Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugangsvoraussetzungen zum Gericht
Leitsatz (NV)
Ein unmittelbar beim Finanzgericht gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird nicht dadurch zulässig, daß das Finanzamt in seiner Stellungnahme zu erkennen gibt, daß es die Vollziehung nicht aussetzen werde.
Normenkette
VGFGEntlG Art. 3 § 7 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 69 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die einkommensteuerliche Behandlung einer einmaligen Sonderzahlung, die der Kläger, Antragsteller und Beschwerdegegner (Kläger) im Jahre 1980 von seinem damaligen Arbeitgeber erhalten hat. Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) erfaßte diesen Betrag im geänderten Einkommensteuerbescheid 1980 zunächst in voller Höhe als Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit. Auf den Einspruch der Kläger hin verteilte das FA die Sonderzahlung gemäß § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf die Jahre 1978 bis 1980. Mit ihrem weitergehenden Antrag hatten die Kläger dagegen keinen Erfolg. In der Einspruchsentscheidung ist vermerkt, daß die gewährte Aussetzung der Vollziehung mit Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ende.
Die Kläger verfolgten ihr Begehren mit der Klage weiter. In der Klageschrift erklärten sie auch: ,,Wir wiederholen unsere Anträge auf Aussetzung der Vollziehung bzw. auf zinslose Stundung bis zur Entscheidung in der Sache."
Im Schriftsatz vom 5. Juni 1984 beantragte das FA, den Aussetzungsantrag als unzulässig zu verwerfen, weil er gestellt worden sei, ohne daß die Finanzbehörde zuvor einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder teilweise ausdrücklich abgelehnt habe. Gleichzeitig wies das FA jedoch darauf hin, daß nicht die Absicht bestehe, die Vollziehung auszusetzen. Denn nach nochmaliger Prüfung der Sach- und Rechtslage bestünden an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel; eine Vollziehung hätte für die Kläger auch keine unbillige Härte zur Folge.
Auf die Anfrage des Gerichts vom 12. Juni 1984 hin, ob über den Aussetzungsantrag, der bisher noch nicht gesondert registriert worden sei, das Gericht entscheiden solle, baten die Kläger um Entscheidung über diesen Antrag. Sie machten geltend, einer gesonderten Antragstellung beim FA bedürfe es nicht, weil dieses im Schriftsatz vom 5. Juni 1984 erklärt habe, daß es nicht die Absicht habe, die Vollziehung auszusetzen. In der Sache rügen die Kläger, daß das FA auch in der Einspruchsentscheidung weder die Steuerfreiheit für Abfindungen nach § 3 Nr. 9 EStG noch die Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 2 EStG berücksichtigt habe.
Das Finanzgericht (FG) verwarf den Antrag als unzulässig, soweit er die Aussetzung der Vollziehung der Kirchensteuerfestsetzung zum Gegenstand hatte; insoweit sei im Land Berlin der Finanzrechtsweg nicht gegeben. Im übrigen sah es den Antrag als zulässig an. Das FA habe in seinem Schriftsatz vom 5. Juni 1984 zu erkennen gegeben, daß es die Vollziehung nicht aussetzen werde. Da die Kläger erst im Schriftsatz vom 26. Oktober 1984 erklärt hätten, daß das Gericht über den Antrag entscheiden solle, sei davon auszugehen, daß der Aussetzungsantrag erst in diesem Schreiben bei Gericht gestellt worden sei. Diese Auslegung sei mit der in der Klageschrift verwandten Formulierung (,,Wir wiederholen . . .") vereinbar; denn zu dieser Zeit habe lediglich beim FA ein der Wiederholung fähiger Aussetzungsantrag vorgelegen, nicht jedoch beim Gericht.
Soweit der Antrag zulässig sei, sei er auch begründet. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestünden insbesondere deshalb, weil unsicher sei, ob die Voraussetzungen für eine Steuervergünstigung nach § 34 Abs. 2 EStG vorlägen.
