Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung vorfinanzierter Ausfuhrerstattung wegen anderer Beschaffenheit der Ware; Zulässigkeit der Aussetzung der Erstattungen für Getreideausfuhren nach der UdSSR in 1980
Leitsatz (amtlich)
Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu den Fragen, in welcher Höhe vorfinanzierte Ausfuhrerstattungen zurückzuzahlen sind, wenn Waren anderer Beschaffenheit, als der Verpflichtung entsprach, ausgeführt worden sind, und ob die Kommission befugt war, 1980 wegen der Intervention der UdSSR in Afghanistan Erstattungen für Getreideausfuhren nach der UdSSR auszusetzen.
Orientierungssatz
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
a) Ist das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Art. 10 Abs. 4 der VO (EWG) Nr. 798/80 in der Fassung der VO (EWG) Nr. 3445/85, dahin auszulegen, daß ein Begünstigter, der bei der Inanspruchnahme der Vorausfinanzierung der Ausfuhrerstattungen nach Art. 4 der VO (EWG) Nr. 565/80 sich nach Art. 2 der VO (EWG) Nr. 798/80 verpflichtet hatte, ein Mehl mit einem Aschegehalt von 0 bis 520 mg/100 g auszuführen, tatsächlich aber ein Mehl mit einem Aschegehalt von über 520 mg/100 g ausgeführt hat, den vollen Vorauszahlungsbetrag zurückzuzahlen hat und stattdessen nur Ausfuhrerstattung für die tatsächlich ausgeführten Waren nach Maßgabe der Regelung der VO (EWG) Nr. 2730/79 der Kommission vom 29. November 1979 beanspruchen kann?
b) Bei Bejahung der Frage a): Ist die VO (EWG) Nr. 1633/80 gültig, soweit in ihr der Ausfuhrerstattungssatz für Ausfuhren nach der UdSSR auf 0 ECU festgesetzt worden ist? Bei Verneinung dieser Frage: Ist dann ein Ausführer unter besonderen Voraussetzungen so zu stellen, als ob die Erstattung für Ausfuhren nach der UdSSR nicht ausgesetzt worden wäre?
Normenkette
EWGV 565/80 Art. 4; EWGV 798/80 Art. 2, 10 Abs. 4, Art. 11; EWGV 1633/80; EWGVtr Art. 177 Abs. 3
Nachgehend
EuGH (Entscheidung vom 27.02.1992; Aktenzeichen C-5/90 und C-206/90) |
Tatbestand
I. Die zu einer Zweckgemeinschaft zusammengeschlossenen Klägerinnen, Revisionsklägerinnen und Revisionsbeklagten (Klägerinnen) unterstellten am 27.November 1980 10 533 837 kg Weizen der Zollkontrolle i.S. des Art.4 der Verordnung (EWG) Nr.565/80 (VO Nr.565/80) des Rates über die Vorauszahlung von Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse vom 4.März 1980 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 62/5). Die Zweckgemeinschaft verpflichtete sich in der Zahlungserklärung nach Art.2 der Verordnung (EWG) Nr.798/80 (VO Nr.798/80) der Kommission über Durchführungsvorschriften für die Vorfinanzierung von Ausfuhrerstattungen und positiven Währungsausgleichsbeträgen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen vom 31.März 1980 (ABlEG L 87/42), aus diesem Weizen 6 973 400 kg Mehl mit einem Aschegehalt von 0 bis 520 mg/100 g herzustellen und fristgerecht auszuführen. Am 2.Dezember 1980 beantragte die Zweckgemeinschaft beim Beklagten, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Hauptzollamt --HZA--) die Gewährung von Ausfuhrerstattung und Währungsausgleichsbeträgen (WAB) im Wege der Vorfinanzierung für dieses Mehl. Das HZA gewährte in mehreren Bescheiden des Jahres 1980 und 1981 insgesamt 1 949 864,84 DM Ausfuhrerstattung und WAB. Das Mehl wurde nach Polen, in die UdSSR, in den Süd- und den Nordjemen ausgeführt.
