Leitsatz (amtlich)
1. Die Erhebung der Klage nach § 43 FGO hat dieselbe Wirkung wie die Verbindung mehrerer bereits schwebender Verfahren durch Gerichtsbeschluß nach § 73 Abs. 1 FGO.
2. Verbundene Verfahren können nicht stillschweigend durch konkludente Entscheidung getrennt werden.
Normenkette
FGO §§ 43, 73 Abs. 1
Tatbestand
Die Kostenschuldnerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) erhob am 28. Juni 1967 gegen das HZA Klage mit dem Antrag, 16 Abschöpfungsbescheide über insgesamt 121 971,20 DM aufzuheben. Die Klage erhielt das Aktenzeichen II 1304-1319/67. Am 12. Oktober 1967 erklärte die Beschwerdeführerin, sie nehme die Klage insoweit zurück, als sie den ersten der angefochtenen Bescheide betreffe. Das FG ging davon aus, daß gegen die 16 Bescheide gesonderte Klagen anhängig geworden seien und die Beschwerdeführerin nunmehr die gegen den ersten Bescheid gerichtete Klage zurückgenommen habe. Es stellte durch einen mit dem Aktenzeichen II 1304/67 versehenen Beschluß vom 16. Oktober 1967 das Verfahren über diese vermeintlich gesondert erhobene Klage ein. Der Urkundsbeamte folgte der Betrachtungsweise des FG und berechnete in der Kostenrechnung vom 19. November 1971 die Prozeßgebühr nach dem in bezug auf den ersten Bescheid streitigen Betrag von 9 847 DM.
Mit der Erinnerung machte die Beschwerdeführerin vergeblich geltend, der Berechnung der Prozeßgebühr sei der durch den Klageantrag zum Ausdruck gekommene Gesamtstreitwert zugrunde zu legen. Die Prozeßgebühr für den zurückgenommenen Teil der Klage sei in der Höhe festzusetzen, die im Verhältnis des Streitwerts des zurückgenommenen Teils der Klage zum Gesamtstreitwert der eingereichten Klage entspreche; das seien 8,07 % (9 847 DM: 121 971,20 DM). Die 5/10-Prozeßgebühr betrage bei einem Wert von 121 971,20 DM 422,50 DM; 8,07 % hiervon ergebe 34,10 DM. Das FG meint, die mehreren Klageverfahren seien durch konkludente Handlung getrennt worden. Dadurch sei für die zurückgenommene Klage gegen den ersten Bescheid die Prozeßgebühr nach ihrem Streitwert neu entstanden.
Entscheidungsgründe
Die vom FG zugelassene Beschwerde ist begründet.
Durch die am 28. Juni 1967 erhobene Klage hat die Beschwerdeführerin von der Befugnis aus § 43 FGO Gebrauch gemacht, mehrere Klagebegehren in einer Klage zusammen zu verfolgen. Denn sie hat durch diese einzige Klage eine Vielzahl von Verwaltungsakten angefochten ten mit dem Antrag, sie aufzuheben. Die für den Fall des § 43 FGO übliche Bezeichnung "objektive Klagehäufung" ist insofern irreführend, als hier nur eine Mehrzahl von verfolgten Klagebegehren, jedoch nur eine Klage vorliegt. Das ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des Gesetzes. Die Erhebung einer Klage nach § 43 FGO hat von vornherein zur Folge, daß diese Klage und das Verfahren über sie an die Stelle der bei getrennter Verfolgung der einzelnen Klagebegehren erforderlichen mehreren Klagen und Verfahren tritt; sie hat somit dieselbe Wirkung wie die Verbindung mehrerer bereits schwebender Verfahren durch Gerichtsbeschluß nach § 73 Abs. 1 FGO. Deshalb ist das Gericht befugt, die durch die objektive Klagehäufung von vornherein entstandene Verfahrensverbindung wieder aufzuheben (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 43 Rdnr. 11; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 43 FGO, Rdnr. 9; Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 5. Aufl., § 44 Rdnr. 8). Die Annahme des FG, die Beschwerdeführerin habe 16 gesonderte Klagen erhoben, entspricht zwar der Meinung von Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., § 72 FGO Rdnr. 5, durch die objektive Klagehäufung nach § 43 FGO werde eine Mehrheit von Klagen in einer Klageschrift äußerlich verbunden. Diese Meinung ist aber nicht nur unvereinbar mit dem Wortlaut des § 43 FGO, sondern auch mit den eigenen Ausführungen von Tipke-Kruse, a. a. O., zu § 43 FGO, wo unter der Rdnr. 4 die Wirkung der objektiven Klagehäufung zutreffend in einer Klageverbindung gesehen wird.
