Leitsatz (amtlich)

Gemäß Art. 177 Abs. 1 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft werden dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Widerspricht es dem EWG-Vertrag, daß die Regelung in Art. 17 Abs. 2 der Verordnung Nr. 19 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die schrittweise Errichtung einer gemeinsamen Marktorganisation für Getreide vom 4. April 1962 (AblEG 1962, 933) – Vorausfixierung des Abschöpfungsbetrages – nur für Einfuhren aus dritten Ländern getroffen ist, nicht aber in gleicher Weise auch für solche aus Mitgliedstaaten?
  2. Bei Bejahung der Frage zu a):

    Kann hieraus gefolgert werden, daß bei der Einfuhr von Hafer aus den Niederlanden, bei der sich der Transport durch höhere Gewalt verzögert hat, vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 31 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 2. April 1963 (ABlEG 1963, 1225) nicht der am tatsächlichen Einfuhrtag geltende Abschöpfungsbetrag, sondern der am ursprünglich vorgesehen gewesenen Einfuhrtag geltende Abschöpfungsbetrag zu erheben ist, wie es für die Einfuhr aus Drittländern in Art. 9 der Verordnung Nr. 87 der Kommission vom 25. Juli 1962 (ABlEG 1962, 1895) in Verbindung mit Art. 7 der Verordnung Nr. 54 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 30. Juni 1962 (AblEG 1962, 1581) vorgesehen ist?

  3. Bei Verneinung der Frage zu a) oder b):

    Gilt die Regelung in Art. 9 der Verordnung Nr. 87/62 in Verbindung mit Art. 7 der Verordnung Nr. 54/62 – Erhebung der zugesagten Abschöpfung bei Verzögerung der Einfuhr durch höhere Gewalt – analog auch für die Einfuhr von Hafer aus den Niederlanden, d. h. ist der am geplant gewesenen Einfuhrtag geltende Abschöpfungsbetrag zu erheben, wenn sich die Einfuhr infolge höherer Gewalt verzögert hat, und zwar vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 31/63, die selbst keine entsprechende Regelung enthält?

 

Normenkette

EWGV 19/62 Art. 17 Abs. 2; EWGV 54/62 Art. 7; EWGV 31/63; EWGV 87/62 Art. 9

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin beantragte am 22. März 1963 beim Zollamt (ZA) aus den Niederlanden eingeführten Hafer zum freien Verkehr abzufertigen. Der Berechnung der Abschöpfung legte das ZA zunächst den vorläufigen Abschöpfungssatz vom 25. Februar 1963 in Höhe von 93,62 DM/1 000 kg und später, im endgültigen Abschöpfungsbescheid vom 22. April 1963, den endgültigen Abschöpfungssatz von 91,53 DM/1000 kg zugrunde. Die endgültig erhobenen Abgaben betrugen 9 069,30 DM Abschöpfung und 326,90 DM Ausgleichsteuer.

Der Einspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, daß der Abschöpfungssatz anzuwenden sei, der in dem Zeitpunkt gültig war, in dem die Ware abgefertigt worden wäre, wenn die auf dem Wasserwege erfolgte Beförderung sich nicht infolge Vereisung erheblich verzögert hätte, hatte keinen Erfolg. Auch die als Klage behandelte Berufung blieb erfolglos.

Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, daß die Abschöpfung nach dem am Tage der Einfuhr geltenden Abschöpfungssatz (91,53 DM/1 000 kg) gemäß § 4 Abs. 1 des Abschöpfungserhebungsgesetzes (AbG) in der damals geltenden Fassung und Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 19/62 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zu Recht erhoben worden sei. Es liege keine gesetzliche Lücke, sondern eine bewußte Regelung durch den EWG Gesetzgeber vor, wenn Art. 17 Abs. 2 der Verordnung Nr. 19/62 und demgemäß § 4 Abs. 5 AbG nur für Einfuhren aus Drittländern, dagegen nicht für Einfuhren aus Mitgliedstaaten Einfuhrlizenzen mit der sogenannten vorausfixierten Abschöpfung zuließen. Außerdem verbiete sich eine analoge Anwendung der von der Klägerin erwähnten Bestimmungen (Art. 9 der Verordnung Nr. 87/62 in Verbindung mit Art. 7 der Verordnung Nr. 54/62) auf den Streitfall sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Sinn.

