Leitsatz (amtlich)
Bemüht sich der Rechtsanwalt in einem Ferngespräch mit der Behörde um das Ruhen des Verfahrens über den außergerichtlichen Rechtsbehelf, so erhält er dafür eine Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO, wenn er das Gespräch im Einverständnis mit seinem Auftraggeber geführt hat. Das Einverständnis kann nur aus dem Verhalten des Auftraggebers und nicht etwa bereits aus den Erfordernissen einer verantwortungsbewußten oder sachgemäßen Bearbeitung der Angelegenheit entnommen werden.
Normenkette
FGO §§ 139, 148-149; BRAGO § 118 Abs. 1 Nr. 2
Tatbestand
Das HZA forderte von der Beschwerdeführerin (Steuerpflichtige) durch den vorläufigen Abschöpfungsänderungsbescheid vom 21. Dezember 1964 insgesamt 115 000 DM nach. In der Begründung führte das HZA aus, eine genaue Berechnung des nachzufordernden Betrages sei noch nicht möglich, da noch zahlreiche Einzelheiten, z. B. über den Wert und die Kennzeichnung der eingeführten Waren festgestellt werden müßten. Die Steuerpflichtige legte dagegen Einspruch ein. Daraufhin teilte das HZA der Steuerpflichtigen mit, daß es über den Einspruch erst entscheiden wolle, "wenn die in höherer Rechtsstufe in der gleichen Streitfrage anhängigen Verfahren rechtskräftig abgeschlossen" seien. Mit Schreiben vom 17. Dezember 1965 forderte das HZA die Steuerpflichtige auf, den Einspruch zu begründen. Die Abgaben müßten nunmehr durch Entscheidung über den Einspruch endgültig festgesetzt werden. Die Ungewißheit über die Höhe des nachzufordernden Betrages bestehe nun nicht mehr.
In einem Ferngespräch vom 11. Januar 1966, dessen Inhalt das HZA in einem Aktenvermerk festhielt, regte der Prozeßbevollmächtigte der Steuerpflichtigen gegenüber dem zuständigen Sachbearbeiter des HZA an, den vorläufigen Bescheid noch bestehen zu lassen. Er - der Prozeßbevollmächtigte - halte eine eingehende Begründung des Einspruchs wegen der Anhängigkeit verschiedener Verfahren "in höherer Rechtsstufe" derzeit nicht für tunlich. Der Steuerpflichtigen sei nicht an einer endgültigen Steuerfestsetzung gelegen. Der Sachbearbeiter entgegnete darauf, daß der vorläufige Steuerbescheid wegen Fortfalls der früheren Ungewißheit in einen endgültigen umgewandelt werden müsse und daß über den Einspruch auch entschieden werden könne, wenn er nicht näher begründet werde.
Durch Entscheidung vom 29. Juni 1966 wies das HZA den Einspruch als unbegründet zurück. Gleichzeitig setzte es den nachzufordernden Abgabenbetrag "endgültig" auf 117 545,69 DM fest. Die Steuerpflichtige erhob daraufhin Klage gegen das HZA. Nachdem das HZA die Abgabenfestsetzung durch Bescheid vom 9. Februar 1967 zugunsten der Steuerpflichtigen geändert hatte, erklärten die Beteiligten übereinstimmend, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei.
Durch Beschluß des FG vom 10. Juli 1967 wurden dem HZA die Kosten des Verfahrens auferlegt und die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch die Steuerpflichtige für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Mit dem Antrag auf Festsetzung der zu erstattenden Kosten verlangte die Steuerpflichtige u. a. , bei einem Streitwert von 117 545,69 DM für das Vorverfahren eine Besprechungsgebühr in Höhe von 540 DM (5/10 einer Gebühr) als erstattungsfähig festzusetzen. In dem Kostenfestsetzungsbeschluß vom 29. August 1967 lehnte der Urkundsbeamte des FG die Berücksichtigung dieser Kosten ab. Die Steuerpflichtige legte dagegen Erinnerung ein.
Das FG wies die Erinnerungen durch Beschluß vom 15. März 1968 als unbegründet zurück. In den Gründen führte das FG u. a. aus, eine Verhandlung im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO habe nicht stattgefunden. Selbst wenn im Rahmen der geführten Ferngespräche tatsächliche oder rechtliche Fragen berührt worden seien, so sei dadurch eine Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO deshalb nicht entstanden, weil das HZA eine Besprechung nicht angeordnet habe.
