Leitsatz (amtlich)
Hat sich der Beklagte der Erklärung des Klägers, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei, nicht angeschlossen und auch das Gericht über die Erledigung der Hauptsache noch nicht entschieden, kann der Kläger seine Erledigungserklärung widerrufen.
Normenkette
FGO § 138
Tatbestand
Anläßlich der Einfuhr von Milchpulver aus Frankreich erhob das Zollamt (ZA), eine Hilfsstelle des Antragsgegners, von der Steuerpflichtigen 2 226,50 DM Umsatzausgleichsteuer. Gegen den hierüber erteilten Steuerbescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein. Einen von ihr gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte das ZA ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies die OFD zurück. Gegen die Beschwerdeentscheidung legte die Antragstellerin am 11. November 1965 Berufung ein.
Mit Schriftsatz vom 1. Februar 1966 beantragte die Steuerpflichtige beim FG, gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO die Vollziehung des Umsatzausgleichsteuerbescheids auszusetzen und die Erstattung der gezahlten Steuer anzuordnen. Das Gericht gab diesem Antrag durch Beschluß vom 8. März 1966 statt.
Daraufhin erklärte die Antragstellerin mit Schreiben vom 14. April 1966, daß die Berufung in der Hauptsache erledigt sei. Mit Schriftsatz vom 20. April 1966, beim FG eingegangen am 21. April 1966, teilte sie jedoch mit, sie habe erfahren, daß die Beklagte gegen den Beschluß vom 8. März 1966 Beschwerde eingelegt habe. Sollte die Beschwerde rechtzeitig eingelegt sein, so wäre die Berufung gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD entgegen dem Schreiben der Antragstellerin vom 14. April 1966 z. Zt. noch nicht in der Hauptsache erledigt. Durch Schriftsatz vom 3. Mai 1966 erklärte sodann die OFD, daß die Klage der Steuerpflichtigen durch den Aussetzungsbeschluß des FG in der Hauptsache erledigt sei.
Mit der gegen den Beschluß des FG vom 8. März 1966 erhobenen Beschwerde macht das Hauptzollamt (HZA) im wesentlichen geltend, daß der von der Steuerpflichtigen gemäß § 69 Abs. 3 FGO gestellte Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung unzulässig sei. Durch ihre Berufung gegen die das gleiche Begehren ablehnende Entscheidung der OFD sei die Frage der Aussetzung der Vollziehung bereits beim Gericht rechtshängig geworden. Die Antragstellerin könne deshalb nicht die gleiche Streitfrage zum Gegenstand eines Verfahrens nach § 69 Abs. 3 FGO machen.
Es beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und den Aussetzungsantrag abzulehnen.
Die Steuerpflichtige beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht ist das den Gegenstand der Beschwerde bildende gerichtliche Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung jedenfalls jetzt und wieder zulässig. Denn das früher einmal anhängig gewesene Urteilsverfahren sei beendet worden und schwebe nicht mehr. Die Parteien hätten dieses Verfahren übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt. Dem Einwand des Antragsgegners, wonach die Steuerpflichtige ihre Erklärung widerrufen habe, hält die Antragstellerin entgegen, daß die Erledigungserklärung als Prozeßhandlung nicht widerruflich sei.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde hat Erfolg.
Das FG durfte über die von der Steuerpflichtigen gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO begehrte Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheids nicht sachlich entscheiden. Denn ihr hierauf gerichteter Antrag erweist sich im Hinblick darauf, daß sie bereits vorher ein Berufungsverfahren gegen die eine Aussetzung der Vollziehung ablehnende Entscheidung der Zollbehörden eingeleitet hatte, als unzulässig. Zwar hat der die Aussetzung der Vollziehung einer Verfügung des FA erstrebende Steuerpflichtige, wie der Große Senat des BFH entschieden hat (Beschluß Gr. S. 4/67 vom 4. Dezember 1967, BFH 90, 461, BStBl II 1968, 199) die Wahl, ob er Klage gegen die ablehnende Entscheidung der Behörde erheben oder unmittelbar beim FG die Aussetzung der Vollziehung beantragen will. Hat er jedoch eines dieser beiden gerichtlichen Verfahren gewählt, so ist während des Schwebens dieses Verfahrens die Einleitung des anderen gerichtlichen Verfahrens mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses des Steuerpflichtigen unzulässig.
Dies ist allerdings, wie der Antragstellerin zuzugeben ist, nicht dahin zu verstehen, daß die Zulässigkeit des von ihr betriebenen gerichtlichen Aussetzungsverfahrens nur davon abhänge, ob bei der Anbringung ihres Antrags bereits ein Klageverfahren gegen die ablehnende Verwaltungsentscheidung schwebte. Vielmehr kommt es auch darauf an, ob diese Klage noch rechtshängig ist, oder ob und ggf. auf welche Weise das Klageverfahren inzwischen beendet wurde. Denn das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses für den Aussetzungsantrag der Steuerpflichtigen ist nach den Verhältnissen beim Erlaß der gerichtlichen Entscheidung - im Streitfall der Beschwerdeentscheidung des erkennenden Senats - zu beurteilen. Das ist nämlich der Zeitpunkt, welcher in einem Verfahren ohne mündliche Verhandlung für das Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen maßgebend ist (vgl. Urteil des BGH - I ZR 201/53 vom 8. Juli 1955, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 18 S. 98 [106]; Thomas-Putzo, Zivilprozeßordnung, 3. Aufl., Vorbem. III A vor § 253; Stein-Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., Abschn. III, 5 vor § 253).
Indessen ist entgegen der Meinung der Antragstellerin die von ihr gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD erhobene - nunmehr als Klage zu behandelnde - Berufung nach wie vor beim FG anhängig. Der hierfür geführte Rechtsstreit ist nämlich weder durch ein gerichtliches Urteil noch auf andere Weise beendet worden. Insbesondere trifft es nicht zu, daß die Beteiligten übereinstimmend die Erledigung der Hauptsache erklärt hätten.
Zwar haben sowohl die Klägerin, als auch die beklagte Behörde im Jahre 1966 dem FG mitgeteilt, daß die Berufung in der Hauptsache erledigt sei. Jedoch hat die Antragstellerin ihre dahingehende Erklärung vom 14. April 1966 durch ihren Schriftsatz vom 20. April 1966 widerrufen, ehe die Beklagte ihrerseits durch ihr Schreiben vom 3. Mai 1966 die Erledigung der Hauptsache angezeigt hat. Denn die Mitteilung der Steuerpflichtigen, ihre Berufung sei für den Fall, daß die Beschwerde der Beklagten rechtzeitig eingelegt worden sei, entgegen ihrem Schriftsatz vom 14. April 1966 zur Zeit noch nicht in der Hauptsache erledigt, kann nur dahin verstanden werden, daß sie an ihrer ursprünglichen Erledigungserklärung zumindest bis zur Entscheidung über die Beschwerde nicht festhalten wolle.
Der damit ausgesprochene Widerruf war auch wirksam. daß die Erklärung über die Erledigung der Hauptsache eine Prozeßhandlung darstellt, steht dem nicht entgegen. Denn es gibt keinen Rechtsgrundsatz, nach welchem Prozeßhandlungen schlechthin unwiderruflich wären. Vielmehr hängt die Widerruflichkeit vom Wesen und den rechtlichen Wirkungen der jeweiligen Prozeßhandlung ab.
Die einseitige Erledigungserklärung eines Beteiligten bewirkt noch keine Beendigung des Rechtsstreits. Soweit sie, wie im Streitfall, vom Kläger abgegeben wird, ist sie ein Antrag an das Gericht, der allerdings bezweckt, daß der Rechtsstreit ohne Entscheidung über den Streitgegenstand beendet werden soll. Er tritt an die Stelle des ursprünglichen Sachantrags, ist aber analog § 268 Nr. 2 und 3 ZPO nicht den für eine Klageänderung geltenden Vorschriften unterworfen (vgl. Thomas-Putzo, a. a. O., Anm. 2c zu § 91a; Göppinger, Die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, Stuttgart 1958, S. 75). Da sich die OFD der Erledigungserklärung der Antragstellerin noch nicht angeschlossen und auch das Gericht über deren Antrag, die Hauptsache für erledigt zu erklären, noch nicht entschieden hatte, konnte deshalb die Antragstellerin zu ihrem ursprünglichen Sachantrag zurückkehren (ebenso Bayer. Verwaltungsgerichtshof Nr. 20 IV 66 vom 5. April 1967, Verwaltungsrechtsprechung Bd. 19 S. 374; Oberverwaltungsgericht Münster IV A 1243/65 vom 9. Februar 1966, Neue Juristische Wochenschrift 1966 S. 1770; Hessischer Verwaltungsgerichtshof OS IV 62/60 vom 20. September 1963, Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg Bd. 14 S. 187; Oberverwaltungsgericht Lüneburg I OVG B 15/66 vom 16. August 1966, Neue Juristische Wochenschrift 1967 S. 1294 sowie die herrschende Auffassung in der Literatur).
Wegen des sonach im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses mußte die vom FG erlassene Sachentscheidung aufgehoben und der Antrag der Steuerpflichtigen als unzulässig abgelehnt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 68236 |
BStBl II 1969, 80 |
BFHE 1969, 46 |