II.

1. Die Klägerin beantragt mit ihrer Revision u. a. sinngemäß, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) darüber einzuholen, ob es mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) vereinbar war, daß im maßgebenden Zeitpunkt eine Vorausfixierung der Abschöpfung gemäß Art. 17 Abs. 2 der Verordnung Nr. 19/62 und die Erhebung der vorausfixierten Abschöpfung gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 87/62 im Falle höherer Gewalt nur bei Drittlandseinfuhren vorgesehen war.

Getreide werde in der Regel – im Abladegeschäft von Übersee ausnahmslos – in einem viel früheren Zeitpunkt eingekauft und im Inland weiterverkauft, als die zollamtliche Abfertigung stattfinde. Derartige Termingeschäfte – das Durchhandeln des Getreides vor der Einfuhr – sei die Regel und in überseeischen Abladegeschäften geradezu zwingend. Es sei nicht Sinn der EWG-Marktordnung, im Handel von Getreide zwischen den Mitgliedstaaten Termingeschäfte zu unterbinden. Das Reportsystem ermögliche es dem Einführer, auch schon im Termin vorzuverkaufen und durchzuhandeln. Er wisse, welcher Schwellenpreis maßgebend sei, wenn er beispielsweise französisches Getreide im Oktober zur Lieferung im Dezember einkaufe und verkaufe. Ebenso wie bei einem Terminkauf im Abladegeschäft bei der Einfuhr von Getreide aus Drittländern würden aber auch bei einem Einfuhrgeschäft aus den Mitgliedstaaten die Vorausdispositionen des Einführers und die Vorausberechnungen über die Höhe der Abschöpfung begrenzt, wenn ein Fall höherer Gewalt einträte und sich Einfuhr und zollamtliche Abfertigung aus diesem Grunde verzögert hätten.

In der EWG-Marktordnung sei nun diesen Sonderfällen bei der Einfuhr von Getreide aus Drittländern in Art. 9 der Verordnung Nr. 87/62 in Verbindung mit Art. 7 der Verordnung Nr. 54/62 Rechnung getragen. Bei der Einfuhr aus Mitgliedstaaten sei das übersehen worden.

Nach Sinn und Zweck der EWG-Marktordnung könne es nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, hier eine Sonderregelung für den Fall einer höheren Gewalt auszuschließen. Es liege vielmehr eine echte Lücke vor, die durch eine entsprechende Anwendung der vorgenannten Bestimmungen geschlossen werden müsse.

2. Das Hauptzollamt (HZA) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht es sich auf die Ausführungen der Vorentscheidung.

 

Entscheidungsgründe

III.

1. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Erhebung der höheren Abschöpfung hängt im vorliegenden Rechtsstreit von der Beantwortung der im Tenor gestellten Fragen ab. Das HZA vertritt die Auffassung des FG, daß es nicht gegen des EWG-Recht verstoße, wenn im Streitfalle eine Vorausfixierung der Abschöpfung nicht möglich war, und daß auch im Falle höherer Gewalt der Abschöpfungssatz am Tage der Einfuhr maßgebend gewesen sei, während die Klägerin der Meinung ist, daß auch bei Einfuhren aus Mitgliedstaaten im Falle höherer Gewalt der am ursprünglich vorgesehen gewesenen Einfuhrtag geltende Abschöpfungsbetrag zu erheben sei. Da die streitigen Rechtsfragen auf Grund des EWGV und von Verordnungen des Rates und der Kommission zu entscheiden sind, geht es um die Auslegung des Vertrages und von Handlungen der Organe der Gemeinschaft.

2. Nach Art. 177 Abs. 1 EWGV entscheidet der EGH im Wege der Vorabentscheidung u. a. über die Auslegung des Vertrages und über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe der Gemeinschaft. Nach Abs. 3 (a. a. O.) ist, wenn eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt wird, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI514747

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge