Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilung einer unrichtigen Richterunterschrift
Leitsatz (NV)
- Ist das Urteil des FG durch Verkündung wirksam geworden, kann der Mangel, daß es von einem Richter mitunterschrieben worden ist, der am Erlaß des Urteils nicht beteiligt war, selbst dann noch behoben werden, wenn die Revision eine Verfahrensrüge auf diesen Mangel gestützt hat. Die Zustellung des nicht ordnungsgemäß unterschriebenen Urteils oder einer Ausfertigung davon hat (nur) zur Folge, daß die Rechtmittelfrist nicht in Lauf gesetzt wird.
- Nichts anderes gilt, wenn die dem Kläger gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO zugestellte Urteilsausfertigung versehentlich den Namen des an dem Erlaß und bei der Urteilsverkündung beteiligten, im Zeitpunkt der Übergabe der vollständig abgefaßten Urteilsgründe an die Geschäftsstelle jedoch an der Unterschriftsleistung wegen Urlaub verhinderten Richters trägt.
Normenkette
FGO § 104 Abs. 1 S. 2, § 105 Abs. 1 S. 3, § 116 Abs. 1 Nr. 5, § 115 Abs. 2, § 142; ZPO § 114
Tatbestand
Das Urteil des Finanzgerichts (FG) vom 9. Juli 1998 wurde am Tag der mündlichen Verhandlung in öffentlicher Sitzung verkündet und dem Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Antragsteller) am 27. Juli 1998 zugestellt. Mit Schreiben vom 28. Juli 1998 teilte die Geschäftsstelle des 2. Senats des FG dem Kläger mit: "In der Ihnen übersandten Ausfertigung ist ein Schreibfehler enthalten. Es muß auf Seite 12 statt Dr. B richtig heißen: Dr. L. Dr. B ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Beifügung ihrer Unterschrift gehindert."
Der Antragsteller hat persönlich mit am 29. September 1998 beim FG eingegangenen Schriftsatz Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das o.g. Urteil eingelegt und unter Vorlage der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin M als Prozeßbevollmächtigte beantragt. Zur Begründung trägt er vor, die Entscheidung des FG sei nicht mit Gründen versehen. Es liege ein Verfahrensmangel vor, weil das Urteil nicht richtig unterschrieben worden sei. Dies stelle nicht nur einen Schreibfehler dar. Es hätte ein Berichtigungsbeschluß, verbunden mit dem Urteil, ergehen müssen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Gewährung von PKH ist zulässig, aber unbegründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 der Finanzgerichtsordnung ―FGO― i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―).
Der Antragsteller konnte den Antrag auf Gewährung von PKH persönlich stellen. Der Vertretungszwang gemäß Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs besteht für PKH-Anträge nicht (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 23. Januar 1991 II S 17/90, BFH/NV 1991, 338, m.w.N.). Der PKH-Antrag für ein Rechtsmittel gegen das Urteil des FG ist beim BFH zu stellen (§ 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei ist es unschädlich, wenn der PKH-Antrag von dem Antragsteller beim FG angebracht worden ist (BFH-Beschluß vom 13. Juli 1995 VII S 1/95, BFH/NV 1996, 10).
Der Antragsteller hat vorgetragen, das ihm zugestellte Urteil sei nicht ordnungsgemäß unterschrieben worden und daher nicht mit Gründen versehen. Damit macht er allein einen Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO und nicht einen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO geltend (vgl. BFH-Beschluß vom 19. August 1986 IV R 55/86, BFH/NV 1987, 722). Statt der Nichtzulassungsbeschwerde ist insoweit die ―zulassungsfreie― Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO das statthafte Rechtsmittel.
