Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Richterablehnung wegen Verfahrensfehlern oder Gründen allein in der Person des Prozeßbevollmächtigten; zur Besetzung der Richterbank beim BFH
Leitsatz (NV)
1. Aus der Rüge, ein Richter habe einen Verfahrensfehler begangen, ergibt sich kein Ablehnungsgrund gegen diesen Richter.
2. Ein Richter kann nicht aus Gründen abgelehnt werden, die nicht mit dem Prozeßbevollmächtigten im Zusammenhang stehen, sondern allein in der Person des Prozeßbevollmächtigten liegen.
3. Vor dem BVerfG anhängige Musterverfahren wegen der Besetzung der Richterbank des BFH sind kein Grund für die Aussetzung von Revisions- und Beschwerdeverfahren vor dem BFH.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; FGO § 51 Abs. 1 S. 1, § 74; ZPO § 42
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wandte sich mit der Beschwerde gegen die Mitteilung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -), daß über seinen Einspruch (wegen der Höhe des Grundfreibetrages und Kinderfreibetrages) gegen den Steuerbescheid für das Streitjahr (1987) noch nicht entschieden werden könne. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde zurück. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Das Finanzgericht (FG) lud den Prozeßbevollmächtigten des Klägers zur mündlichen Verhandlung auf den 14. Mai 1992. Am Sitzungstag ging beim zuständigen Senat des FG ein Telebrief des Klägers vom 13. Mai 1992 ein, mit dem er den Vorsitzenden Richter am FG D wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnte. Gleichzeitig bat er um Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung. Zur Begründung bezog er sich auf einen in Ablichtung beigefügten Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 12. Mai 1992 in einem Parallelverfahren. In diesem Schriftsatz wendet sich der Prozeßbevollmächtigte zunächst gegen bestimmte Verhaltensweisen eines im Streitfall nicht zuständigen Senats des FG und seines Vorsitzenden. Darüber hinaus richtet sich der Befangenheitsantrag in dem Parallelverfahren im wesentlichen gegen die Praxis des für den Streitfall zuständigen Senats des FG, eine Durchschrift der Eingangsverfügung jeweils dem Vertretenen zuzusenden.
Der Vorsitzende Richter am FG D erklärte sich in einer dienstlichen Äußerung vom 14. Mai 1992 nicht für befangen.
Das FG wies das Ablehnungsgesuch zurück. Der Vorsitzende Richter am FG D wirkte dabei nicht mit. Das FG vertrat die Auffassung, daß sich aus der seit einem halben Jahr bestehenden Senatspraxis, eine Durchschrift der an den Prozeßbevollmächtigten gerichteten Eingangsverfügung an den Mandanten zu senden, die Befangenheit eines Richters nicht herleiten lasse. Die Praxis werde in sämtichen Verfahren und nicht nur in denen des Prozeßbevollmächtigten des Klägers betrieben. Es sei davon auszugehen, daß ein Prozeßbevollmächtigter seinem Mandanten ohnehin die Durchschrift einer gerichtlichen Eingangsverfügung zugehen lasse.
Gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs richtet sich die Beschwerde des Klägers, der das FG nicht abgeholfen hat. Auf Antrag des Klägers hat der Vorsitzende des erkennenden Senats die Frist für die Begründung der Beschwerde bis zum 31. August 1992 verlängert. Eine Beschwerdebegründung ist bisher nicht eingegangen.
Mit Schriftsatz vom 28. September 1992 lehnte der Kläger jedoch die Mitglieder des erkennenden Senats wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Darüber hinaus rügt er die Besetzung des erkennenden Senats.
Entscheidungsgründe
Da der Kläger die Beschwerde nicht begründet hat, kann der Senat über sie nur nach Aktenlage entscheiden. Danach hat die Beschwerde keinen Erfolg. Das FG hat das Ablehnungsgesuch zu Recht zurückgewiesen.
1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nur abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen objektiven Betrachtung davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Die von dem Kläger in seinem Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am FG D vorgebrachten Gründe können nach Maßgabe einer vernünftigen, objektiven Betrachtung nicht die Besorgnis der Befangenheit dieses Richters rechtfertigen.
Die Vorwürfe des Klägers gegen das Verhalten des für den Streitfall nicht zuständigen Senats des FG geben schon deshalb keinen Anlaß zu der Annahme, der Vorsitzende Richter am FG D sei voreingenommen, weil dieser nicht Mitglied dieses Senats ist und daher an dem Verhalten nicht beteiligt war.
