Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstellung des Verfahrens nach Klagerücknahme
Leitsatz (NV)
Zum Verfahren bei Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluß des FG.
Normenkette
FGO § 72 Abs. 2 S. 3, § 56 Abs. 3, § 128 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob beim Finanzgericht (FG) Klage wegen Einkommen- und Umsatzsteuer 1992 mit dem Antrag, die vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) erlassenen Steuerbescheide 1992 zu ändern. Nach Klageerhebung erließ das FA einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1992 und erklärte gegenüber dem FG den Streit in der Hauptsache für erledigt "betreffend USt 1992". Das FG fragte beim Kläger an, ob er den Rechtsstreit "wegen Umsatzsteuer 1992, nach Erhalt des Änderungsbescheides" ebenfalls für erledigt erkläre. Darauf erklärte der Kläger, in der Streitsache "nehme ich hiermit die Klage zurück". Daraufhin hat das FG das Verfahren gemäß § 72 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingestellt, "da der Kläger die Klage zurückgenommen" habe. Der Beschluß wurde den Beteiligten durch einfachen Brief bekanntgegeben.
Gegen diesen Beschluß wendet sich der Kläger mit der Beschwerde. Er macht die Unwirksamkeit der Klagerücknahme hinsichtlich der Einkommensteuer geltend. Die Klagerücknahme sei aufgrund des ergangenen Umsatzsteuerbescheides 1992 erfolgt und habe sich nur darauf beziehen sollen. Eine entsprechende Aussage für die Einkommensteuer 1992 sei nicht beabsichtigt gewesen. Sein, des Klägers, wirklicher Wille wäre durch Rückfrage zu ermitteln gewesen. In Wahrheit könne nur eine Zustimmung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977) gemeint gewesen sein. Daher werde die Unwirksamkeit der Klagerücknahme gemäß § 72 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 56 Abs. 3 FGO geltend gemacht. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Der Kläger hat zum Ausdruck gebracht, daß er gegen den Beschluß des FG vom 10. Februar 1995 Beschwerde einlegen will. Diese Beschwerde beinhaltet zwar zugleich eine Anregung an das FG, das Verfahren fortzusetzen, geht aber darüber hinaus, indem sie sich gegen den Einstellungsbeschluß als solchen wendet (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 22. Januar 1987 VIII B 46/86, BFH/NV 1987, 524).
2. Die Beschwerde ist zulässig.
Gegen einen Einstellungsbeschluß gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Beschwerde, mit welcher die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht wird, statthaft (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH- Beschlüsse vom 9. Mai 1972 IV B 99/70, BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543; vom 6. April 1992 IV B 167/91, BFH/NV 1992, 681). Dies folgt aus § 128 Abs. 1 FGO, wonach gegen Entscheidungen des FG, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, den Beteiligten die Beschwerde an den BFH zusteht, soweit -- wie vorliegend -- in der FGO nichts anderes bestimmt ist.
Im Streitfall ist die Beschwerde auch nicht verfristet. Denn der angefochtene Beschluß ist dem Kläger durch einfachen Brief bekanntgegeben, damit nicht gemäß § 53 Abs. 1 FGO zugestellt worden (§ 9 Abs. 1 und 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes). Damit begann die Rechtsmittelfrist des § 129 Abs. 1 FGO nicht zu laufen (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 9. November 1976 GmS-OGB 2/75, BFHE 121, 1, BStBl II 1977, 275).
3. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des Einstellungsbeschlusses und Zurückverweisung der Sache an das FG.
Der Streit über die Klagerücknahme kann nicht im Beschwerdeverfahren gegen den Einstellungsbeschluß entschieden werden. Vielmehr muß das FG ein Verfahren, das es nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO wegen Klagerücknahme eingestellt hat, fortsetzen, wenn und soweit nachträglich gemäß § 72 Abs. 2 Satz 3 FGO die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht wird. Eine zeitliche Begrenzung hierfür ergibt sich nur aus der in Bezug genommenen Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO. Wird daher gegen den förmlichen Beschluß nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO Beschwerde eingelegt, in der die Unwirksamkeit der Rücknahme geltend gemacht wird, hat das FG regelmäßig der Beschwerde abzuhelfen und in dem (dann fortzusetzenden) Klageverfahren entweder in der Sache zu entscheiden oder aber auszusprechen, daß die Klage zurückgenommen ist (BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352; in BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543; vom 28. März 1990 II B 163/89, BFHE 159, 486, BStBl II 1990, 503; in BFH/NV 1992, 681). Hilft das FG seinerseits der Beschwerde nicht ab, hebt der BFH den Einstellungsbeschluß auf und verweist die Sache an das FG zurück.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten. Dabei wird das FG wegen der unterlassenen Abhilfe allerdings die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) zu prüfen haben (BFH-Beschluß in BFH/NV 1992, 681).
Fundstellen
Haufe-Index 421741 |
BFH/NV 1997, 239 |