Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Erlöschen einer Prozeßvollmacht; zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags bei Fristversäumnis durch den früheren Prozeßvertreter
Leitsatz (NV)
1. Die Kündigung des Vollmachtsvertrags erlangt dem Gericht gegenüber erst durch die Anzeige des Erlöschens der Vollmacht rechtliche Wirksamkeit.
2. Hat der Kläger nicht in der für eine Prozeßhandlung eindeutigen und bestimmten Weise zum Ausdruck gebracht, daß er den Vollmachtsvertrag gekündigt hat, so muß er zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags wegen Versäumnis der Beschwerdefrist nach § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO darlegen, aus welchen Gründen sein ehemaliger Prozeßbevollmächtigter gehindert gewesen sein kann, rechtzeitig Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen.
Normenkette
BGB § 170; AO 1977 § 80 Abs. 1 S. 4; FGO § 56 Abs. 1, § 62 Abs. 2 S. 5, § 115 Abs. 3 S. 1, § 155; ZPO § 87 Abs. 1
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bis zur Aufgabe seines Betriebs, die er selbst zum 30. September 1987 erklärt hat, Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 war und als solcher den Tatbestand des Verwendungseigenverbrauchs gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2b UStG 1980 verwirklicht hat. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) setzte die Umsatzsteuer für das Streitjahr (1987) entsprechend fest. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage blieb erfolglos.
Den früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwälten A und B, ist das Urteil des Finanzgerichts (FG) am 29. April 1993 zugestellt worden. Am 17. Juni 1993 hat der Kläger die auf Verfahrensfehler gestützte Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und vorgebracht, bereits in der mündlichen Verhandlung am 21. April 1993 vorgetragen zu haben, daß er keinen Anwalt mehr habe und sich selbst vertrete. Er vertritt die Auffassung, das Urteil sei deshalb nicht wirksam zugestellt und die Frist für eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Lauf gesetzt worden. Er beantragt hilfsweise, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Im übrigen beruhe das Urteil auf Verfahrensmängeln (§§ 6, 79a Abs. 2 und 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig; sie ist entgegen § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils am 29. April 1993, sondern erst am 17. Juni 1993 und damit verspätet eingelegt worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor.
1. Das angefochtene Urteil wurde den Rechtsanwälten A und B mit Wirkung für den Kläger wirksam zugestellt.
Gemäß § 62 Abs. 3 Satz 5 FGO sind, wenn ein Beteiligter einen Prozeßbevollmächtigten bestellt hat, die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an diesen zu richten. Das ist hier geschehen. Die Vollmacht der Prozeßbevollmächtigten A und B war im Zeitpunkt der Zustellung an diese dem Gericht gegenüber noch nicht erloschen. Denn die Kündigung des Vollmachtvertrags erlangt dem Gericht gegenüber erst durch die Anzeige des Erlöschens der Vollmacht rechtliche Wirksamkeit (vgl. § 155 FGO, § 87 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; § 80 Abs. 1 Satz 4 der Abgabenordnung - AO 1977 -; § 170 BGB; Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. April 1971 II 59/65, BFHE 101, 469, BStBl II 1971, 403; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 62 Rz. 45 m.w.N.). Eine solche Anzeige lag dem FG bis zum 29. April 1993 nicht vor.
Entgegen der Auffassung des Klägers hat er die Vollmacht nicht bereits in der mündlichen Verhandlung vom 21. April 1993 widerrufen. Der erkennende Senat ist davon überzeugt, daß der Kläger durch sein - mit der Nichtzulassungsbeschwerde geschildertes - Verhalten in der mündlichen Verhandlung nicht in der für eine Prozeßhandlung erforderlichen eindeutigen und bestimmten Weise (vgl. zum Widerruf einer Prozeßvollmacht den BFH-Beschluß vom 7. März 1990 IX B 256/89, BFH/NV 1990, 788) zum Ausdruck gebracht hat, daß er den Vollmachtsvertrag gekündigt hat und die Vollmacht damit erloschen war. Dies folgt für den Senat aus den Ausführungen im Beschluß der Vorinstanz vom 29. April 1993 über den Antrag auf Protokollberichtigung, wonach sich weder die Senatsmitglieder noch die Prozeßvertreterin des FA daran erinnern konnten, daß der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. April 1993 auch nicht sinngemäß eine Erklärung abgegeben habe, er habe die dem bisherigen Prozeßvertreter erteilte Vollmacht widerrufen. Weil weder der Kläger noch seine früheren Prozeßvertreter die gerichtliche Anfrage nach dem Fortbestand des Mandats beantwortet haben, hat für das FG - wie es zur Recht ausführt - kein Anlaß bestanden, weiter nachzuforschen.
Die am 29. April 1993 an die Rechtsanwälte A und B bewirkte Zustellung war daher dem Kläger gegenüber wirksam. Der Kläger hat die seinen früheren Prozeßbevollmächtigten erteilte Vollmacht gegenüber dem FG nach der Aktenlage frühestens mit den Schriftsätzen der jetzigen Prozeßbevollmächtigten widerrufen, deren erster dem Gericht erst am 4. Juni 1993 zuging. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde bereits abgelaufen.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
Heilung der Fristversäumnis hätte nach § 56 Abs. 1 FGO erfordert, daß der Kläger verhindert gewesen wäre, die einmonatige Frist gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO einzuhalten. Der Kläger hat indes keinen Wiedereinsetzungsgrund vorgetragen. Er hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen seine ehemaligen Prozeßbevollmächtigten gehindert gewesen sein könnten, rechtzeitig Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen. Ein Verschulden seiner früheren Bevollmächtigten muß sich der Kläger wie eigenes Verschulden zurechnen lassen (Gräber/Koch, a.a.O., § 56 Rz. 6 m.w.N.).
Fundstellen