Gegen den Beschluß ließ das FG die Beschwerde zu.
Die Steuerpflichtige legte mit der Begründung Beschwerde ein, ihr Prozeßbevollmächtigter habe mit dem HZA mehrere Ferngespräche geführt, in denen die Streitsache behandelt worden sei. Das werde insbesondere durch den Aktenvermerk des HZA über das Ferngespräch am 11. Januar 1966 bestätigt.
Das HZA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Auch aus dem Aktenvermerk über das Ferngespräch vom 11. Januar 1966, so meint das HZA, könne nicht gefolgert werden, daß eine Besprechung im Sinne von § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO stattgefunden habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Hinsichtlich der Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO hat die Beschwerde Erfolg.
Das Ferngespräch des Prozeßbevollmächtigten mit dem zuständigen Sachbearbeiter des HZA am 11. Januar 1966 war eine Besprechung über zumindest eine tatsächliche Frage im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO. Ob das Ferngespräch auch dann eine Besprechung über tatsächliche oder rechtliche Fragen gewesen wäre, wenn es, wie das FG meint, nur die Frage einer schriftlichen Begründung des Einspruchs und Anfragen im Rahmen des Verfahrens wegen Aussetzung der Vollziehung zum Gegenstand gehabt hätte, braucht nicht entschieden zu werden. Nach dem Aktenvermerk über das Ferngespräch hat der Prozeßbevollmächtigte darin angeregt, den vorläufigen Bescheid noch bestehen zu lassen. Damit hat er sich auch darum bemüht, eine Entscheidung über den Einspruch zu verhindern. Daraus ist zu entnehmen, daß der Prozeßbevollmächtigte in dem Ferngespräch ein Ruhen des Verfahrens bis zum Abschluß anderer gleichgelagerter Verfahren angestrebt hat. Inhalt des Ferngesprächs war demnach die Frage an das HZA, ob es zu einem derartigen Verfahren bereit sei. Das war eine Frage tatsächlicher Art.
Ob und inwieweit es für eine Besprechung im Sinne des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO erforderlich ist, daß derjenige, mit dem die Besprechung geführt werden soll, auch zu einer Besprechung geneigt und in der Lage ist (vgl. Urteil des LG München 15 S 615/67 vom 28. Februar 1968, "Versicherungsrecht" 1968 S. 754), braucht hier nicht entschieden zu werden. Wie sich aus dem genannten Aktenvermerk ergibt, hat der zuständige Sachbearbeiter des HZA sich an der Besprechung der Frage nach der Bereitschaft des HZA, das Verfahren ruhen zu lassen, beteiligt, indem er dazu erklärt hat, daß eine Entscheidung über den Einspruch notwendig und möglich sei.
Die fernmündliche Besprechung der genannten Frage war auch geeignet, eine Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO auszulösen. Das ergibt sich insbesondere aus der Regelung in § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO, daß der Rechtsanwalt die Besprechungsgebühr nicht für eine mündliche oder fernmündliche Nachfrage erhalte. Daraus muß gefolgert werden, daß dem Rechtsanwalt die Besprechungsgebühr immer dann zuzubilligen ist, wenn die Frage, die Gegenstand der Besprechung ist, nicht nur eine Nachfrage ist, wobei es ohne Bedeutung ist, ob die Besprechung mündlich oder fernmündlich geführt wird. Die Frage nach der Bereitschaft des HZA, das Verfahren ruhen zu lassen, war nicht nur eine Nachfrage, sondern ging darüber hinaus. Der Prozeßbevollmächtigte wollte das HZA in der Besprechung zu einer Maßnahme veranlassen, nämlich das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.
