Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Ein auf eine vorangegangene Entscheidung eines Richters oder Spruchkörpers gestütztes Ablehnungsgesuch ist nur dann zulässig, wenn über die behauptete Rechtswidrigkeit der beanstandeten vorangegangenen Entscheidung hinaus Tatsachen oder Gesichtspunkte dargelegt werden, die geeignet sind, bei vernünftiger, objektiver Betrachtung die Befürchtung zu rechtfertigen, daß der Richter voreingenommen entscheiden werde.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 128 Abs. 2; ZPO §§ 42, 45 Abs. 1, § 47
Gründe
1. Die Beschwerde ist zulässig. . . .
2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Das FG hat die Ablehnungsgesuche zu Recht abgelehnt.
a) Nach § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Da sich das Mißtrauen nach dem Wortlaut des Gesetzes auf die Unparteilichkeit eines Richters beziehen muß, ist ein Ablehnungsgesuch grundsätzlich nicht statthaft, wenn es sich gegen den gesamten Spruchkörper richtet und eine Globalablehnung vorliegt (vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Anm. 19). In Ausnahmefällen wird aber die Ablehnung eines gesamten Spruchkörpers als eine zulässige Häufung von Individualablehnungen angesehen werden können. Ein solcher Ausnahmefall kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Ablehnungsgrund gerade in der Mitwirkung an einer Kollegialentscheidung besteht (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 5. Dezember 1975 VI C 129.74, BVerwGE 50, 36; Günther, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1986, 281, 283; Gräber / Koch, a. a. O.). Die Frage, ob im Streitfall die Ablehnung aller Richter des Senats als eine den Anforderungen des § 42 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 51 Abs. 1 FGO genügende Individualablehnung anzusehen ist, kann letztlich aber offenbleiben. Denn selbst wenn dies zugunsten des Klägers angenommen wird, hat seine Beschwerde keinen Erfolg.
b) Die Ablehnungsgesuche des Klägers sind rechtsmißbräuchlich. Ihnen fehlt deshalb das Rechtsschutzbefürfnis mit der Folge, daß sie unzulässig sind.
Wird die Ablehnung eines Richters oder der Mitglieder eines Kollegialgerichts auf den Inhalt einer vorangegangenen Entscheidung des Richters oder des Kollegialgerichts gestützt, so genügt es für die Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs nicht, daß allein Umstände angeführt werden, die möglicherweise die Rechtswidrigkeit der vorangegangenen Entscheidung begründen könnten. Denn unzutreffende Rechtsauffassungen und Verfahrensfehler können grundsätzlich nicht als Grund für eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit anerkannt werden (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, 557; vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308, 309). Für die Zulässigkeit eines auf eine vorangegangene Entscheidung gestützten Ablehnungsgesuchs ist vielmehr erforderlich, daß Tatsachen oder Gesichtspunkte angeführt werden, die über die Behauptung einer bloßen Rechtswidrigkeit der beanstandeten vorangegangenen Entscheidung hinausgehen. Die Entscheidung müßte, sollte sie zur Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs führen, einen Begründungsüberhang erkennen lassen, der bei dem Prozeßbeteiligten von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung die Befürchtung rechtfertigt, daß der Richter voreingenommen entscheiden werde (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555 m. w. N.).