Mit Bescheid vom 2.April 1982 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 15.Oktober 1982 forderte das HZA von der Zweckgemeinschaft 616 507,19 DM Ausfuhrerstattung und 571 543,97 DM Mindestzuschlag mit der Begründung zurück, es seien Mehle mit einem Aschegehalt von mehr als 520 mg/100 g ausgeführt worden. Daher sei der vorfinanzierte Betrag zurückzuzahlen. Zu gewähren und gegen den Rückzahlungsanspruch aufzurechnen seien die Ausfuhrvergünstigungen für das ausgeführte Mehl mit einem Aschegehalt von mehr als 520 mg/100 g nach Maßgabe der Art.3 und 4 der Verordnung (EWG) Nr.2730/79 (VO Nr.2730/79) der Kommission vom 29.November 1979 (ABlEG L 317/1), und zwar bis zum Ablauf des letzten Tages der Gültigkeit der vorgelegten Ausfuhrlizenzen (30.November 1980) nach dem am 3.Juli 1980 geltenden Satz und im übrigen nach den im Zeitpunkt der Ausfuhren gültigen Tagessätzen. Mit Änderungsbescheid vom 14.Oktober 1988, der zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist, verzichtete das HZA auf die Erhebung des Mindestzuschlages und forderte nur noch den genannten Ausfuhrerstattungsbetrag zurück.
Die Klage hatte teilweisen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) setzte unter entsprechender Änderung der angefochtenen Bescheide die Rückforderung von Ausfuhrerstattung nach Maßgabe von Art.10 Abs.4 Buchst.c VO Nr.798/80 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr.3445/85 (VO Nr.3445/85) der Kommission vom 6.Dezember 1985 (ABlEG L 328/13) fest. Im übrigen wies das FG die Klage ab. Es führte im wesentlichen aus: Art.10 Abs.4 Buchst.c VO Nr.798/80 in der genannten Fassung sei anwendbar, da die Klägerinnen die Anwendung beantragt hätten (Art.2 Abs.2 VO Nr.3445/85). Diese Vorschrift gelte, wenn die Fristen nach Art.11 eingehalten worden seien. Diese Voraussetzung sei erfüllt, wie sich aus Sinn und Zweck der Vorfinanzierungsregelung ergebe. Die Klägerinnen hätten lediglich einen Anspruch auf Ausfuhrerstattung für Mehl mit einem Aschegehalt von 600 mg/100 g, berechnet nach dem Tag der Vorausfestsetzung. Es sei nicht festzustellen gewesen, daß ein Mehl mit einem Aschegehalt von bis zu 520 mg/100 g ausgeführt worden sei. Die Klägerinnen trügen die objektive Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der Ausfuhrerstattung. Eine Reihe von Umständen spreche dafür, daß die Klägerinnen entgegen ihren Anmeldungen und den eingereichten Proben kein 520er-Mehl ausgeführt hätten.
Beide Beteiligten legten Revision ein.
Das HZA begründet seine Revision im wesentlichen wie folgt: Die von den Klägerinnen gegründete Zweckgemeinschaft habe sich verpflichtet, Mehl mit einem Aschegehalt von bis zu 520 mg/100 g herzustellen und fristgerecht auszuführen. Dies lasse keinen Spielraum zu, eine abweichende Ware mit anderen als den der Vorfinanzierung zugrunde gelegten Ausfuhrvergünstigungssätzen auszuführen.
Die Klägerinnen machen u.a. geltend: Art.10 Abs.4 Buchst.c VO Nr.798/80 sei anwendbar, da die Verarbeitungsfrist nach Art.11 eingehalten worden sei. Die Auffassung des HZA, wegen der Überschreitung des Aschegehaltes sei die der Zollkontrolle unterstellte Ware nicht ausgeführt worden, sei sachfremd, existenzvernichtend und logisch nicht begründbar. Im vorliegenden Fall ergäben sich erhebliche Erstattungsdifferenzen deswegen, weil sich die Erstattungssätze zum Teil grundsätzlich geändert hätten oder --im Fall des Rußland-Exports-- sogar völlig aufgehoben worden seien. Hilfsweise komme es auch darauf an, ob die Herabsetzung der Erstattungen für die Ausfuhr von Weizenmehl in die UdSSR auf 0 durch die Kommission überhaupt rechtswirksam gewesen sei.
Entscheidungsgründe
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist das Gemeinschaftsrecht, insbesondere
Art.10 Abs.4 der Verordnung (EWG) Nr.798/80
in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr.3445/85
dahin auszulegen, daß ein Begünstigter, der
bei der Inanspruchnahme der Vorausfinanzierung
der Ausfuhrerstattungen nach Art.4 der Verordnung
(EWG) Nr.565/80 sich nach Art.2 der
Verordnung (EWG) Nr.798/80 verpflichtet hatte,
ein Mehl mit einem Aschegehalt von 0 bis
520 mg/100 g auszuführen, tatsächlich aber ein
Mehl mit einem Aschegehalt von über 520 mg/100 g
ausgeführt hat, den vollen Vorauszahlungsbetrag
zurückzuzahlen hat und
stattdessen nur Ausfuhrerstattung für die
tatsächlich ausgeführten Waren nach Maßgabe
der Regelung der Verordnung (EWG) Nr.2730/79
der Kommission vom 29.November 1979 beanspruchen
kann?
2. Bei Bejahung der Frage 1: Ist die Verordnung
(EWG) Nr.1633/80 gültig, soweit in ihr der
Ausfuhrerstattungssatz für Ausfuhren nach
der UdSSR auf 0 ECU festgesetzt worden ist?
Bei Verneinung dieser Frage: Ist dann ein
Ausführer unter besonderen Voraussetzungen
so zu stellen, als ob die Erstattung für
Ausfuhren nach der UdSSR nicht ausgesetzt
worden wäre?
II. Es stellen sich Fragen nach der Gültigkeit und der Auslegung von Gemeinschaftsrecht. Der Senat ist daher nach Art.177 Abs.3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet.
1. Nach der Regelung der VO Nr.798/80 ist die Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung vor der Ausfuhr der Waren davon abhängig, daß ein bestimmtes Verfahren eingehalten wird. Teil dieses Verfahrens ist die Abgabe einer Zahlungserklärung, in der sich der Antragsteller u.a. verpflichtet, Waren von bestimmter Beschaffenheit auszuführen (Art.2 Abs.1 und 2 VO Nr.798/80). Ist die tatsächlich ausgeführte Ware von anderer Beschaffenheit, so stellt sich die Frage, welche rechtlichen Folgerungen die zuständige Behörde daraus zu ziehen hat. Nach Auffassung des HZA ist in einem solchen Fall das Vorfinanzierungsverfahren gewissermaßen als gescheitert anzusehen und ist infolgedessen der Begünstigte verpflichtet, den gesamten vorfinanzierten Betrag zurückzuzahlen, während er seinerseits lediglich fordern kann, daß ihm im Verrechnungswege jene Ausfuhrvergünstigungen gutgebracht werden, die er für die Waren der ausgeführten Beschaffenheit nach normalem Ausfuhrerstattungsrecht fordern kann. Nach Auffassung der Klägerinnen, denen das FG insoweit gefolgt ist, ist dagegen unter weiterer Zugrundelegung des nach Art.4 Abs.5 VO Nr.565/80 vorgesehenen maßgebenden Zeitpunkts der vorfinanzierte Betrag nach Maßgabe der für die Waren in der ausgeführten Beschaffenheit geltenden Sätze zu berichtigen und lediglich die Differenz auszugleichen.
Die VO Nr.798/80 regelte diese Frage nicht oder jedenfalls nicht ausdrücklich. Auch Art.10 Abs.4 Buchst.b und c VO Nr.798/80 muß nicht zwangsläufig entnommen werden, daß die Auffassung der Klägerinnen richtig ist. Denn diese Regelungen setzen die Einhaltung der Verarbeitungsfrist des Art.11 VO Nr.798/80 voraus. Davon kann nicht ohne weiteres ausgegangen werden, wenn die ausgeführte Ware nicht der Ware entspricht, zu deren Ausfuhr sich der Begünstigte verpflichtet hatte. Immerhin ergibt sich aus Art.10 Abs.4 Buchst.b und c VO Nr.798/80, daß es nach Auffassung der Kommission Fälle geben kann, in denen sich der Anspruch auf Erstattung auf einen geringeren als den vorfinanzierten Betrag erstreckt und dennoch von der Einhaltung der Verarbeitungsfrist ausgegangen werden kann. Ob darunter auch Fälle wie der vorliegende zu verstehen sind, ist aber nicht zweifelsfrei.
