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BFH Beschluss vom 21.05.1987 - IV R 101/86 (NV)

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Schweigen als Erledigungserklärung

 

Leitsatz (NV)

1. Über den Streit, ob eine Sachentscheidung durch Klagerücknahme oder durch Erledigung in der Hauptsache überflüssig geworden ist, ist nicht durch Urteil, sondern durch Beschluß zu entscheiden. Gegen die insoweit unrichtig in Form des Urteils ergangene Entscheidung des FG kann nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung Revision eingelegt werden, über die der BFH durch Beschluß entscheidet.

2. Das Schweigen des Klägers nach dem Erlaß eines Änderungsbescheids, mit dem er sein Klageziel erreicht hat, ist ausnahmsweise nicht als Erledigungserklärung zu werten, wenn sich daraus im Hinblick auf Nr. 1301 der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG ungünstigere Folgen als im Falle der Klagerücknahme ergeben (Abgrenzung zum Urteil vom 12. Juli 1979 IV R 13/79 BFHE 128, 324, BStBl II 1979, 705).

 

Normenkette

FGO §§ 72, 138; GKG § 11 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG des Saarlandes

 

Tatbestand

Nachdem die Kläger und Revisionskläger (Kläger) für die Streitjahre keine Einkommensteuererklärungen abgegeben hatten, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen. Die Einsprüche gegen die Bescheide vom 14. Dezember 1983 wurden vom FA zurückgewiesen. Ihre dagegen gerichtete Klage begründeten die Kläger durch Vorlage der Einkommensteuererklärungen. Das FA erließ entsprechende Änderungsbescheide. Mit Schriftsatz vom 15. April 1985 erklärte es den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Davon unterrichtete das Finanzgericht (FG) die Kläger mit Schreiben vom 18. April 1985 und setzte ihnen eine Frist von vier Wochen zur Äußerung darüber, ob sie den Rechtsstreit ebenfalls in der Hauptsache für erledigt erklären oder aber die Klage zurücknehmen wollten. Gleichzeitig wies es die Kläger auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hin, nach der Schweigen als Erledigungserklärung gewerten werden könne (Urteil vom 12. Juli 1979 IV R 13/79, BFHE 128, 324, BStBl II 1979, 705), sowie darauf, daß im Falle einer Klagerücknahme keine Gerichtsgebühr anfalle.

Nachdem sich die Kläger nicht geäußert hatten, erließ das FG am 12. Juni 1985 einen Beschluß, durch den es die Kosten des Verfahrens gemäß § 138 Abs. 2, § 137 der Finanzgerichtsordnung (FGO) den Klägern auferlegte.

Dagegen machten die Kläger im Schriftsatz vom 30. Juni 1986 geltend, ihr Schweigen habe nicht als Erledigungserklärung behandelt werden dürfen. Dazu führte der Kläger wörtlich aus:

,,Namens meiner Ehefrau sowie im eigenen Namen beantrage ich hiermit, die Kostenentscheidung aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen. Alsdann ziehe ich, auch im Namen meiner Ehefrau, die Klage zurück und beantrage, durch Beschluß das Verfahren einzustellen und von einer Kostenentscheidung abzusehen."

Daraufhin setzte das FG das Verfahren fort, wies aber mit Urteil das Begehren ab.

Zur Begründung führte es u. a. aus, die Auslegung ihres Schweigens als Erledigungserklärung entspreche den Interessen der Kläger. Zwar könne in diesem Fall - anders als bei einer rechtzeitigen Klagerücknahme - die Verfahrensgebühr nach der Nr. 1301 der Anlage 1 zu § 11 des Gerichtskostengesetzes (GKG) nicht mehr wegfallen. Zu erheblich ungünstigeren Kostenfolgen für die Kläger wäre es indes gekommen, wenn nach Ablauf der gesetzten Frist die Klage - wegen Festhaltens am ursprünglichen Klageantrag - durch Vorbescheid als unzulässig abgewiesen worden wäre. Hinsichtlich dieser möglichen Verfahrensweise verwies das FG auf den Beschluß des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 4 /78 (BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375).

Mit ihrer vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie rügen die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften. Danach bedeute Schweigen in der Regel keine Erklärung. Durch den Beschluß des FG vom 12. Juni 1985 ohne ihre vorherige Äußerung sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) und darüber hinaus § 90 FGO nicht beachtet worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und begründet.

1. Bei der Prüfung der Statthaftigkeit des eingelegten Rechtsmittels ist davon auszugehen, daß die Kläger im Streitfall nach § 115 Abs. 1 FGO Revision einlegen konnten.

a) Nach § 115 Abs. 1 FGO steht den Beteiligten gegen Urteile des FG unter bestimmten Voraussetzungen die Revision an den BFH zu. Das Rechtsmittel der Revision kann auch dann eingelegt werden, wenn die Entscheidung des FG richtigerweise nicht in Form eines Urteils, sondern als Beschluß hätte ergehen müssen (Grundsatz der Meistbegünstigung; BFH-Beschluß vom 18. November 1966 III B 18/66, BFHE 87, 335, BStBl III 1967, 142). Dies ist für den Streitfall insofern von Bedeutung, als hier über den vor dem FG mit Schriftsatz vom 30. Juni 1986 gestellten Antrag der Kläger auf Fortsetzung und nachfolgende Einstellung des Verfahrens nicht durch Urteil, sondern durch Beschluß zu befinden gewesen wäre und gegen Beschlüsse nicht die Revision, sondern die Beschwerde gegeben ist (vgl. § 128 FGO).

Zwar ist grundsätzlich durch Urteil zu entscheiden, wenn nach dem Ergehen einer isolierten Kostenentscheidung (§ 138 FGO) Streit über die Erledigung entsteht. Der - das Verfahren abschließenden - Kostenentscheidung ist dadurch die Grundlage entzogen und es muß das Verfahren fortgesetzt werden. Hält das FG den Rechtsstreit durch übereinstimmende Erledigungserklärungen für beendet, so hat es in seiner erneuten Entscheidung die Erledigung auszusprechen (vgl. BFH-Beschluß vom 6. Dezember 1972 IV B 21/68, BFHE 107, 362, BStBl II 1973, 243). In diesem Sinne ist das klageabweisende Urteil des FG auch zu verstehen.

Geht der Streit aber ausnahmsweise nicht um die Frage, ob die Hauptsache erledigt oder noch eine Sachentscheidung erforderlich ist, sondern - wie im Streitfall - nur darum, ob die Sachentscheidung durch eine Klagerücknahme oder durch Erledigung in der Hauptsache überflüssig geworden ist, so ist darüber nicht durch Urteil, sondern durch Beschluß zu entscheiden (Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 7. März 1969 VII C 7.67, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 442.03, § 6 a GüKG Nr. 1).

b) Das Rechtsmittel ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt unzulässig, daß eine Streitigkeit über Kosten - bei deren Vorliegen die Beschwerde abweichend von § 128 FGO nach Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) nicht zulässig wäre - vorliegt. Ob Art. 1 Nr. 4 BFHEntlG auch Anwendung findet, wenn eine solche Entscheidung unrichtig durch Urteil anstatt durch Beschluß ergangen und deshalb - nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung - die Revision und nicht die - unzulässige - Beschwerde gegeben ist, kann hier dahingestellt bleiben.

Im angefochtenen Urteil hat das FG zwar seine Kostenentscheidung vom 12. Juni 1985 bestätigt, dabei aber nicht isoliert über die Kostenfolge, sondern als Vorfrage gerade auch über ihre Voraussetzung, nämlich den Eintritt der Erledigung, befunden. Umstritten ist, ob die Erledigung zu Recht angenommen worden ist. Der Umstand, daß die Kläger an diese Entscheidung allein wegen der Kostenentscheidung ein Interesse haben können, rechtfertigt es nicht, die Sache als eine Streitigkeit über die Kosten i. S. des Art. 1 Nr. 4 BFHEntlG anzusehen (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Mai 1981 VII B 12/81, nicht veröffentlicht).

Die Revision ist auch begründet.

Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Einstellung des Verfahrens.

1. In ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör sind die Kläger nicht verletzt.

Danach müssen die Beteiligten - innerhalb einer angemessenen Frist - Gelegenheit zur Äußerung haben. Ob sie diese wahrnehmen, ist ihre Sache (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 28. August 1980 1 BvR 218/80, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1981, 470).

Im Streitfall ist den Klägern eine ausreichend bemessene Frist von vier Wochen zur Äußerung auf das Schreiben des FG vom 18. April 1985 eingeräumt worden.

2. Das FG durfte das Schweigen der Kläger nicht als Erledigungserklärung werten.

Zwar hat die Rechtsprechung des BFH dem klägerischen Schweigen nach dem Erlaß eines Änderungsbescheids, mit dem er sein Klageziel erreicht hatte, eine solche Bedeutung beigemessen, wenn nach Erledigung der Hauptsache das Schweigen des Klägers nicht ohne weiteres als Aufrechterhalten des bisherigen Sachantrags angesehen werden konnte (Urteil in BFHE 128, 324, BStBl II 1979, 705). Dabei konnte aber bislang unberücksichtigt bleiben, daß auf eine Sachentscheidung auch im Wege der Klagerücknahme verzichtet werden kann. Im allgemeinen ist nämlich die Verfahrensbeendigung durch Erledigung im Hinblick auf die Kostenfolge für den Kläger günstiger als die Klagerücknahme, bei der ihn die Kosten stets allein treffen (§ 136 Abs. 2 FGO). So sind auch in den bisher entschiedenen Fällen, in denen das klägerische Schweigen als Erledigungserklärung behandelt worden ist, die Kosten nach § 138 FGO dem beklagten FA auferlegt worden (Urteil in BFHE 128, 324, BStBl II 1979, 705).

