Leitsatz (amtlich)
Die sinngemäße Anwendung des Achten Buches der Zivilprozeßordnung auf die Vollstreckung finanzgerichtlicher Kostenentscheidungen gegen die öffentliche Hand führt dazu, daß das FA den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung wegen eines durch die Vollstreckung nicht zu ersetzenden Nachteils beim BFH nicht mehr stellen kann, wenn es von der Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht hat, die vorläufige Vollstreckbarkeit durch Rechtsbehelfe im Verfahren vor dem FG abzuwenden.
Normenkette
FGO § 151; ZPO § 708 Nrn. 7, 719 Abs. 2
Tatbestand
Die Antragsgegnerin zu 1) ist eine aufgelöste Aktiengesellschaft, die nach Beendigung der Abwicklung 1969 im Handelsregister gelöscht wurde. Für die Durchführung dieses Verfahrens und des Hauptsacheverfahrens hat das Amtsgericht nach § 273 Abs. 4 AktG einen Nachliquidator bestellt.
Das FA (Antragsteller) setzte die Vermögensteuer für die Antragsgegnerin für die Jahre 1953 bis 1965 nach einem Mindestvermögen von 50 000 DM auf jährlich 500 DM fest. Auf die Klage hob das FG die Vermögensteuerbescheide auf. Es verurteilte das FA, die Gerichtskosten zu 3/4 und die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin zu 1) in voller Höhe zu tragen. Die Kostenentscheidung erklärte das FG gemäß § 151 FGO in Verbindung mit § 708 Nr. 7 ZPO ohne Antrag für vorläufig vollstreckbar.
Das FA hat gegen dieses Urteil in zulässiger Weise Revision eingelegt. Es beantragt die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 719 Abs. 2 ZPO, weil durch die Vollstreckung der Kostenentscheidung ein nicht zu ersetzender Nachteil eintrete.
Zur Begründung trägt das FA vor, die Antragsgegnerin zu 1) sei als abgewickelte und im Handelsregister gelöschte Kapitalgesellschaft vermögenslos, denn nach Beendigung der Abwicklung müsse das vorhanden gewesene Vermögen verteilt sein. Wenn sie wegen der Kosten vollstrecke, so müsse der Geldbetrag an ihren Prozeßbevollmächtigten gezahlt werden. Dieser würde wegen seiner Honoraransprüche gegen die Antragsgegnerin sofort aufrechnen und den Geldbetrag zurückbehalten, so daß sie trotz Zahlung der Kosten weiterhin vermögenslos bleibe. Im Fall des Obsiegens des FA in der Revisionsinstanz könnten deshalb von der Antragsgegnerin zu 1) die an sie vorläufig erstatteten außergerichtlichen Kosten nicht mehr zurückerhalten werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Der Antrag des FA ist unzulässig.
1. Auf die Vollstreckung gegen die öffentlich-rechtliche Körperschaft, der die im finanzgerichtlichen Verfahren unterlegene Finanzbehörde angehört, sind die Vorschriften des Achten Buches der Zivilprozeßordnung sinngemäß anzuwenden (§ 151 Abs. 1 FGO). Nach § 708 Nr. 7 ZPO sind Urteile der OLG in vermögensrechtlichen Streitigkeiten ohne Antrag für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die FG sind in den Ländern obere Landesgerichte (§ 2 FGO); sie stehen nach dem Urteil des BFH VI R 248/69 vom 18. Dezember 1970 (BFH 101, 478, BStBl II 1971, 426) den OLG gleich. Bei steuergerichtlichen Verfahren, in denen eine Steuerfestsetzung angefochten wird, handelt es sich um vermögensrechtliche Streitigkeiten, so daß das FG seine Entscheidung im Kostenpunkt gemäß § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit § 708 Nr. 7 ZPO ohne Antrag und ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklären konnte. Der erkennende Senat schließt sich dem Urteil VI R 248/69 (a. a. O.) an, obwohl die Rechtsauffassung, die dieser Entscheidung zugrunde liegt, im Hinblick auf die gesetzgeberischen Überlegungen, die zur Schaffung des § 708 Nr. 7 ZPO führten, und auf den Sinnzusammenhang, in dem diese Vorschrift steht, nicht ganz unbedenklich ist.
2. Legt die Behörde gegen das Urteil des FG in zulässiger Weise Revision ein, so hat der BFH auf Antrag der Behörde die Zwangsvollstreckung aus der für vorläufig vollstreckbar erklärten Kostenentscheidung des FG einstweilen einzustellen, wenn die Behörde glaubhaft macht, daß die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde (§ 151 Abs. 1 FGO, § 719 Abs. 2 ZPO). Die Zulässigkeit dieses Antrags setzt voraus, daß die unterlegene Behörde die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung im Verfahren vor dem FG nicht abwenden konnte. Dies ergibt sich daraus, daß § 719 Abs. 2 ZPO im Zusammenhang mit Vorschriften steht und in die ZPO eingefügt wurde, die der Entlastung des Revisionsgerichts dienen (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, RGZ 83, 299). Aus dem Sinnzusammenhang, in den § 719 Abs. 2 ZPO hineingestellt ist, folgt somit, daß ein Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung beim Revisionsgericht nur gestellt werden kann, wenn das Bedürfnis dafür auf Umständen beruht, die dem FA erst nach Beendigung des zur Vorentscheidung führenden Verfahrens bekanntgeworden sind (so RGZ, a. a. O., und im Ergebnis auch BGH, BGHZ 16, 376; vgl. auch die Besprechung von Pagendarm in Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 713 ZPO Nr. 6). Dies gilt auch für das steuergerichtliche Verfahren (zustimmend für vermögensrechtliche Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten, BVerwGE 29, 290). Denn das Bedürfnis nach Entlastung des Revisionsgerichts ist hier dasselbe wie im Verfahren vor den Zivilgerichten.