Im Urteil vom 5.Februar 1987 Rs.288/85 (EuGHE 1987, 621) hatte sich der EuGH mit der Verordnung (EWG) Nr.1957/69 (VO Nr.1957/69) der Kommission vom 30.September 1969 (ABlEG L 250/1), der Vorgänger-Verordnung zur VO Nr.798/80, im Zusammenhang mit einem ähnlichen Sachverhalt zu befassen. Seine Ausführungen in Absatz 11 der Urteilsgründe könnten im Sinne der Auffassung des HZA interpretiert und dahin verstanden werden, daß nach Auffassung des EuGH im Falle der Nichterfüllung der Ausfuhrförmlichkeiten (also z.B. bei Ausfuhr einer anderen Ware als es der Verpflichtung entsprach) der Begünstigte den gesamten vorfinanzierten Erstattungsbetrag zurückzuzahlen hat, weil er ihm nicht zustand. Einer solchen Interpretation steht aber entgegen, daß für den EuGH in Anbetracht der gestellten Frage kein Anlaß für ein Eingehen auf dieses Problem bestand. Die dort gestellte Frage bezog sich nur auf den zwanzigprozentigen Zuschlag und seine Berechnung (vgl. Art.6 Abs.1 VO Nr.1957/69). Die Frage des Zuschlags spielt aber im vorliegenden Fall (vgl. Art.7 Abs.1, Art.10 Abs.4 VO Nr.798/80) keine Rolle, da ihn das HZA von den Klägerinnen nicht (mehr) fordert. Überdies zeigt erst der vorliegende Fall, welche erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen es hätte, wenn eine relativ geringfügige, aber erstattungsrechtlich relevante Abweichung der Beschaffenheit der ausgeführten Ware von den Angaben in der Zahlungserklärung zum Anlaß genommen würde, die Höhe des Erstattungsbetrages nicht nach Art.4 Abs.5 VO Nr.565/80, sondern nach den Vorschriften der VO Nr.2730/79 neu zu berechnen. Dies müßte dem Ausführer allerdings nicht stets zum Nachteil gereichen (wie das hier der Fall ist), sondern bei etwa inzwischen eingetretener Erhöhung der Erstattungssätze könnten sich auch Vorteile ergeben.
2. Wenn der EuGH die Frage 1 bejaht, stellt sich die weitere Frage, ob die dann für die Entscheidung zum Teil (d.h. für die Ausfuhren nach der UdSSR) maßgebende Verordnung (EWG) Nr.1633/80 (VO Nr.1633/80) der Kommission vom 26.Juni 1980 (ABlEG L 162/45) gültig ist, soweit sie den Erstattungssatz für Ausfuhren nach der UdSSR auf 0 der Europäischen Währungseinheit (ECU) festgesetzt hat. Daran könnten deswegen Zweifel bestehen, weil die Regelung insoweit offenbar durch allgemeinpolitische Erwägungen veranlaßt war (Intervention der UdSSR in Afghanistan). Der Senat hat zwar mit Urteil vom 23.Februar 1988 VII R 31/86 und VII R 29/87 (BFHE 152, 382, Nr.1 a cc der Gründe) die Gültigkeit der Vorgänger-Verordnungen der VO Nr.1633/80 bejaht. Es bestehen aber Zweifel, ob die Kommission die Befugnis hatte, selbst durch Aussetzung der Erstattungssätze die (politische) Entscheidung über einen Boykott von Getreidelieferungen nach der UdSSR zu treffen, weil es für eine solche politische Maßnahme zumindest einer Ermächtigung durch den Rat der Europäischen Gemeinschaften bedurft hätte. Falls der EuGH die VO Nr.1633/80 für ungültig halten sollte, stellt sich die Frage, ob Betroffene wie die Klägerinnen unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. mangelnde Voraussehbarkeit der Aussetzung, keine Möglichkeit, Ausfuhrgeschäfte rückgängig zu machen) so behandelt werden können, als ob die Erstattungen nicht ausgesetzt worden wären.
Fundstellen
Haufe-Index 62649 |
BFHE 159, 289 |
BFHE 1990, 289 |
BB 1990, 200-200 (L1-2) |
HFR 1990, 170 (LT) |
StE 1990, 57 (K) |
RIW/AWD 1990, 243 (T) |
ZfZ 1990, 83 (KT) |