Würde die Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs angenommen, ohne daß Gründe vorliegen, die über die Behauptung der Rechtswidrigkeit der vorangegangenen Entscheidung hinausgehen, so hätte es der Prozeßbeteiligte in der Hand, über den Umweg der Richterablehnung das Gesetz zu umgehen. Er könnte die nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht mit der Beschwerde anfechtbaren Entscheidungen i. S. v. § 128 Abs. 2 FGO mittelbar anfechten, weil die Entscheidung über die Richterablehnung nach § 128 Abs. 1 FGO mit der Beschwerde anfechtbar ist (vgl. Günther in NJW 1986, 281, 285 f.). Außerdem könnte die Regelung, daß Beschlüsse über eine Vertagung nicht mit der Beschwerde angefochten werden können (§ 128 Abs. 2 FGO), praktisch über den Umweg der Richterablehnung unterlaufen werden. Wird nämlich eine beantragte Vertagung vom Gericht abgelehnt, so hätte die Ablehnung jedes einzelnen Richters des Kollegiums wegen dieser Entscheidung zur Folge, daß faktisch bereits deshalb die erstrebte und abgelehnte Vertagung eintreten würde. Denn nach § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. §§ 45 Abs. 1, 47 ZPO entscheidet das Gericht über das Ablehnungsgesuch grundsätzlich ohne das abgelehnte Mitglied (vgl. Gräber / Koch, a. a. O., § 51 Anm. 55). Deshalb ist ein ausschließlich auf eine beanstandete vorangegangene Entscheidung gestütztes Ablehnungsgesuch dann als rechtsmißbräuchlich anzusehen, wenn sich aus den Einzelheiten der Begründung und insbesondere aus der Art und Weise der Begründung der vorangegangenen Entscheidung keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die beteiligten Richter voreingenommen sein könnten.
Die im Streitfall vom Kläger angeführten Gründe für die Ablehnungen liegen nicht in einzelnen Verhaltensweisen der Richter, sondern im Inhalt der jeweiligen Kollegialentscheidungen, durch die seine Anträge auf Akteneinsicht im Büro des Bevollmächtigten und auf Unterbrechung der Sitzung zum Zwecke der Akteneinsicht abgelehnt wurden. Der Kläger hat sich nicht auf Äußerungen oder Verhaltensweisen einzelner Richter berufen, die sich nicht aus dem Protokoll oder aus den schriftlichen Gründen des angefochtenen Beschlusses ergeben. Aus den ablehnenden Entscheidungen des Gerichts und ihren aus dem Protokoll und dem schriftlichen Beschluß hervorgehenden Begründungen ergeben sich jedoch keine Umstände, die eine Besorgnis der Befangenheit der Mitglieder des Senats gegenüber dem Kläger rechtfertigen könnten. Der Umstand, daß das Gericht die Akteneinsicht für die Dauer von drei Tagen mit der Begründung abgelehnt hat, daß der Antrag auf Akteneinsicht nach seiner Ansicht der Prozeßverschleppung diene, ist nicht geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit der Richter zu rechtfertigen. Die Äußerung dieses Verdachts war schon im Hinblick auf den Umstand, daß dem Bevollmächtigten des Klägers bekannt war, daß ihm ein Recht auf Akteneinsicht zusteht (§ 78 FGO) und daß der Rechtsstreit in möglichst einer mündlichen Verhandlung zu erledigen ist (§ 79 FGO), jedenfalls nicht unsachlich oder gar willkürlich, so daß sie nicht die Befürchtung rechtfertigt, sie habe ihre Ursache in einer Voreingenommenheit der Richter. Auch die Verweigerung der Unterbrechung der Sitzung zum Zwecke der Akteneinsicht durch den Bevollmächtigten ist nicht auf eine von Unsachlichkeit getragene, zu einer Besorgnis der Befangenheit der Richter Anlaß gebende Art und Weise geschehen. Nach alledem erscheinen die Ablehnungsgesuche des Klägers als rechtsmißbräuchlich.
c) Die Beschwerde ist auch nicht deshalb begründet, weil über die Ablehnungsgesuche die abgelehnten Richter selbst entschieden haben. Denn nach ständiger Rechtsprechung darf über einen mißbräuchlichen Befangenheitsantrag auch der abgelehnte Richter entscheiden (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 22. Februar 1960 2 BvR 36/60, BVerfGE 11, 1, 3; BFH-Beschlüsse vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638, 639; vom 14. April 1986 III B 47/84, BFH/NV 1986, 547).
Fundstellen
Haufe-Index 417458 |
BFH/NV 1991, 755 |