Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung - Anordnungsgrund
Leitsatz (NV)
Ein Anordnungsgrund, der neben dem Anordnungsanspruch für den begehrten Erlaß einer einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht werden muß, ist nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO nur gegeben, wenn er so schwerwiegend ist, daß er die begehrte einstweilige Anordnung unabweisbar macht. Das ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Antragstellers durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1, 3; ZPO § 920 Abs. 2
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Antragsteller mit der beantragten vorläufigen Einstellung der Vollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung eine Regelungsanordnung i. S. des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO begehrt. Das gilt nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch für den Fall, daß der einstweilige Rechtsschutzantrag auf § 258 AO 1977 - einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung durch das Gericht - gestützt wird (vgl. Beschlüsse vom 4. April 1989 VII B 35/85, BFH/NV 1989, 714, und vom 30. März 1989 VII B 221/88, BFH/NV 1989, 794, m. w. N.). Ein Anordnungsgrund, der neben dem Anordnungsanspruch für den begehrten Erlaß einer einstweiligen Anordnung vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden muß (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), ist nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO nur gegeben, wenn er so schwerwiegend ist, daß er die begehrte einstweilige Anordnung unabweisbar macht. Das ist nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung des Senats grundsätzlich nur dann der Fall, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Antragstellers durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist. Bei drohenden Vollstreckungsmaßnahmen müssen die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Umstände über die Nachteile hinausgehen, die regelmäßig bei einer Vollstreckung zu erwarten sind. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß im Streitfall ein solcher die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers berührender Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden ist.
Aus der im Erlaßverfahren dargelegten Gegenüberstellung des monatlichen Einkommens des Antragstellers und seiner Ehefrau (. . . DM Renten zuzüglich . . . DM Sozialhilfe) und des monatlichen Lebensbedarfs (. . . DM) folgt nicht, daß jegliche Vollstreckungsmaßnahmen des FA die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers bedrohen würden. So sind in den angegebenen Aufwendungen . . . DM für Telefon/Fernsehen und . . . DM für eine Putzfrau enthalten, deren zwingende Notwendigkeit nicht glaubhaft gemacht ist. Der Antragsteller hat die Notwendigkeit der Beschäftigung einer Putzfrau zwar mit der Krankheit seiner Ehefrau begründet; er hat aber nicht dargelegt, daß er - der Vollstreckungsschuldner - nicht selbst in der Lage sei, die anfallenden Hausarbeiten zu verrichten. Bei einer etwaigen Pfändung der Rentenbezüge müßten zudem die Pfändungsbeschränkungen und -verbote nach den §§ 319 AO 1977, 54 des Sozialgesetzbuches (SGB) Teil 1 beachtet werden, so daß das Existenzminimum des Antragstellers und seiner Ehefrau weiterhin gewährleistet wäre.
Das FG geht aber zutreffend davon aus, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt Vollstreckungsmaßnahmen des FA, die die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers bedrohen könnten, nicht bevorstehen und deshalb der Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung gegenwärtig nicht unabweisbar erscheint. Das FA hat bisher trotz mehrfacher Mahnungen und Zahlungsaufforderungen mit Vollstreckungsandrohungen - zuletzt mit Verfügung vom . . . - in die Rentenbezüge des Antragstellers nicht vollstreckt, obwohl ihm diese spätestens seit dem Erlaßantrag vom . . . bekannt sind. Im Hinblick auf die insoweit bestehenden gesetzlichen Pfändungsbschränkungen erscheinen derartige Vollstreckungsmaßnahmen auch künftig wenig wahrscheinlich. In seinem Schriftsatz vom . . . an das FG hat das FA zum Ausdruck gebracht, daß es (andere) Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Antragsteller prüfe und dabei die ihm bekanntgewordene Kapitalversicherung über eine Versicherungssumme von . . . DM erwähnt. Sollte die Vollstreckung in diesen Vermögensgegenstand oder in etwaige andere vom FA inzwischen ermittelte Vermögenswerte des Antragstellers möglich sein und unmittelbar bevorstehen, so ist nicht ersichtlich, inwieweit dadurch die wirtschaftliche Existenz des Antragstellers und seiner Ehefrau in der Weise beeinträchtigt würde, daß die Vollstreckung im Wege der beantragten einstweiligen Anordnung vorläufig ausgesetzt werden müßte. Das gilt auch für den Fall, daß aus der Kapitalversicherung - wie der Antragsteller behauptet - die Ehefrau bezugsberechtigt sein sollte. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Ehefrau des Antragstellers hinsichtlich der rückständigen Einkommensteuer ebenfalls Steuer- und Vollstreckungsschuldnerin ist (§ 44 Abs. 1 AO 1977, §§ 26, 26 b des Einkommensteuergesetzes).
Der Vollstreckungsschuldner muß - wie oben ausgeführt - die üblicherweise mit einer Vollstreckung verbundenen Nachteile regelmäßig hinnehmen. Eine Existenzbedrohung durch unmittelbar bevorstehende Vollstreckungsmaßnahmen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Entgegen der Auffassung der Beschwerde kann aus dem Beschluß des Senats in BFH/NV 1988, 162, nach dem ein Anordnungsgrund fehlt, wenn keine Anzeichen für eine Vollstreckung ersichtlich sind, nicht im Umkehrschluß hergeleitet werden, daß der Anordnungsgrund stets gegeben sei, wenn demnächst mit Vollstreckungsmaßnahmen des FA gerechnet werden müsse. Der Antragsteller muß vielmehr zur Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes im einzelnen darlegen, mit welchen Vollstreckungsmaßnahmen des FA bei den ihm (dem Antragsteller) bekannten Vermögensverhältnissen gerechnet werden muß und aus welchem Grunde diese seine Existenz bedrohen. Da der Antragsteller dies auch mit der Beschwerde nicht getan hat, war sein Rechtsmittel als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 417557 |
BFH/NV 1991, 693 |