Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinsame Verhandlung; Schätzung durch das FG
Leitsatz (NV)
1. Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht bei ihm anhängige Verfahren verbinden; das Ermessen ist pflichtgemäß unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift auszuüben.
2. Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalles durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich.
Normenkette
FGO § 73 Abs. 1, § 76 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 116 Abs. 3; AO § 162
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 16.05.2008; Aktenzeichen 15 K 82/05) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) benannten Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sind teils nicht ordnungsgemäß dargelegt worden, teils liegen sie der Sache nach nicht vor.
1. Das Finanzgericht (FG) hat nicht dadurch gegen § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen, dass es die Verfahren 15 K 82 bis 84/05, 15 K 86 bis 91/05 zwar zur gemeinsamen Verhandlung, nicht aber zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat. Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht --bei Vorliegen der Voraussetzungen-- mehrere bei ihm anhängige Verfahren verbinden; das Ermessen ist pflichtgemäß unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift auszuüben (Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 73 FGO Rz 21). Gründe für eine Ermessensreduzierung auf null trägt der Kläger nicht vor. Diese sind auch nicht erkennbar. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger selbst durch die getrennte Klageerhebung nicht von seiner Möglichkeit, mehrere Klagebegehren gemäß § 43 FGO in einer Klage zu verbinden, Gebrauch gemacht hat.
2. Der vom Kläger angeführte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist nicht in der gebotenen Weise dargelegt worden. Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund gestützt, muss der Beschwerdeführer eine für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage herausarbeiten, die das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Er muss dabei darlegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft ist, wobei er sich mit den in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassungen auseinandersetzen muss (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N.).
Dies ist nicht geschehen. Der Kläger behauptet lediglich die Notwendigkeit einer erneuten Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) für Verfahren, in denen die fehlende Aufbewahrung von sog. Schichtzetteln in Zeiträumen vor dem BFH-Urteil vom 26. Februar 2004 XI R 25/02 (BFHE 205, 249, BStBl II 2004, 599) zu einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen geführt hat. Dabei weist er auch auf einen möglichen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, den Grundsatz von Treu und Glauben und eine mögliche Selbstbindung der Verwaltung sowie eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung unter den Taxifahrern hin.
Eine Auseinandersetzung mit den konkreten Argumenten des FG zur Anwendbarkeit der vom BFH im Urteil in BFHE 205, 249, BStBl II 2004, 599 herausgearbeiteten Grundsätze auf frühere Zeiträume, die durch zahlreiche Verweise auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ergänzt wurden, fehlt jedoch. Ebenso wenig geht der Kläger auf die einschlägige Rechtsprechung des BFH (siehe den Beschluss vom 7. Februar 2007 V B 162/05, BFH/NV 2007, 1208) ein.
3. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidungen sowie die Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung deutlich erkennbar zu machen. Des Weiteren ist insbesondere auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 48).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.
a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen des Klägers diese Darlegungsanforderungen erfüllt. Ebenso braucht nicht entschieden zu werden, ob die behauptete Divergenz des finanzgerichtlichen Urteils von einem Urteil eines Amtsgerichts (AG) oder Landgerichts (LG) überhaupt zu einer Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führen kann (bejahend Lange in HHSp, § 115 FGO Rz 174; ablehnend Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 49). Es fehlt jedenfalls an einer identischen Rechtsfrage.
Dieselbe Rechtsfrage ist gegeben, wenn die zu vergleichenden Entscheidungen zu derselben Rechtsnorm ergangen sind. Eine Divergenz kann auch gegeben sein, wenn die voneinander divergierenden Entscheidungen die gleiche Rechtsfrage in verschiedenen Normen mit den gleichen gesetzlichen Tatbeständen unterschiedlich beantwortet haben. In diesem Fall ist bei der Prüfung der Divergenz jedoch immer zu beachten, dass der jeweilige Normzweck und der unterschiedliche Bedeutungszusammenhang der jeweiligen Vorschriften selbst bei gleichem Wortlaut unterschiedliche Auslegungen rechtfertigen können, so dass ggf. keine Abweichung vorliegt (BFH-Beschluss vom 29. Januar 2008 VIII B 37/07, nicht veröffentlicht --n.v.--). In diesem Fall muss die Beschwerde im Einzelnen darlegen, inwieweit gleichwohl eine Divergenz gegeben sein soll (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26. Mai 2004 III B 89/03, BFH/NV 2004, 1221; vom 11. Februar 2003 VII B 244/02, BFH/NV 2003, 833, m.w.N.).