Die Tatsache, daß der Vorsitzende Richter am FG D eine Durchschrift der Eingangsverfügung auch dem Kläger zukommen ließ, rechtfertigt es ebenfalls nicht, diesen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Es ist nicht erkennbar, daß diese Entscheidung auf einer unsachlichen Einstellung des Vorsitzenden Richters am FG D dem Kläger oder seinem Prozeßbevollmächtigten gegenüber beruhte. Dies scheidet schon deshalb aus, weil der ...Senat des FG seit Anfang 1992 in sämtlichen Fällen und nicht nur in denen des Prozeßbevollmächtigten des Klägers Eingangsverfügungen in Durchschrift auch den Vertretern zuleitet, wie sich aus der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden Richters am FG D vom 14. Mai 1992 in dem Parallelverfahren ergibt.
Zudem handelt es sich bei dieser Maßnahme um eine Entscheidung in Verfahrensfragen, aus der sich kein Ablehnungsgrund herleiten läßt (vgl. Beschlüsse des BFH vom 14. Januar 1971 VB 67/69, BFHE 101, 207, BStBl II 1971, 243; vom 26. Juli 1989 IV B 106-109/88, BFH/NV 1991, 165, und vom 30. Oktober 1991 III B 95/90, BFH/NV 1992, 524).
Im übrigen bildet den Hintergrund für die Praxis des FG offenbar ein Mißtrauen, daß nicht alle Prozeßbevollmächtigten ihren sich nach §§ 675, 666 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) aus dem Mandatsvertrag ergebenden Pflichten nachkommen, ihre Mandanten über die Klageerhebung zu unterrichten (vgl. zu diesen Pflichten § 39 der Standesrichtlinien für Rechtsanwälte). Soweit der Prozeßbevollmächtigte des Klägers dieses Mißtrauen in bezug auf seine Person für unberechtigt hält, könnte sich daraus allenfalls der Vorwurf ergeben, daß sich das FG ihm gegenüber nicht sachgerecht verhalte. Der Prozeßbevollmächtigte hat aus Gründen seiner Person aber kein Recht, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (vgl. Senatsentscheidung in BFH/NV 1992, 524, m.w.N.). Die allein ablehnungsberechtigten jeweiligen Kläger können durch das vom FG geübte Verfahren jedoch nicht in ihren Rechten und in ihrer Sorge um eine unvoreingenommene Entscheidung der Richter beeinträchtigt sein, denn das Verfahren soll ja gerade ihrem Schutz dienen.
Soweit der Kläger dem Vorsitzenden Richter am FG D vorwirft, er habe die Steuerakten vor der mündlichen Verhandlung nicht angefordert und ihm keine Akteneinsicht gewährt, macht er ebenfalls unrichtige Entscheidungen in Verfahrensfragen geltend. Daraus ergibt sich nach obigen Ausführungen kein Ablehnungsgrund.
Der Vorwurf, der abgelehnte Richter handele in Absprache mit dem Präsidenten des FG und dem Vorsitzenden Richter am FG M und beabsichtige mit diesen, seinen Prozeßbevollmächigten zu disziplinieren, ist schon deshalb unbeachtlich, weil er nicht substantiiert ist.
2. Die vom Kläger begehrte Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Verfassungsbeschwerden 2 BvR 1127/92 und 1136-1138/92 ist nicht möglich. Nach der Entscheidung des erkennenden Senats vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91 (BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408) setzt die Aussetzung eines Verfahrens wegen eines beim BVerfG anhängigen Musterverfahrens u.a. voraus, daß sich das Musterverfahren gegen die Verfassungsmäßigkeit einer im Streitfall anzuwendenden Norm richtet. Nach dem Vortrag des Klägers geht es bei den von ihm genannten Verfassungsbeschwerden um die Frage des gesetzlichen Richters und damit nicht um die Verfassungsmäßigkeit einer im Streitfall anzuwendenden Norm.
3. a) Der erkennende Senat konnte über die Beschwerde in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung entscheiden. Er hat mit Beschluß vom heutigen Tag ... das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen die Mitglieder des erkennenden Senats als mißbräuchlich und daher unbeachtlich angesehen. Die geschäftsplanmäßig zuständigen Richter sind folglich an der Mitwirkung an der Entscheidung über die Beschwerde nicht gehindert.
b) Die geschäftsplanmäßige Besetzung des erkennenden Senats bei der vorliegenden Entscheidung verstößt entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Zusammensetzung des Senats entspricht der für das Jahr 1993 bestehenden senatsinternen Geschäftsverteilung. Danach ist Berichterstatter nach der zwar nicht schriftlich, sondern mündlich festgelegten Aufgabenverteilung der im Schwerpunkt für Verfahrensfragen zuständige Richter. Ein Ausnahmefall, bei dem es streitig sein könnte, ob von dieser ständig geübten senatsinternen Geschäftsverteilung abgewichen werden konnte, war nicht gegeben. Der Mitberichterstatter und daher neben dem Vorsitzenden mitwirkende dritte Richter ergibt sich aus der Mitberichterstattung in dem vom Kläger angestrengten Revisionsverfahren III R 57/92.
Fundstellen
Haufe-Index 418978 |
BFH/NV 1994, 714 |