungen für eine Revisionszulassung beizutragen (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 648935 |
BFH/NV 2002, 7 |