b) Aus den Darlegungen des Klägers ergibt sich keine Divergenz. Die von ihm zitierten Urteile betreffen ausnahmslos Strafverfahren und keine finanzgerichtlichen Verfahren. Eine gleiche Rechtsfrage kann sich daher nicht ergeben, da sich der Normzweck der strafrechtlichen Vorschriften mit der Maxime, dass im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten zu entscheiden ist, erheblich von den steuerlichen Vorschriften zur ordnungsgemäßen Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen unterscheidet. Hierauf weist das genannte Urteil des LG Braunschweig vom 24. Mai 2007 6 Ns 68/06 auf Seite 8 ausdrücklich hin.
c) Dieses Ergebnis wird auch nicht durch den Hinweis des Klägers auf das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 15. Oktober 2007 6 K 378/06 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 360) geändert, wonach sich ein FG die tatsächlichen Feststellungen eines AG in einem rechtskräftigen Strafurteil im Wege des Urkundenbeweises zu eigen machen kann, wenn es aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung die strafgerichtlichen Feststellungen für zutreffend hält. Eine solche Überzeugung war im vorliegenden Fall beim FG eben nicht gegeben.
Der weitere Hinweis des Klägers auf den Beschluss des VII. Senats des BFH vom 31. Dezember 2007 konnte nicht nachvollzogen werden, da ein solcher Beschluss nicht ermittelt werden konnte.
4. Der vom Kläger geltend gemachte Verstoß des FG gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) ist nicht gegeben. Seine Rügen, das FG habe den entscheidungserheblichen Sachverhalt durch fehlende Beiziehung der Außenprüfungsakten der Vergleichsbetriebe, durch fehlende Vermögenszuwachsrechnung, durch fehlende eidesstattliche Versicherung des Klägers sowie durch fehlende Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht hinreichend aufgeklärt, sind entweder nicht schlüssig vorgetragen worden oder nicht begründet.
a) Die formgerechte Rüge mangelnder Sachaufklärung durch Nichterhebung angebotener Beweise setzt voraus, dass der Beschwerdeführer die ermittlungsbedürftigen Tatsachen (Beweisthemen), die angebotenen Beweismittel, die genauen Fundstellen (Schriftsatz oder Terminsprotokoll, in denen die Beweismittel benannt worden sind, die das FG nicht erhoben hat), das voraussichtliche Ergebnis der Beweisaufnahme, inwieweit das Urteil des FG aufgrund dessen sachlich-rechtlicher Auffassung auf der unterbliebenen Beweisaufnahme beruhen kann, darlegt und ausführt, dass --sofern die Voraussetzungen des § 295 der Zivilprozessordnung gegeben sind-- bei nächster sich bietender Gelegenheit die Nichterhebung der Beweise gerügt worden ist oder dass die Absicht des FG, die angebotenen Beweise nicht zu erheben, nicht rechtzeitig erkennbar war, um dies noch vor dem FG rügen zu können (Senatsbeschluss vom 17. Februar 2004 X B 142/03, n.v.).
Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung nicht, soweit die beantragte fehlende Beiziehung der Außenprüfungsakten der Vergleichsbetriebe sowie die fehlende Vermögenszuwachsrechnung gerügt werden. Der rechtskundig vertretene Kläger legt nicht dar, die unterbliebene Beiziehung rechtzeitig gerügt zu haben. Umstände, die darauf hindeuten, dass er an einer rechtzeitigen Rüge vor dem FG gehindert war, wurden ebenfalls nicht dargelegt und sind auch nicht erkennbar.
b) Mit dem Einwand, das FG habe das von ihm beantragte Sachverständigengutachten nicht erhoben, legt der Kläger keinen Verstoß des FG gegen die Sachaufklärungspflicht dar, sondern rügt im Kern einen Rechtsfehler des FG und keinen Verfahrensmangel. Der Kläger hat im FG-Verfahren beantragt, ein Sachverständigengutachten für die Richtigkeit der den Steuererklärungen des Klägers zugrunde gelegten Gewinne aus Gewerbebetrieb und der Umsätze einzuholen. Hierin liegt die Rüge einer falschen Rechtsanwendung der gewählten Schätzungsmethode durch das FG, nicht aber die Rüge eines Verstoßes des FG gegen die Sachaufklärungspflicht. Denn die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zulässig ist, erfordert ebenso wie die Bestimmung der maßgeblichen Schätzungskriterien eine rechtliche Beurteilung, die in erster Linie dem FG obliegt und weder regelmäßig noch in bestimmten Einzelfällen durch ein Sachverständigengutachten vorbereitet werden muss (Senatsbeschlüsse vom 27. Februar 2007 X B 7/06, BFH/NV 2007, 1167; vom 1. September 2004 X B 162/03, BFH/NV 2005, 224). Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalles durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist aber im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Februar 2004 X B 142/03, n.v.).
