Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Bindungswirkung eines die Festsetzung von Kindergeld aufhebenden Bescheids
Leitsatz (NV)
1. Ein bestandskräftiger Bescheid, mit dem die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld im laufenden Kalenderjahr wegen der den Jahresgrenzbetrag voraussichtlich übersteigenden Einkünfte und Bezüge des Kindes aufgehoben hat, ist nicht nach § 70 Abs. 4 EStG zu ändern, wenn der Jahresgrenzbetrag allein deshalb unterschritten wird, weil sich hinsichtlich der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge des Kindes die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geändert hat.
2. Die Frage des Umfangs der Bindungswirkung in Fällen, in denen der Aufhebungsbescheid aufgrund einer Einspruchseinlegung erst mit dem Ergehen der Einspruchsentscheidung bestandskräftig wird, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Im Juni 2004 hob die beklagte Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld für den Sohn (S) des Antragstellers ab Januar 2004 auf. Da seit 1. Januar 2004 Aufwendungen für eine sog. unechte doppelte Haushaltsführung nicht mehr als Werbungskosten abziehbar seien, werde S im Streitjahr 2004 Einkünfte und Bezüge von mehr als 7.680 € haben. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse durch Einspruchsentscheidung vom 21. September 2004 als unbegründet zurück. Es sei offensichtlich, dass die Einkünfte von S ohne Berücksichtigung der Werbungskosten für doppelte Haushaltsführung den Jahresgrenzbetrag überschreiten würden. Daher sei die Festsetzung des Kindergeldes bereits vor Ablauf des Jahres 2004 aufgehoben worden, um weitere Überzahlungen zu vermeiden. Klage erhob der Antragsteller nicht.
Unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) beantragte der Antragsteller im Dezember 2005 erneut die Festsetzung von Kindergeld für das Jahr 2004. Daraufhin setzte die Familienkasse ab Oktober 2004 Kindergeld für S fest und lehnte den Antrag für die Monate Januar bis September 2004 unter Hinweis auf die Bestandskraft der Einspruchsentscheidung vom September 2004 ab. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu, weil die Frage des Umfangs der Bindungswirkung eines erst nach einer Einspruchsentscheidung bestandskräftig gewordenen Kindergeldbescheids nicht höchstrichterlich geklärt sei.
Der Antragsteller begehrt, ihm für die beabsichtigte Revision Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen und Rechtsanwalt X als Prozessbevollmächtigten beizuordnen. Er habe die Einspruchsentscheidung vom September 2004 im Vertrauen darauf bestandskräftig werden lassen, dass --wie die Familienkasse dies zum Ausdruck gebracht habe-- die Höhe der Einkünfte und Bezüge endgültig erst nach Ablauf des Kalenderjahres 2004 überprüft werde. Hätte er seinerzeit Klage erhoben, hätte das FG die Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 112, 164 bereits berücksichtigen müssen. Ob auch eine Änderung nach § 70 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) möglich sei, könne nicht geprüft werden, da nicht ersichtlich sei, welche konkrete Prognose die Familienkasse dem Aufhebungsbescheid zugrunde gelegt habe, weshalb dieser Bescheid mangels ausreichender Begründung unwirksam sei; auch aus diesem Grund sei das Urteil des FG aufzuheben (§ 119 Nr. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Ein Anspruch auf Festsetzung von Kindergeld für S bestehe jedenfalls ab Juli 2004, da nicht auf die Bestandskraft der Einspruchsentscheidung vom September 2004, sondern allenfalls auf den Aufhebungsbescheid vom Juni 2004 abgestellt werden könne.
Da er mittellos sei, könne er die Kosten für ein Revisionsverfahren nicht aufbringen.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag hat nur teilweise Erfolg.
1. Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund dessen Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält, in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und deshalb bei summarischer Prüfung für einen Eintritt des angestrebten Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Er darf nicht von vornherein aussichtslos erscheinen (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. April 2003 VII S 25/02 (PKH), BFH/NV 2003, 1077).
2. Danach hat der Antrag keinen Erfolg, soweit er sich auf die Ablehnung der Festsetzung von Kindergeld für die Monate Januar bis Juni 2004 bezieht. Denn insoweit hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung bei der gebotenen summarischen Prüfung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
a) In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BFH ist das FG davon ausgegangen, dass der Festsetzung von Kindergeld für S (jedenfalls) für die Monate Januar bis Juni 2004 der (durch die Einspruchsentscheidung vom September 2004 bestätigte) Aufhebungsbescheid vom Juni 2004 entgegensteht (vgl. Senatsurteil vom 28. November 2006 III R 6/06, BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717).
b) In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das FG auch die Hinweise der Familienkasse in der Einspruchsentscheidung vom September 2004 auf die nicht abschließende Entscheidung im Rahmen der Prognose zu den Einkünften und Bezügen des S nicht als Zusage der Familienkasse beurteilt. Auch insoweit entspricht das Urteil des FG der Rechtsprechung des BFH (z.B. Senatsurteil vom 15. März 2007 III R 39/06, BFH/NV 2007, 1459).
c) Zu Recht hat das FG schließlich auch eine Änderung des Aufhebungsbescheids vom Juni 2004 nach § 70 Abs. 4 EStG abgelehnt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, die das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, ist ein bestandskräftiger Bescheid, mit dem die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld im laufenden Kalenderjahr wegen der den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) voraussichtlich übersteigenden Einkünfte und Bezüge des Kindes aufgehoben hat, nicht nach § 70 Abs. 4 EStG zu ändern, wenn der Jahresgrenzbetrag allein deshalb unterschritten wird, weil sich hinsichtlich der gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge des Kindes die Rechtsauffassung zur Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG geändert hat (z.B. Senatsurteil in BFHE 216, 138, BStBl II 2007, 717).
Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist der Aufhebungsbescheid nicht mangels ausreichender Begründung (keine Darlegung der Berechnungsgrundlagen) unwirksam. Ein Bescheid, der nicht ausreichend begründet ist, ist allenfalls rechtswidrig, aber nicht nichtig (§ 124 Abs. 3, § 125, § 126 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung). Der vom Antragsteller zitierte § 119 Nr. 6 FGO regelt nur, dass ein nicht mit Gründen versehenes Urteil stets als rechtswidrig anzusehen ist.
3. Erfolg hat der Antrag hingegen insoweit, als er sich auf die Ablehnung der Festsetzung von Kindergeld für die Monate Juli bis September 2004 bezieht. Insoweit hat das FG die Klage abgewiesen, weil die Bindungswirkung des Aufhebungsbescheids vom Juni 2004, durch den die Festsetzung von Kindergeld für S ab Januar 2004 aufgehoben wurde, bis zum Monat der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, also bis Ende September 2004 reiche. Die Frage des Umfangs der Bindungswirkung in Fällen, in denen, wie hier, der Aufhebungsbescheid aufgrund einer Einspruchseinlegung erst mit dem Ergehen der Einspruchsentscheidung bestandskräftig wird, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Der Rechtsstandpunkt des Antragstellers, demzufolge hinsichtlich der Bindungswirkung (allenfalls) auf den Aufhebungsbescheid, nicht aber auf eine diesen bestätigende nachfolgende Einspruchsentscheidung abzustellen, ist zumindest vertretbar.
4. Aus der vom Antragsteller eingereichten Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt sich, dass er nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
5. Die Beiordnung von Rechtsanwalt X beruht auf § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 121 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2244981 |
BFH/NV 2009, 1987 |