Im stillschweigenden Verzicht auf die Sachentscheidung gerade eine Erledigungserklärung zu sehen, kann aber dann nicht in Betracht kommen, wenn sich daraus für den Kläger ungünstigere Folgen als im Falle der Klagerücknahme ergeben. Dies ist hier der Fall. Im Streitfall konnte - im Unterschied zur Erledigung - nach der Nr. 1301 der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG die Klagerücknahme zum Wegfall der Verfahrensgebühr führen. Dagegen läßt sich nicht einwenden, unmittelbar nach Ablauf der vom FG gesetzten Frist hätte die - gegen den weggefallenen Bescheid - aufrechterhaltene Klage durch Vorbescheid als unzulässig abgewiesen werden können, wodurch sich für die Kläger weitaus ungünstigere Folgen ergeben hätten (vgl. Nr. 1303 der Anlage 1 zu § 11 GKG). Eine solche Entscheidung hätte nämlich nicht ergehen dürfen. Zwar konnte die Klage nicht als zurückgenommen angesehen werden. Wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, ist die Klagerücknahme nur durch Einreichung eines Schriftsatzes möglich (BFH-Beschluß vom 3. August 1978 VI R 73/78, BFHE 125, 498, BStBl II 1978, 649). Nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats in BFHE 127, 147, BStBl II 1979, 375 setzt aber die Abweisung der Klage als unzulässig die Gewißheit des Gerichts darüber voraus, daß der Kläger seinen Sachantrag aufrechterhält (vgl. zu einem solchen Fall BFH-Urteil vom 27. April 1982 VIII R 36/79, BFHE 135, 264, BStBl II 1982, 407). Davon kann im Streitfall nicht die Rede sein. Dementsprechend hätte das FG nach dem im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz auf einen sachdienlichen Antrag hinwirken müssen (§ 76 Abs. 2 FGO). Daß die Kläger dann bei Vornahme einer der in der Anlage 1 Nr. 1301 zu § 11 GKG genannten Verfahrenshandlungen die Möglichkeit der kostenaufhebenden Klagerücknahme verloren hätten, rechtfertigt nicht, ihnen diesen Vorteil schon von vornherein - unmittelbar mit Ablauf der Frist - zu nehmen. Auf keinen Fall konnte auch von einer - stillschweigenden - Erledigungserklärung deshalb ausgegangen werden, weil das FG den Klägern mitgeteilt hatte, es werde ihr Schweigen in diesem Sinne verstehen. Damit ist es über die ihm in § 76 Abs. 2 FGO eingeräumte Befugnis hinausgegangen. Danach darf es zwar Anträge der Kläger anregen, nie aber solche unterstellen (vgl. auch Eyermann / Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 8. Aufl., Rdnr. 8 zu § 161).

3. Danach ist der Rechtsstreit nicht schon durch die - vom FG angenommene - Erledigung, sondern erst durch die Rücknahme der Klage beendet worden. Das Verfahren ist deshalb nach § 72 Abs. 2 FGO einzustellen.

a) Der Senat entscheidet in der Besetzung von drei Richtern (§ 10 Abs. 3 2. Halbsatz FGO) durch Beschluß (§ 132 FGO).

Zwar hat der BFH über eine Revision - in der Besetzung von fünf Richtern (§ 10 Abs. 3 1. Halbsatz FGO) - grundsätzlich durch Urteil zu entscheiden. Dies gilt aber nicht, wenn das Rechtsmittel, über das zu entscheiden ist, nur nach dem Grundsatz der sog. Meistbegünstigung als Revision zulässig ist. Der Meistbegünstigungsgrundsatz hat allein den Zweck, den Beteiligten die Anfechtung mit dem durch die unrichtige Form der Entscheidung vorgezeichneten Rechtsmittel zu ermöglichen. Er darf jedoch nicht dazu führen, daß durch eine der Art nach falsche Entscheidung der unteren Instanz die Entscheidungsform und damit in der Regel auch die Besetzung des Rechtsmittelgerichts verändert wird. Der BFH befindet darum in der Form, in der er bei einer Entscheidung des FG durch Beschluß und dem dagegen gegebenen Rechtsmittel der Beschwerde zu entscheiden gehabt hätte (vgl. dazu Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 24. November 1965 VIII ZR 168/65, MDR 1966, 232).

b) Infolge dieser Besetzung ist es dem Senat daher möglich, die - noch offene - Einstellung des Verfahrens nach § 72 Abs. 2 FGO anzusprechen. Gleichzeitig ist auch der Beschluß des FG vom 12. Juni 1985 I 91/84 aufzuheben, der dazu in Widerspruch steht.

4. Die Kostenentscheidung hinsichtlich des finanzgerichtlichen Verfahrens beruht auf § 136 Abs. 2 FGO. Im Revisionsverfahren wurde nur über die Art der Beendigung des Verfahrens gestritten. Da die Kläger insoweit obsiegt haben, waren die Kosten des Revisionsverfahrens gemäß § 135 Abs. 1 FGO dem FA aufzuerlegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415149

BFH/NV 1988, 258

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