Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung: Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses
Leitsatz (NV)
Unter Wegfall des Hindernisses i. S. des §56 Abs. 2 Satz 1 FGO ist der Zeitpunkt zu verstehen, zu dem der Prozeßbeteiligte bzw. sein Bevollmächtigter Kenntnis von der Fristversäumung erhalten hat oder bei ordnungsgemäßer Verfolgung der Rechtssache hätte haben können. Liegen Umstände vor, die zu Zweifeln führen, ob die Rechtsmittelfrist eingehalten worden ist, oder hätten aufgrund solcher Umstände Zweifel kommen müssen, so beginnt die Wiedereinsetzungsfrist des §56 Abs. 2 Satz 1 FGO spätestens in dem Zeitpunkt, in dem durch Nachfrage Gewißheit über die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels hätte erlangt werden können.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 2
Tatbestand
Zwischen dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) und dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) besteht Streit hinsichtlich der Einkommensteuer, der Umsatzsteuer und des Gewerbesteuer-Meß betrages für die Jahre 1990 bis 1992 sowie der Einkommensteuer-Vorauszahlungen für 1994 bis 1996. Die Klage wies das Finanzgericht (FG) mit Gerichtsbescheid als unzulässig ab, da innerhalb einer von ihm gesetzten Ausschlußfrist von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers keine das finanzgerichtliche Verfahren betreffende Prozeßvollmacht vorgelegt worden sei. Auf die vom Kläger wegen Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde hat der erkennende Senat durch Beschluß vom 31. Juli 1996 III B 49/96, der dem Kläger am 13. September 1996 zugestellt wurde, die Revision zugelassen.
Der Kläger hat erst mit Schriftsatz vom 21. Februar 1997, eingegangen beim FG am 25. Februar 1997, Revision eingelegt; er beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist. Ausweislich des Postausgangsbuches seines Prozeßbevollmächtigten sei die Revisionsschrift vom 20. September 1996 am gleichen Tage abgesandt worden. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, daß das Schreiben innerhalb der normalen Postlaufzeit beim FG eingehe. Erst aufgrund des Schreibens des FA vom 3. Februar 1997 sei dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers zur Kenntnis gelangt, daß noch keine Einlegung der Revision erfolgt sei.
Das FA beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen, weil er nicht rechtzeitig gestellt worden sei. Das FG habe im Januar 1997 einen Streitwertbeschluß erlassen, der bei dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers -- neben weiteren Umständen -- Zweifel daran hätte aufkommen lassen müssen, ob dem FG die Revisionsschrift vorliege.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der in §120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorgesehenen und am 14. Oktober 1996 abgelaufenen (§54 Abs. 2 FGO und §222 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --) Monatsfrist eingelegt worden ist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§56 FGO) nicht gewährt werden kann.§
56 Abs. 1 FGO bestimmt, daß demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses unter Darlegung der Versäumungsgründe zu stellen (§56 Abs. 2 Satz 1 FGO). Diese Frist hat der Kläger versäumt.
Das Hindernis, das der Einlegung der Revision -- nach Darstellung des Klägers -- entgegenstand, ist spätestens im Januar 1997 weggefallen.
Unter Wegfall des Hindernisses ist der Zeitpunkt zu verstehen, zu dem der Beteiligte Kenntnis von der Fristversäumung erhalten hat oder bei ordnungsgemäßer Verfolgung der Rechtssache hätte haben können. Liegen Umstände vor, die ihn zweifeln lassen, ob die Rechtsmittelfrist eingehalten worden ist, oder hätten ihm aufgrund solcher Umstände Zweifel kommen müssen, so beginnt die Wiedereinsetzungsfrist des §56 Abs. 2 Satz 1 FGO spätestens in dem Zeitpunkt, in dem er durch Nachfrage Gewißheit über die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels hätte erlangen können (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 11. Januar 1991 1 BvR 1435/89, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1992, 38; Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 16. Dezember 1988 III R 13/85, BFHE 155, 282, BStBl II 1989, 328). Da der Beginn der Antragsfrist also keine positive Kenntnis der Fristversäumnis voraussetzt, bedarf es auch grundsätzlich keines ausdrücklichen Hinweises von seiten des Gerichts (vgl. BFH in BFHE 155, 282, BStBl II 1989, 328), daß die Rechtsmittelfrist versäumt worden ist.
Hat der Beteiligte einen Prozeßbevollmächtigten bestellt, kommt es für die Einhaltung der Wiedereinsetzungsfrist auf dessen Kenntnis bzw. Kennenmüssen an (vgl. BFH-Beschluß vom 20. Oktober 1988 IX R 244/84, BFH/NV 1989, 512; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §56 Anm. 41).
Im Streitfall ist die Frist nicht gewahrt, da der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses den Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt und die Tatsachen zur Begründung des Antrags vorgetragen hat (§56 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO).
Aufgrund des Streitwertbeschlusses des FG vom 14. Januar 1997, der ausweislich der FG-Akte am gleichen Tage an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers abgesandt worden ist und dessen Zugang nicht bestritten worden ist, hätten dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers Zweifel daran kommen müssen, ob die Revisionsschrift vom 20. September 1996 beim FG eingegangen ist. Denn nach §25 Abs. 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) kann der Streitwert erst festgesetzt werden, wenn eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig etwa dadurch erledigt, daß -- wie es aus der Sicht des FG hier der Fall war -- nach einer erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerde der Rechtsweg nicht weiter verfolgt wird. Aufgrund des Streitwertbeschlusses hätte daher der Prozeßbevollmächtigte des Klägers Nachforschungen über den Verbleib der Rechtsmittelschrift anstellen müssen, zumal ihm drei Monate nach Absendung der Rechtsmittelschrift noch keine Eingangsmitteilung zugegangen war.
Fundstellen
Haufe-Index 66566 |
BFH/NV 1998, 56 |