Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlerbeseitigende Wertfortschreibung wegen eines Wechsels ins Sachwertverfahren
Leitsatz (NV)
- Die Rechtsfrage, ob das FA eine steuerverschärfende Änderung der Rechtsprechung berücksichtigen darf, die erst während der überlangen Dauer des Einspruchsverfahrens eingetreten ist, ist nicht klärungsfähig, wenn das FA bereits bei Erlass des Feststellungsbescheides zum Ausdruck gebracht hat, dass die Voraussetzungen der bisherigen Rechtsprechung vorliegen, davon zu keinem Zeitpunkt abgerückt ist und somit auf die verschärfende Rechtsprechung nicht abgestellt hat.
- Die wesentliche Abweichung eines Gebäudes in Gestaltung oder Ausstattung von denjenigen Einfamilienhäusern, die zum Hauptfeststellungszeitpunkt im Ertragswertverfahren zu bewerten waren, beinhaltet zwingend die Aussage, dass sich für das Bewertungsobjekt die im Hauptfeststellungszeitpunkt übliche Miete nicht schätzen lässt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2; BewG § 76 Abs. 3 Nr. 1
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 15.08.2002; Aktenzeichen 11 K 5072/99 BG) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erwarben 1970 zum Preis von … DM in Miteigentum zu je 1/2 ein 2 670 qm großes Grundstück mit einem 1949/1950 errichteten Einfamilienhaus, das zum 1. Januar 1964 bei einer Wohnfläche von mehr als 220 qm für monatlich 1 000 DM vermietet und auf diesen Stichtag unter Zugrundelegung der Miete im Ertragswertverfahren bewertet worden war.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) führte zunächst lediglich eine Zurechnungsfortschreibung auf die Kläger und sodann unter Anwendung des Sachwertverfahrens eine fehlerbeseitigende Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1980 durch, weil das Grundstück zu Unrecht im Ertragswertverfahren bewertet gewesen sei. Gegen die Wertfortschreibung legten die Kläger Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren ruhte zunächst einvernehmlich bis Oktober 1984 wegen eines Finanzrechtsstreits über die Frage, ob die Kläger verpflichtet seien, eine Erklärung zur Feststellung des Einheitswerts im Sachwertverfahren abzugeben, und schließlich ohne ersichtlichen Grund sowie formlos bis Sommer 1998. Abgeschlossen wurde es durch Einspruchsentscheidung vom 8. Juli 1999, mit der der Einheitswert auf der Grundlage eines mittlerweile ―nämlich 1985― von den Klägern erklärten Raummeterpreises des Wohngebäudes von … DM auf … DM festgesetzt wurde.
Auch die Klage, mit der sich die Kläger auf die Verwirkung des Rechts zur Wertfortschreibung berufen und geltend gemacht hatten, die Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1964 sei nicht erkennbar fehlerhaft gewesen und außerdem lägen die Voraussetzungen für die Anwendung des Sachwertverfahrens nicht vor, weil die Wohnfläche um die Fläche des geschäftlich genutzten Arbeitszimmers zu kürzen sei und dadurch unter die 220 qm-Grenze sinke, blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) verneinte eine Verwirkung und hielt den Tatbestand des § 22 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) für erfüllt, da bereits eine objektive Unrichtigkeit die fehlerbeseitigende Fortschreibung rechtfertige. Die Anwendung des Sachwertverfahrens sei allein wegen der Größe der Wohnfläche, in die die Fläche des in den Wohnbereich integrierten Arbeitszimmers einzubeziehen sei, geboten gewesen.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision machen die Kläger geltend, die Revision sei gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.
Zur Fortbildung des Rechts sei eine Revisionsentscheidung über die folgenden Fragen erforderlich:
a) Darf das FA Änderungen der Rechtsprechung berücksichtigen, die während der überlangen Dauer eines Einspruchsverfahrens eingetreten sind? Der Bundesfinanzhof (BFH) habe erst mit Urteil vom 29. November 1989 II R 53/87 (BFHE 159, 215, BStBl II 1990, 149) seine bis dahin ständige Rechtsprechung aufgegeben, wonach eine fehlerbeseitigende Fortschreibung nur bei klarliegenden, einwandfrei feststellbaren Bewertungsfehlern zulässig sei.
b) Ist ein im erheblichen Umfang unternehmerisch genutzter Raum, der mit den zu Wohnzwecken genutzten Räumen in loser Verbindung steht, in die Wohnflächenberechnung für die Anwendung des Sachwertverfahrens einzubeziehen?
Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sei eine Revisionsentscheidung erforderlich, weil die Aussage des FG, eine Wohnfläche von mehr als 220 qm genüge, um ein Einfamilienhaus im Sachwertverfahren zu bewerten, den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 10. Februar 1987 (BVerfGE 74, 182, BStBl II 1987, 240), des BFH vom 26. September 1990 II R 146/87 (BFHE 162, 364, BStBl II 1991, 57) und des Niedersächsischen FG vom 10. November 1987 I 475/83 (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1988, 160) widerspreche, wonach vor Anwendung des Sachwertverfahrens zu prüfen sei, ob sich für das Grundstück nicht eine übliche Miete schätzen lasse.
Als Verfahrensfehler rügen die Kläger einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, weil das FG die Tatsache unberücksichtigt gelassen habe, dass das Einfamilienhaus am 1. Januar 1964 für 1 000 DM monatlich vermietet und damit eine übliche Miete vorhanden gewesen sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage zu a) ist im Streitfall nicht klärungsfähig, da das FA nicht erst am Ende des Einspruchsverfahrens durch die Einspruchsentscheidung in Anwendung der geänderten Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer fehlerbeseitigenden Fortschreibung eine derartige Fortschreibung nach § 22 Abs. 3 BewG vorgenommen hat. Die fehlerbeseitigende Wertfortschreibung ist vielmehr dem Einspruchsverfahren vorausgegangen. Soweit die Kläger die Rechtsfrage zu a) dahin verstanden wissen wollen, ob sie darauf vertrauen konnten, dass das FA mit einer zeitnahen Einspruchsentscheidung die angefochtene Wertfortschreibung aufheben werde, ist sie ebenfalls nicht klärungsfähig. Das FA hat nämlich von Anfang an die Ansicht vertreten, dass die Bewertung des streitbefangenen Grundstücks im Ertragswertverfahren einen klarliegenden Rechtsfehler im Sinne der durch das BFH-Urteil in BFHE 159, 215, BStBl II 1990, 149 aufgegebenen Rechtsprechung darstelle. Diese Rechtsauffassung ist durch die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 24. Juli 1980 in dem Verfahren wegen Abgabe einer Feststellungserklärung ausdrücklich bestätigt worden. Das FA hatte daher unabhängig von der Dauer des Einspuchsverfahrens keine Veranlassung, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen.
2. Die aufgeworfene Rechtsfrage zu b) erfordert ebenfalls keine Revisionsentscheidung zur Fortbildung des Rechts. Sie ist nicht klärungsbedürftig, weil bereits höchstrichterlich geklärt (vgl. Urteil des BFH vom 9. November 1988 II R 61/87, BFHE 155, 128, BStBl II 1989, 135, unter 2. b ―dazu wiederum Gürsching/ Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, Stand November 1990, § 75 BewG Anm. 100 und 101). Auf das Ausmaß, in dem ein derartiger Raum beruflich genutzt wird, kommt es dabei nicht an. Die Intensität der Nutzung gehört zu den persönlichen Verhältnissen, die im Rahmen der Feststellung der Einheitswerte des Grundvermögens nicht zu berücksichtigen sind (vgl. § 9 Abs. 2 BewG).
3. Auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erfordert im Streitfall keine Revisionsentscheidung. Die Vorentscheidung weicht nicht von den zitierten Entscheidungen des BVerfG und des BFH sowie des Niedersächsischen FG ab. Wegen des Verständnisses der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 74, 182, BStBl II 1987, 240 wird auf den letzten Absatz des von den Klägern zitierten BFH-Urteils in BFHE 162, 364, BStBl II 1991, 57 verwiesen. Der BFH selbst hat in dieser Entscheidung ausgesprochen, dass die wesentliche Abweichung eines Gebäudes in Gestaltung oder Ausstattung von denjenigen Einfamilienhäusern, die zum Hauptfeststellungszeitpunkt im Ertragswertverfahren zu bewerten waren, zwingend die Aussage beinhaltet, dass sich für das Bewertungsobjekt die im Hauptfeststellungszeitpunkt übliche Miete nicht schätzen lässt. Auch dem Urteil des Niedersächsischen FG in EFG 1988, 161 ist nicht zu entnehmen, dass auf die Miete für ein einzelnes Grundstück mit übergroßer Wohnfläche zum 1. Januar 1964 zurückgegriffen werden dürfte.
4. Hinsichtlich der Verfahrensrüge ist die Beschwerde unzulässig, da die Rüge nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise begründet worden ist. Gemäß dieser Vorschrift sind die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO darzulegen. Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO stellt ein Verfahrensmangel nur dann einen Zulassungsgrund dar, wenn die Vorentscheidung auf ihm beruhen kann. Daher ist ein Verfahrensmangel nur dann schlüssig gerügt, wenn dargelegt wird, dass die angefochtene Entscheidung vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG aus auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 22. Juli 1996 XI B 207/95, BFH/NV 1997, 50). Daran fehlt es im Streitfall.
Fundstellen
Haufe-Index 1129471 |
BFH/NV 2004, 764 |