Das FG hat von der ihm durch § 73 Abs. 1 FGO gebotenen Möglichkeit, die verbundenen Verfahren zu trennen, keinen Gebrauch gemacht. Für eine solche Maßnahme fordert § 73 Abs. 1 FGO ausdrücklich einen Beschluß. Die auf die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen FG vom 8. Juni 1970 III 173/69 (EFG 1970, 455 f.) und auf Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 30. Aufl., § 145 Anm. 2 B, gestützte Auffassung der Vorinstanz, verbundene Verfahren könnten auch stillschweigend durch konkludente Entscheidung getrennt werden, vermag der Senat nicht zu teilen. Ihr steht entgegen, daß der durch § 73 Abs. 1 FGO geforderte Beschluß nach den gemäß § 155 FGO im finanzgerichtlichen Verfahren sinngemäß anzuwendenden Vorschriften des § 329 der Zivilprozeßordnung bei vorausgegangener mündlicher Verhandlung verkündet, sonst den Beteiligten mitgeteilt werden muß (vgl. Hübschmann-Hepp-Spitaler, a. a. O., § 73 FGO, Rdnr. 12; Ziemer-Birkholz, a. a. O., § 73, Rdnr. 16, 24; Tipke-Kruse, a. a. O., § 73 FGO, Rdnr. 3; Redeker-von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., § 93 Rdnr. 4, RGZ 64, 44).
Aber selbst, wenn die Auffassung der Vorinstanz zuträfe, eine Verfahrenstrennung nach § 73 Abs. 1 FGO bedürfe keines besonderen Beschlusses, sondern könne durch konkludente Handlung vorgenommen werden, müßte die Beschwerde Erfolg haben. Denn eine solche konkludente Handlung des FG ist nicht erkennbar geworden. Die Art und Weise, wie das durch die Erhebung einer einzigen Klage nach § 43 FGO beim FG anhängig gewordene einheitliche Verfahren durch das Aktenzeichen registriert wurde, ist unerheblich, weil eine solche Maßnahme nicht vom Spruchkörper des Gerichts, sondern von der Geschäftsstelle vorgenommen wird. Das FG hat selbst nicht angenommen, daß die Registrierung als eine konkludent vorgenommene Verfahrenstrennung in Betracht gekommen sei. Denn die Frage einer Verfahrenstrennung hat sich auch nach seiner Auffassung erst nach der Rücknahmeerklärung vom 12. Oktober 1967 gestellt. Als konkludente Trennungsentscheidung kann nicht etwa der Einstellungsbeschluß vom 16. Oktober 1967 angesehen werden, da ihm die irrige Ansicht zugrunde lag, gegen die einzelnen Bescheide seien gesonderte Klagen erhoben worden, und er deshalb nicht Ausdruck eines Trennungswillens des FG sein kann.
Die Beschwerdeführerin hat somit zu Recht geltend gemacht, daß sie durch ihre Erklärung vom 12. Oktober 1967 eine einheitliche Klage teilweise zurückgenommen hat und daß die Prozeßgebühr für den zurückgenommenen Teil der Klage in der Höhe festzusetzen ist, die dem Verhältnis des Streitwerts des zurückgenommenen Teils der Klage zum Gesamtstreitwert entspricht.
Fundstellen
Haufe-Index 70640 |
BStBl II 1974, 137 |
BFHE 1974, 465 |