5. Der Hinweis des Klägers, er habe sich zu den von ihm nicht nachprüfbaren angeblichen "Erfahrungswerten" des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) nicht äußern können, stellt keine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Dazu ist nicht nur notwendig, dass der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig darlegt, wozu er sich nicht äußern konnte, sondern auch, was er Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte, wenn ihm ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden wäre, da derjenige, der nichts hätte vorbringen können, sich auch nicht auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs berufen kann (Lange in HHSp, § 119 FGO Rz 223, m.w.N.). An einem solchen Vorbringen fehlt es.
6. Die vom Kläger gegen die Schätzung des FG erhobenen Einwände vermögen die Zulassung der Revision ebenfalls nicht zu begründen. Er legt einen erheblichen Rechtsanwendungsfehler des FG bei der Schätzung des Gewinns, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Zulassung der Revision führen könnte (Senatsbeschlüsse vom 24. Oktober 2007 X B 126/07, n.v.; vom 16. Januar 2007 X B 38/06, BFH/NV 2007, 757), nicht hinreichend dar bzw. solche Fehler liegen nicht vor.
a) Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalles durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich (Senatsbeschluss vom 17. Februar 2004 X B 142/03, n.v.). Dies gilt insbesondere für Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 31. Juli 2007 X B 36/07, n.v.).
Ein zur Zulassung der Revision berechtigender erheblicher Rechtsfehler aufgrund objektiver Willkür kann allenfalls in Fällen bejaht werden, in denen das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 69, m.w.N.). Ein Verstoß gegen Denkgesetze führt bei Schätzungen erst zur Zulassung der Revision wegen willkürlich falscher Rechtsanwendung, wenn sich das Ergebnis der Schätzung als offensichtlich realitätsfremd darstellt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 69, m.w.N.). Das Vorliegen dieser besonderen Umstände ist in der Beschwerdebegründung darzulegen (Senatsbeschluss vom 9. August 2007 X B 218/06, BFH/NV 2007, 2273).
b) Der Kläger erhebt zahlreiche Einwände gegen die Schätzung des FG, die sich zum einen auf dessen Befugnis zur Schätzung und zum anderen auf das Ergebnis der Schätzung beziehen. Einen erheblichen Rechtsanwendungsfehler des FG legt er damit nicht dar. Soweit er behauptet, das FA sei zur Schätzung nicht befugt gewesen, da seine Buchhaltung trotz fehlender Schichtzettel ordnungsgemäß gewesen sei, kann diese Behauptung vor dem Hintergrund des BFH-Urteils in BFHE 205, 249, BStBl II 2004, 599 keinen Rechtsanwendungsfehler des FG begründen (siehe dazu auch oben 2.).
Auf das Ergebnis der Schätzung bezieht sich die Behauptung des Klägers, die vom FG vorgenommene Hochrechnung führe zu rein fiktiven Zahlen, die von Taxiunternehmen der Region A auch bei günstigster Gestaltung überhaupt nicht eingefahren werden könnten, so dass die zugrunde gelegten Ergebnisse der Schätzung wirtschaftlich nicht vernünftig und möglich gewesen seien. Die Schätzung unter Zugrundelegung eines Besetztfahrtenanteils von 40 % sei willkürlich. Auch habe das FA, ohne das geringste Beweisanzeichen zu haben, Schwarzlohnzahlungen unterstellt. Weitere Ausführungen zu dem letzten Aspekt machte der Kläger jedoch erst in dem Schriftsatz vom 24. September 2008, und damit erst nach Ablauf der Begründungsfrist, die am 28. Juli 2008 endete. Der knappe --fristgerechte-- Hinweis auf den Arbeitslohn der Taxifahrer stellt jedoch kein Vorbringen von einem solchen Maß an Klarheit und Verständlichkeit dar, dass das verspätete Vorbringen des Klägers lediglich als eine Erläuterung und Vervollständigung des fristgerecht vorgebrachten Argumentes angesehen werden kann.
c) Das FG hält im Streitjahr Hinzuschätzungen für schlüssig und wirtschaftlich möglich, die zu Einkünften des Klägers aus Gewerbebetrieb in Höhe von … DM führen. Dabei begründet das FG nachvollziehbar, warum es einen Ansatz von 40 % an Besetztfahrten für interessengerecht hält und verweist dazu sowohl auf das von dem Kläger vorgelegte Gutachten von X vom Februar 2007 als auch auf ein Urteil des FG Hamburg vom 19. Juli 2002, die zu demselben Ergebnis führen. Zusätzliche Einwendungen gegen die sonstigen Kalkulationsgrundlagen sind nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar. Anhaltspunkte dafür, dass die für den Kläger nach Hinzuschätzung ermittelten Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Streitjahr willkürlich hoch und realitätsfremd sind, bestehen nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 2153987 |
BFH/NV 2009, 951 |