Leitsatz (amtlich)
1. Für den Erlaß von Gerichtskosten ist vom 1. Januar 1966 ab unabhängig von Beginn und Ende des gerichtlichen Verfahrens § 7 GKG allein maßgebend.
2. Ein Kostenerlaß soll nicht dazu dienen, dem Rechtsmittelführer das Prozeßrisiko nachträglich teilweise abzunehmen.
Normenkette
FGO § 140; GKG § 7; AO a.F. § 319 Abs. 1
Tatbestand
Es handelt sich um eine Beschwerde gegen den Beschluß des FG, durch den der Antrag auf Erlaß der Gerichtskosten in Höhe von 216 DM abgelehnt wurde.
Das FG hatte durch rechtskräftiges Urteil vom 25. November 1965 die Berufung zurückgewiesen und dabei eine HGA-Schuld für das der Beschwerdeführerin gehörige Grundstück bestätigt. Es handelt sich um ein Rückerstattungsgrundstück der in Amerika wohnenden Beschwerdeführerin, das durch Beschluß der Wiedergutmachungskammer zurückerstattet wurde. Nach der Kostenfestsetzung durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des FG vom 21. September 1966 beantragte die Beschwerdeführerin, ihr die Kosten gemäß § 319 AO a. F. zu erlassen. Sie ließ vortragen, ein Billigkeitserlaß sei angebracht, weil die Festsetzung der HGA auf der Fiktion eines tatsächlich nicht entstandenen Schuldnergewinns beruhe (§ 2 Abs. 2 der 15. AbgabenDV-LA).
Das FG lehnte den Antrag durch Beschluß vom 26. Juli 1967 ab und führte zur Begründung aus, daß § 319 AO a. F. mit dem Inkrafttreten der FGO ab 1. Januar 1966 außer Kraft getreten sei, auch wenn das gerichtliche Verfahren vor dem 1. Januar 1966 eröffnet worden sei (Beschluß des BFH V 8/64 vom 7. Juli 1966, BFH 86, 502, BStBl III 1966, 565). Auf den seitdem maßgeblichen § 7 des Gerichtskostengesetzes (GKG) könne der Erlaßantrag nicht gestützt werden, da die Berufung (Antrag) nicht auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruhe. Hier werde nur Unbilligkeit der gesetzlichen Regelung geltend gemacht.
Der gegen den Beschluß eingelegten Beschwerde half das FG nicht ab.
Mit der Beschwerde wird geltend gemacht, § 319 AO a. F. mit seiner Billigkeitsregelung sei noch anwendbar, da das Berufungsurteil vor Inkrafttreten der FGO zugestellt worden sei. Aber auch § 7 Abs. 1 GKG mit dem Begriff der unverschuldeten Unkenntnis der rechtlichen Verhältnisse sei anwendbar, da der Ausgang der Hauptentscheidung zweifelhaft gewesen sei. Erlaß der Gerichtskosten sei hier ohne wirtschaftliche Bedrängnis geboten; denn das von ihr zu entrichtende Rückgewährentgelt hätte unter Berücksichtigung der HGA niedriger bemessen werden müssen.
Das FA (Beschwerdegegner) beantragte zunächst Zurückweisung der Beschwerde. Später erklärte es, ihm fehle seit der landesrechtlichen Neuregelung ab 1. Januar 1968 in jedem Falle die Zuständigkeit, Gerichtskosten wegen ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse zu erlassen; dafür sei der Finanzgerichtspräsident zuständig. Das FA befürwortete den Erlaß durch den Finanzgerichtspräsidenten.
Die Beschwerdeführerin stellte anheim, die Beschwerdeentscheidung bis zu einer Entscheidung des Finanzgerichtspräsidenten auszusetzen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das FG hat dem angefochtenen Beschluß zutreffend § 7 GKG zugrunde gelegt. In dem dort angeführten BFH-Beschluß V 8/64 vom 7. Juli 1966, a. a. O., ist ausgeführt, seit dem 1. Januar 1966 sei für den Erlaß der Gerichtskosten § 7 GKG maßgebend. § 319 Abs. 1 AO a. F. könne auch nicht mehr auf die Fälle angewendet werden, die vor dem 1. Januar 1966 beim BFH anhängig geworden seien. Später hat sich der I. Senat in dem Urteil I 116/65 vom 11. Januar 1967 (BFH 88, 39, BStBl III 1967, 274) dieser Auffassung angeschlossen. Der VI. Senat, der durch den Beschluß VI 92/63 vom 24. Juni 1966 (BFH 86, 464, BStBl III 1966, 564) § 319 AO a. F. für die Übergangsfälle für anwendbar erklärt hatte, hatte sich mit der Abweichung von seiner Entscheidung einvertanden erklärt (siehe das BFH-Urteil I 116/65, a. a. O.).
Der erkennende Senat vertritt ebenfalls die Auffassung, daß die Vorschrift des § 319 AO a. F. nach § 162 Nr. 40 FGO in Verbindung mit § 184 Abs. 1 FGO seit dem Inkrafttreten der FGO nicht mehr anwendbar ist. Dabei kommt es nicht darauf an, wann das Urteil des FG zugestellt wurde.
Nach § 7 Abs. 1 GKG "kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht". Da Unkenntnis tatsächlicher Verhältnisse entfällt, käme ein Erlaß nur bei Annahme einer unverschuldeten Unkenntnis der Rechtslage in Frage (Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 140 FGO, Anmerkung 6). Das ist hier nicht anzunehmen. Die Antragstellerin kannte das Rückerstattungsverfahren mit der Rückerstattung des Grundstücks und den Beschluß des Landgerichts über die Umstellung der Hypothek im Verhältnis 10 : 1 (siehe Urteilsgründe des FG). Die Beschwerdeführerin hatte seinerzeit selbst die Umstellung 10 RM : 1 DM erfolgreich betrieben. Wenn die Beschwerdeführerin das Berufungsverfahren durchführte, da sie die nach ihrer Ansicht zweifelhaften Vorschriften des Lastenausgleichsgesetzes und der 15. AbgabenDV-LA anders als das FG auslegte und eine HGA-Schuld verneinte, so liegt darin das jedem Rechtsstreit innewohnende Prozeßrisiko, das dem Rechtsmittelführer nicht teilweise nachträglich durch Kostenerlaß abzunehmen ist. Eine unrichtige Behandlung im Sinne des § 7 Abs. 1 GKG liegt nur vor, wenn gegen eindeutige gesetzliche Normen verstoßen wurde und der Verstoß offen zutage tritt oder bei einem offensichtlichen Versehen (Lauterbach, Kostengesetze, 15. Aufl., § 7 GKG, Anm. 2). Die Unkenntnis der Verhältnisse richtet sich nach dem Einzelfall, wobei Bildungsgrad und sonstige Umstände zu beachten sind. Das Handeln des Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen (Lauterbach, a. a. O., Anm. 4 B). Im Streitfall war die Rechtsmittelführerin durch einen Dr. jur. und früheren Kammergerichtsrat vertreten, dem der Begriff des Prozeßrisikos unzweifelhaft von Anfang an bekannt war. Zudem handelt es sich bei § 7 Abs. 1 Satz 3 GKG nur um eine Kannvorschrift. Der Beschwerdeführerin stand es frei, Revision einzulegen, wenn sie das Urteil des FG für falsch hielt.
Über den Erlaßantrag hatte nach § 7 GKG das FG zu entscheiden; für die Beschwerde gegen dessen Beschluß ist der BFH zuständig (§ 128 Abs. 1 FGO). Infolgedessen ist die vom FA erwähnte Zuständigkeit des Landesjustizministers für den Erlaß von Gerichtskosten bzw. die Delegation an den Finanzgerichtspräsidenten ab 1. Januar 1968 für die anhängige Beschwerde ebenso ohne Auswirkung wie die Befürwortung des Erlasses durch das FA. Eine Entscheidung über den Erlaß im Verwaltungswege kann nur ergehen, solange nicht das Gericht entschieden hat; bereits eine erstinstanzliche bejahende oder verneinende gerichtliche Entscheidung schließt eine Verwaltungsentscheidung aus (§ 7 Abs. 2 GKG; Lauterbach, a. a. O., Anm. 5 insbesondere C). Für die Aussetzung des Verfahrens ist kein Raum. Die Voraussetzung des § 74 FGO ist nicht gegeben.
Fundstellen
Haufe-Index 67746 |
BStBl II 1968, 659 |
BFHE 1968, 548 |