Der Senat läßt offen, ob es sich lediglich um ein Vergreifen in der richtigen Bezeichnung des Rechtsmittels durch einen unerfahrenen Antragsteller handelt und ob davon ausgegangen werden könnte, daß ein beigeordneter sachkundiger Prozeßvertreter die richtige Rechtsmittelbezeichnung gewählt hätte (zur Unmöglichkeit der Umdeutung eines als Nichtzulassungsbeschwerde bezeichneten Rechtsmittels in eine ―zulassungsfreie― Revision vgl. BFH-Beschlüsse vom 8. Juli 1997 VII R 48/97, BFH/NV 1998, 45; vom 7. Oktober 1997 IV R 29/96, BFH/NV 1998, 345). Denn der vom Antragsteller bezeichnete Mangel unzutreffender Richterunterschrift unter dem FG-Urteil liegt nicht (mehr) vor. Es kann dahinstehen, ob das Urteil im Zeitpunkt der Übergabe an die Geschäftsstelle des Senats schon in der richtigen Weise unterschrieben war und die Bezeichnung von Richterin B anstatt Richter L und der Verhinderungsvermerk für Richterin B auf der dem Antragsteller zugestellten Ausfertigung nur auf einem Versehen der Schreibkanzlei beruhte oder ob dem Urteil ―wie der Antragsteller meint― im Zeitpunkt der Zustellung an ihn die Unterschrift des Vorsitzenden für Richterin B mit Angabe des Verhinderungsvermerkes noch nicht beigefügt war. Sollte dieser Mangel bestanden haben, so wäre er durch die vor Mitteilung der Geschäftsstelle vom 28. Juli 1998 erfolgte Unterschriftsleistung durch den Vorsitzenden unter Beifügung des Verhinderungsvermerkes für Richterin B geheilt. Das Urteil ist im vorliegenden Fall ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 9. Juli 1998 gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 FGO im Termin zur mündlichen Verhandlung durch Verlesung der Urteilsformel verkündet worden. Zu diesem Zeitpunkt ist das Urteil wirksam geworden (vgl. BFH-Urteile vom 4. April 1984 II R 103/81, BFHE 140, 514, BStBl II 1984, 532; vom 23. August 1988 VII R 40/88, BFHE 154, 422, BStBl II 1989, 43; vom 28. November 1995 IX R 16/93, BFHE 179, 8, BStBl II 1996, 142; Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 1992 5 C 9.89, Die öffentliche Verwaltung 1993, 719, und Urteil des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 23. Oktober 1997 IX ZR 249/96, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1998, 609, 610; Zöller/Vollkommer, Zivilprozeßordnung, 21. Aufl., § 310 Rdnr. 1; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 104 Rz. 1, 7; a.A. Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 104 FGO Rz. 43).
Ist das Urteil somit durch seine Verkündung (= Bekanntgabe) am 9. Juli 1998 wirksam geworden, kann der Mangel, daß das Urteil eines Kollegialgerichts von einem Richter mitunterschrieben worden ist, der an dem Erlaß des Urteils nicht beteiligt war, selbst dann noch behoben werden, wenn die Revision eine Verfahrensrüge auf diesen Mangel des FG-Urteils gestützt hat (BFH-Entscheidungen vom 12. Juli 1972 VII B 76/70, nicht veröffentlicht ―NV―; vom 13. September 1988 VIII R 218/85, BFH/NV 1989, 354, 355, und BGH-Urteile vom 27. Oktober 1955 II ZR 310/53, BGHZ 18, 350, 354, 356, und in NJW 1998, 609, 610). Nichts anderes kann gelten, wenn die dem Antragsteller gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO zugestellte Urteilsausfertigung versehentlich noch den Namen des an dem Erlaß und bei der Verkündung beteiligten, im Zeitpunkt der Übergabe der vollständig abgefaßten Urteilsgründe an die Geschäftsstelle an der Unterschriftsleistung wegen Urlaub verhinderten Richters trägt. Denn es muß immer die Möglichkeit offenbleiben, daß die Unterschrift des im Zeitpunkt der vollständigen Abfassung der Urteilsgründe und Übergabe an die Geschäftsstelle an der Unterschriftsleistung verhinderten Richters gestrichen und statt dessen durch die Unterschrift des Vorsitzenden unter Angabe des Hinderungsgrundes nach § 105 Abs. 1 Satz 3 FGO ersetzt wird.
Ohne Bedeutung für die Wirksamkeit des Urteils ist, daß die Berichtigung nicht durch einen Beschluß erfolgt ist und das Urteil dem Antragsteller nicht erneut zugestellt worden ist. Ist das Urteil wirksam verkündet worden, hat die Zustellung eines nicht ordnungsgemäß unterschriebenen Urteils bzw. einer Ausfertigung davon nur zur Folge, daß die Rechtsmittelfrist nicht in Lauf gesetzt wird (vgl. BGH-Entscheidungen vom 12. Januar 1961 II ZR 149/60, NJW 1961, 782, 783; vom 21. Mai 1980 VIII ZR 176/79, NJW 1980, 1849, 1850; vgl. auch BFH-Beschluß vom 7. Oktober 1998 II R 38/98, BFH/NV 1999, 495). Im Streitfall käme also allenfalls in Betracht, daß die Rechtsmittelfristen gegenüber dem Antragsteller nicht zu laufen begonnen haben und ein ihm unter Gewährung von PKH beigeordneter Prozeßbevollmächtigter ein Rechtsmittel noch fristgerecht einlegen könnte.
Vorliegend ergibt sich die Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung aber schon daraus, daß infolge der Ersetzung der falschen durch die zutreffende Richterunterschrift einschließlich des Verhinderungsvermerkes ein Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO tatsächlich nicht (mehr) vorliegt, so daß eine Revision hierauf nicht gestützt werden könnte. Ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO ist vom Antragsteller ―auch nicht laienhaft― (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 1989 V S 3/89, BFH/NV 1990, 450, und vom 7. Juli 1994 VIII S 1/94, BFH/NV 1995, 92) geltend gemacht.
Fundstellen
Haufe-Index 302450 |
BFH/NV 1999, 1343 |