3. Die Behörde hat im Verfahren vor dem FG die Möglichkeit, die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung dadurch abzuwenden, daß sie entweder Sicherheitsleistung anbietet (§ 151 Abs. 1 FGO, § 713 Abs. 2 ZPO), oder daß sie glaubhaft macht, durch die Vollstreckung der Kostenentscheidung trete ein nicht zu ersetzender Nachteil ein (§ 151 Abs. 1 FGO, § 712 ZPO). Dabei kann bei den nach § 708 Nr. 7 ZPO für vorläufig vollstreckbar erklärten Entscheidungen die unzureichende Vermögenslage des Vollstreckungsgläubigers zu einem für den Vollstreckungsschuldner nicht zu ersetzenden Nachteil führen (Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 712 Anm. 1 Abs. 3).
Das Verlangen nach Sicherheitsleistung beruht auf der Erwägung, daß der Anspruch des Vollstreckungsgläubigers durch die Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht gefährdet werden darf. Obwohl bei Forderungen gegen die öffentliche Hand in dieser Hinsicht grundsätzlich keine Bedenken bestehen, sind die Vorschriften über die Sicherheitsleistung auch auf öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften mit Steuerhoheit anzuwenden. Für den Fiskalprozeß, in dem öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften aus privatrechtlichen Ansprüchen klagen oder verklagt werden, ergibt sich das aus der ZPO. Die Vorschriften über die vorläufige Vollstreckbarkeit gerichtlicher Entscheidungen sind hier unmittelbar anzuwenden; eine Ausnahme für öffentlichrechtliche Gebietskörperschaften besteht nicht (so Entscheidung des BGH III ZR 207/62 vom 10. Dezember 1962, NJW 1963, 445).
Die sinngemäße Anwendung dieser Vorschrift auf das steuergerichtliche Verfahren kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn würde einer öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaft als Steuergläubiger im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit die Sicherheitsleistung erlassen werden, so müßte dies dazu führen, daß allein ihr Antrag nach § 713 Abs. 2 ZPO genügen müßte, um die vorläufige Vollstreckbarkeit abzuwenden. Dies würde der Interessenlage nicht gerecht werden, weil dadurch die prozessuale Gleichbehandlung der Beteiligten des finanzgerichtlichen Verfahrens empfindlich gestört würde. Andererseits kann daraus aber auch nicht geschlossen werden, die sinngemäße Anwendung des Achten Buches der Zivilprozeßordnung auf das steuergerichtliche Verfahren verbiete es überhaupt, § 713 Abs. 2 ZPO anzuwenden; denn es kann Fälle geben, in denen die Behörde einen nicht zu ersetzenden Nachteil nicht glaubhaft machen kann, aber doch ein Interesse hat, die vorläufige Vollstreckung der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden. Damit steht fest, daß die Behörde als Vollstreckungsschuldner die Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Kostentitel auch durch das Angebot der Sicherheitsleistung abwenden könnte.
Das FA hat es unterlassen, die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung des FG durch Sicherheitsleistung oder durch Glaubhaftmachung eines nicht zu ersetzenden Nachteils abzuwenden, obwohl ihm die Tatsachen, aus denen sich der nicht zu ersetzende Schaden ergeben könnte, schon während des finanzgerichtlichen Verfahrens bekannt waren. Damit ist sein Antrag nach § 719 Abs. 2 ZPO unzulässig.
4. Es trifft nicht zu, daß das FA durch den Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung in nicht vorhersehbarer Weise überrascht worden ist. Zwar sind die Kommentatoren der FGO unterschiedlicher Auffassung, ob § 708 Nr. 7 ZPO über § 151 Abs. 1 und 3 FGO auf die Kostenentscheidungen finanzgerichtlicher Urteile angewendet werden könne. Die FG, darunter auch das für das beklagte FA zuständige FG, haben jedoch bald nach Inkrafttreten der FGO die Auffassung vertreten, § 708 Nr. 7 ZPO sei auf ihre Entscheidungen sinngemäß anzuwenden (vgl. z. B. Entscheidung des Niedersächsischen FG V 31-34/63 vom 22. April 1966, EFG 1966, 415; Entscheidungen des FG Berlin III 183/66 vom 19. Dezember 1967, EFG 1968, 230). Folglich mußte das FA damit rechnen, daß sich auch die Rechtsprechung mit dieser Frage ganz allgemein auseinandersetzen müsse. Unter diesen Umständen kann der Senat nicht anerkennen, daß das FA durch den Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung nach Art der Versagung des rechtlichen Gehörs überrascht worden sei, so daß es den Antrag nach § 719 Abs. 2 ZPO trotz Unterlassens möglicher Rechtsbehelfe im finanzgerichtlichen Verfahren noch beim BFH stellen könne.
Fundstellen
Haufe-Index 69668 |
BStBl II 1972, 709 |
BFHE 1972, 23 |