Mit der Beschwerde, die das FG zugelassen hat, macht das FA geltend, daß der Aussetzungsantrag in vollem Umfang als unzulässig hätte verworfen werden müssen. Es führt aus, der in der Klageschrift enthaltene Antrag auf Aussetzung der Vollziehung sei eindeutig an das FG gerichtet gewesen und dort am 17. Mai 1984 eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt habe das FA noch nicht zu erkennen gegeben, daß es einen Vollziehungsaussetzungsantrag im Klageverfahren ablehnen werde. Im Gegensatz zur Auffassung des FG könne aus der in der Klageschrift insoweit verwandten Formulierung (,,Wir wiederholen") nichts anderes hergeleitet werden. Eine entsprechende Umdeutung käme allenfalls in Betracht, wenn die Kläger eine Abschrift des an das FG gesandten Aussetzungsantrags direkt dem FA mit der Bitte um weitere Veranlassung übersandt hätten. Das sei jedoch nicht geschehen.
Daß das FA im Schreiben vom 5. Juni 1984 - auf eine entsprechende Anfrage des FG hin - zum Ausdruck gebracht habe, eine Aussetzung der Vollziehung nicht aussprechen zu wollen, könne den vorher beim FG gestellten Antrag nicht nachträglich zulässig machen. Denn für die Zulässigkeit des Antrags komme es allein darauf an, wann dieser beim Gericht eingegangen sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Abweisung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung als unzulässig.
Gemäß Art. 3 § 7 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) ist ein Antrag an das Gericht auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) grundsätzlich nur zulässig, wenn die Finanzbehörde einen Antrag nach § 69 Abs. 2 FGO ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Eine solche Ablehnung der Entscheidung des FA liegt bis heute nicht vor.
Entgegen der Auffassung des FG kann aber auch nicht davon ausgegangen werden, daß hier die Voraussetzungen der Nr. 1 des Satzes 2 der obengenannten Vorschrift, die hier allein als Ausnahmetatbestand in Betracht kommt, vorgelegen haben. Das FA hat zunächst nicht deshalb zu erkennen gegeben, daß es die Vollziehung nicht aussetzen werde, weil es in der Einspruchsentscheidung vermerkt hat, die Aussetzungsfrist laufe einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung ab. Dabei handelte es sich lediglich um einen Hinweis auf die sich aus der Aussetzungsverfügung ergebende Rechtsfolge.
Die Äußerung des FA in seinem Schriftsatz vom 5. Juni 1984, es bestehe nicht die Absicht, die Vollziehung auszusetzen, ist ebenfalls nicht geeignet, den Klägern für ihren Antrag auf Aussetzung der Vollziehung den Zugang zum Gericht zu eröffnen. Denn der Antrag der Kläger ist bereits am 17. Mai 1984 beim FG gestellt worden. Er war in der an das FG adressierten Klageschrift enthalten und deshalb an dieses gerichtet. Etwas anderes könnte - wie das FA zu Recht ausführt - nur angenommen werden, wenn die Kläger den Willen, insoweit das FA unmittelbar anzusprechen, eindeutig, zum Ausdruck gebracht hätten. Die bloße Verwendung des Wortes ,,wiederholen" reicht hierzu unter den gegebenen Umständen nicht aus, da diese Formulierung keine eindeutige Beziehung zum Adressaten des Antrags hat, sondern zwanglos auch dahin verstanden werden kann, daß eine weitere Suspendierung des angefochtenen Steuerbescheids erstrebt werde.
War der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aber schon in der Klageschrift enthalten und mit deren Eingang beim FG gestellt, so ist er wegen Fehlens einer Zugangsvoraussetzung unzulässig. Durch die spätere ablehnende Äußerung des FA im Schriftsatz vom 5. Juni 1984 konnte er nicht zulässig werden. Mit dieser Äußerung war zwar die Voraussetzung des Art. 3 § 7 Satz 2 Nr. 1 VGFGEntlG nunmehr erfüllt. Auswirkungen auf die Zulässigkeit des vorher gestellten Antrags beim FG ergeben sich daraus jedoch nicht. Denn bei den Voraussetzungen des Art. 3 § 7 Abs. 1 VGFGEntlG handelt es sich um eine Zugangsvoraussetzung und nicht um eine Sachentscheidungsvoraussetzung. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der Auffassung des IV. Senats des Bundesfinanzhofs (Beschluß vom 11. Oktober 1979 IV B 61/79, BFHE 129, 8, BStBl II 1980, 49) an, daß eine andere Auslegung die Vorschrift nahezu gegenstandslos machen würde.
Fundstellen
Haufe-Index 414331 |
BFH/NV 1986, 421 |