Die Besprechung war auch nicht deshalb ungeeignet, eine Besprechungsgebühr auszulösen, weil die genannte Frage nur den Verfahrensablauf zum Gegenstand hatte. Schon der Wortlaut des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO gestattet es nicht; die Gebühr für Besprechungen tatsächlicher oder rechtlicher Fragen, die den Verfahrensablauf betreffen, zu versagen. Außerdem ist aus § 33 Abs. 2 BRAGebO zu entnehmen, daß die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die auf den Verfahrensablauf gerichtet ist, grundsätzlich nicht von der Vergütung ausgeschlossen sein soll. Da die Besprechungsgebühr mit der Verhandlungsgebühr vergleichbar ist (Riedel-Corves-Sußbauer, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 2. Aufl., § 118 Rdnr. 24; Lauterbach, Kostengesetze, 15. Aufl., BRAGebO § 118 Anm. 3), muß die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die auf den Ablauf des Verwaltungsverfahrens gerichtet ist, im Rahmen des § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO berücksichtigt werden. Nach § 33 Abs. 2 BRAGebO erhält der Rechtsanwalt die Verhandlungsgebühr zwar nur dann, wenn er einen auf den Verfahrensablauf gerichteten Antrag stellt. Da es aber nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO auf die Besprechung tatsächlicher oder rechtlicher Fragen und nicht darauf ankommt, ob ein Antrag gestellt worden ist, muß für die Gewährung einer Besprechungsgebühr nach dieser Vorschrift auch darauf abgestellt werden, ob tatsächliche oder rechtliche Fragen über den Verfahrensablauf besprochen worden sind.
Der Senat vermag dem FG auch nicht darin zu folgen, daß eine Besprechungsgebühr schon deshalb nicht entstanden sei, weil eine Besprechung nicht angeordnet worden sei. Nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO entsteht eine Besprechungsgebühr nicht nur dann, wenn die Besprechung von einem Gericht oder einer Behörde angeordnet worden ist. Vielmehr ist auch die Besprechung nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO zu vergüten, die der Rechtsanwalt "im Einverständnis mit dem Auftraggeber" vor einem Gericht, vor einer Behörde, mit dem Gegner oder mit einem Dritten führt (vgl. Riedel-Corves-Sußbauer, a. a. O., § 118 Rdnr. 25; Lauterbach, a. a. O.; Gerold-Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 3. Aufl., § 118 Anm. 6). Es braucht nicht entschieden zu werden, ob der Prozeßbevollmächtigte die Besprechung mit dem HZA am 11. Januar 1966 vor einer Behörde oder mit dem Gegner geführt hat, da in beiden Fällen die Besprechungsgebühr entstanden ist, wenn das Einverständnis der Steuerpflichtigen zu der Besprechung vorliegt.
Nach den bisherigen Ermittlungen kann allerdings nicht festgestellt werden, ob das Einverständnis tatsächlich vorliegt. Die Steuerpflichtige hat dem Prozeßbevollmächtigten zwar am 15. Januar 1965 schriftlich Vertretungsvollmacht "in der Angelegenheit Abschöpfungszahlungen" erteilt. Aus der Vollmachtsurkunde kann das erforderliche Einverständnis jedoch nicht entnommen werden. Der Auffassung, daß das Einverständnis als stillschweigend erteilt angenommen werden könne, wenn eine verantwortungsbewußte Bearbeitung der Angelegenheit eine solche Besprechung angezeigt erscheinen lasse (Schumann, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 1957 S. 1161), vermag der Senat nicht zu folgen. Eine solche Auslegung ist mit der Regelung in § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGebO nicht mehr vereinbar. Danach muß das Einverständnis tatsächlich erteilt worden sein. Ob das Einverständnis erteilt worden ist, kann außerdem nur dem Verhalten des Auftraggebers entnommen werden. Stellt man bei der Entscheidung, ob das Einverständnis erteilt worden ist, aber allein darauf ab, ob eine "verantwortungsbewußte Bearbeitung" (Schumann, a. a. O.) oder eine "sachgemäße Erledigung" (Gerold-Schmidt, a. a. O., § 118 Anm. 6) der Angelegenheit die Besprechung angezeigt erscheinen lassen hat, so wird das Einverständnis nicht dem Verhalten des Auftraggebers entnommen.
Da das Einverständnis der Steuerpflichtigen zu der Besprechung am 11. Januar 1966 nicht festgestellt werden kann, ist die Sache, soweit sie die Besprechungsgebühr betrifft, unter Aufhebung des Beschlusses des FG zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das FG zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung ist auch im Beschwerdeverfahren möglich (vgl. Beschlüsse des BFH IV B 18/66 vom 15. Februar 1967, BFH 87, 502, BStBl III 1967, 181, und III B 56/67 vom 6. Oktober 1967, BFH 90, 284, BStBl II 1968, 65). Der Senat hält die Zurückverweisung schon deshalb für erforderlich, damit der Steuerpflichtigen keine Instanz genommen wird.
Fundstellen
Haufe-Index 68740 |
BStBl II 1970, 253 |
BFHE 1970, 131 |