Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Besorgnis der Befangenheit eines Vorsitzenden Richters bei prozeßleitenden Maßnahmen

 

Leitsatz (NV)

Nicht befangen ist regelmäßig ein Vorsitzender Richter am FG, der im Fünfminutentakt terminiert und in der mündlichen Verhandlung den Antrag des Prozeßbevollmächtigten auf Sitzungsunterbrechung, um telefonisch mit den Klägern die Klageanträge abzustimmen, ablehnt.

 

Normenkette

FGO § 51

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erstreben mit der Untätigkeitsklage, den Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgleich 1987 dahingehend zu ändern, daß ein Grundfreibetrag von 5000 DM und Vorsorgeaufwendungen von 7300 DM berücksichtigt werden. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen; die Kläger haben Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.

Das FG verband die Streitsache am 12. November 1991 u.a. mit dem Klageverfahren ... zur gemeinsamen Verhandlung. Der Prozeßbevollmächtigte des Streitfalls war auch Prozeßbevollmächtigter in der Sache ..., der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) auch Beklagter. In der mündlichen Verhandlung am 12. November 1991 wurde zunächst die Sache ... verhandelt; dabei stellte der Prozeßbevollmächtigte neun Ablehnungsgesuche gegen Richter des FG-Senats, darunter sechs gegen den Vorsitzenden Richter am FG Z (VRiFG Z). Das FG wies die Gesuche zurück. Die Beschwerden betreffend die sechs Befangenheitsanträge gegen den VRiFG Z hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluß vom 1. Oktober 1993 als unbegründet zurückgewiesen.

Im Anschluß an die Sache ... verhandelte das FG am 12. November 1991 in der Streitsache. Der Prozeßbevollmächtigte stellte im Laufe der Verhandlung erneut - zwei - Ablehnungsgesuche gegen VRiFG Z - die Gesuche Nr. 10 und 11 -. Der Prozeßbevollmächtigte leitete die Besorgnis der Befangenheit von VRiFG Z daraus her, daß Z es abgelehnt habe, die Sitzung zu unterbrechen, damit er, der Prozeßbevollmächtigte, bei den Klägern telefonisch Weisung hinsichtich der zu stellenden Anträge einholen könne (Ablehnungsgesuch Nr. 10), und daraus, daß Z im Fünfminutentakt terminiert habe (Ablehnungsgesuch Nr. 11). Das FG wies die Gesuche zurück. Hiergegen richten sich die Beschwerden der Kläger, die die Kläger trotz Aufforderung nicht begründet haben.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat geht davon aus, daß die Beschwerden zulässig sind. Die fehlende Begründung führt nicht zur Unzulässigkeit, weil § 129 FGO keine gesetzliche Verpflichtung zur Begründung vorsieht (u.a. BFH-Beschlüsse vom 21. August 1974 II B 9/74, BFHE 113, 96, BStBl II 1974, 717; vom 16. Oktober 1984 IX B 49/84, BFHE 142, 355, BStBl II 1985, 215; vom 9. Juni 1989 X E 6/89, BFHE 156, 401, BStBl II 1989, 626; vom 11. August 1992 VII B 102/92, BFH/NV 1993, 425). Der I.Senat des BFH hat allerdings aus allgemeinen Überlegungen zum Rechtsschutzbedürfnis und zur Geltendmachung einer Beschwer hergeleitet, daß die Beschwerde einen bestimmten Mindestinhalt haben müsse; dies gelte insbesondere dann, wenn die Annahme einer fortbestehenden Beschwer zweifelhaft sei, weil das Verfahren, an dem der abgelehnte Richter nicht mitwirken solle, abgeschlossen sei (Beschluß vom 16. Juli 1992 I B 5/92, BFH/NV 1993, 111). Auch im Streitfall ist das finanzgerichtliche Verfahren inzwischen durch Urteil unter Mitwirkung des abgelehnten VRiFG Z abgeschlossen worden. Der erkennende Senat kann offen lassen, ob sich die Zurückweisung der Beschwerden bereits auf die Erwägungen des I.Senats stützen läßt.

Die Beschwerden sind jedenfalls unbegründet. Bei fehlender Begründung kann der BFH nur prüfen, ob die Vorentscheidung aus sich heraus oder mit Rücksicht auf das Vorbringen in der Vorinstanz fehlerhaft ist (BFH-Beschluß in BFH/NV 1993, 425). Das ist nicht der Fall. Das FG hat seine ablehnenden Beschlüsse ausreichend begründet. Nicht zu beanstanden sind seine Ausführungen zum Ablehnungsgesuch Nr. 10, der Prozeßbevollmächtigte habe vor Beginn der mündlichen Verhandlung ausreichend Zeit gehabt, die Sachanträge mit den Klägern abzustimmen; auch habe sich gegenüber dem vorangehenden Verfahren keine Änderung ergeben. Zu billigen sind auch die Ausführungen des FG zum Ablehnungsgesuch Nr. 11, daß zur gemeinsamen Verhandlung verbundene Sachen erfahrungsgemäß keinen großen Zeitaufwand verursachen; die Angabe der Terminstunde erfülle nur eine Ordnungsfunktion, die zum Ende hin offen sei; auch sei, als das Ablehnungsgesuch gestellt worden sei, bereits seit etwa einer Stunde verhandelt worden. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, daß der BFH-Beschluß vom 1. Oktober 1993 III B 249-254/92 (NV, unter II. 2. c, ee) sich mit einem Sachverhalt zu befassen hatte, der dem Ablehnungsgesuch Nr. 11 entspricht. Nach Auffassung des III.Senats mangelt es einem solchen Gesuch schon an einer schlüssigen Darlegung des Ablehnungsgrundes, wenn wie auch hier nicht vorgetragen worden ist, an welchem Vortrag die Kläger oder der Prozeßbevollmächtigte gehindert gewesen seien.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419778

BFH/NV 1994, 729

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