Leitsatz (amtlich)
Die von der Vorerbin des verstorbenen Revisionsklägers erklärte Rücknahme der Revision ist wirksam, ohne daß es der Zustimmung der Nacherben bedarf.
Normenkette
FGO § 125; BGB §§ 2100, 2112 ff.; ZPO § 326; LAG § 73; StAnpG § 8 Abs. 1
Tatbestand
Die alleinige Vorerbin nach dem verstorbenen Revisionskläger hat schriftlich erklärt, die von ihrem verstorbenen Ehemann eingelegte Revision als Vorerbin zurückzunehmen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Zurücknahme der Revision durch die Vorerbin ohne Zustimmungserklärung der Nacherben ist rechtswirksam erfolgt.
Mit dem Erbfall (Tod des Abgabepflichtigen) ist sie als Vorerbin Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Gatten geworden. Bürgerlich-rechtlich ist die Vorerbin wahre Erbin bis zum Eintritt des Nacherbfalls und hat bis dahin nicht nur das Recht und die Pflicht, den Nachlaß zu verwalten, sondern kann auch über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände nach Maßgabe der §§ 2112 ff. BGB und der darin enthaltenen Beschränkungen verfügen. Steuerrechtlich ist die Vorerbin durch die Gesamtrechtsnachfolge in die gesamte abgabenrechtliche Rechtsstellung des Erblassers eingetreten (§ 8 Abs. 1 StAnpG); sie ist durch die Erbfolge in vollem Umfang Abgabeschuldnerin auch hinsichtlich der Vermögensabgabe geworden. § 73 Abs. 1 LAG steht dem nicht entgegen. Mit Recht weisen Kühne-Wolff (Die Gesetzgebung über den Lastenausgleich, § 73 Anm. 3) darauf hin, daß diese Vorschrift dem Abgabegläubiger nicht die Möglichkeit gibt, vor Eintritt des Nacherbfalles einen Nacherben wegen der Vermögensabgabe hälftig in Anspruch zu nehmen. § 73 LAG trifft eine Regelung nur für das Innenverhältnis zwischen Vorerben und Nacherben. Vor dem Eintritt des Nacherbfalles kann nur die Vorerbin aus der Vermögensabgabe in Anspruch genommen werden.
Prozeßrechtlich gilt insoweit nichts anderes. Die Vermögensabgabe ist eine Nachlaßverbindlichkeit, die von der Vorerbin nach den Vorschriften des LAG zu erfüllen ist. Für Nachlaßverbindlichkeiten aller Art ist bis zum Nacherbfall der Vorerbe allein passiv legitimiert. Wie bereits das Reichsgericht - RG - (Urteil vom 31. Januar 1918, Az. 378/17 IV - Juristische Wochenschrift 1918 S. 434) entschieden hat, folgt die Passivlegitimation des Vorerben für Nachlaßverbindlichkeiten bereits aus § 2100 BGB und wird durch die in § 326 Abs. 1 ZPO getroffene Regelung über die Rechtskraftwirkung eines zuungunsten des Nacherben vor dem Nacherbfall ergangenen Urteils nicht berührt (so auch Kipp, JW 1918, 434 in der Anmerkung zum vorgenannten Urteil des RG). Zwar handelt es sich im Streitfall auch um die Vermögensabgabe als Nachlaßverbindlichkeit, Streitgegenstand ist jedoch der ablehnende Bescheid des FA, die Vermögensabgabe herabzusetzen. Der Prozeß war, weil er nicht vom Abgabegläubiger, sondern vom Abgabepflichtigen eingeleitet und bis zu dessen Tode geführt worden war, kein Passivprozeß, sondern ein Aktivprozeß über die Herabsetzung einer Nachlaßverbindlichkeit. Aber auch insoweit kann nichts anderes gelten. Die Aktivlegitimation des Erblassers ist - ebenfalls bereits auf Grund des § 2100 BGB - mit dessen Tode auf den Gesamtrechtsnachfolger übergegangen, mithin auf die Vorerbin. § 326 ZPO berührt die Frage der Aktivlegitimation der Vorerbin ebensowenig, wie sie deren Passivlegitimation berührt hätte. Hieraus folgt, daß aus § 326 ZPO die Notwendigkeit einer Zustimmung der Nacherben zur Prozeßführung nicht hergeleitet werden kann.
Aus den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Beschränkungen des Vorerben hinsichtlich seiner Verfügungsbefugnis über zur Erbschaft gehörende Gegenstände (§§ 2112 ff. BGB) folgt ebenfalls nicht die Notwendigkeit der Zustimmung der Nacherben zur Prozeßführung des Vorerben. Nach herrschender Meinung stellt die Prozeßführung des Vorerben keine Verfügung im Sinne der §§ 2112 ff. BGB dar und bedarf daher auch nicht der Zustimmung der Nacherben, so daß der Vorerbe in der Prozeßführung frei ist (vgl. Staudinger-Seybold, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl., Tz. 15 zu § 2112 BGB; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 27. Aufl., Einführung vor § 2100 BGB Bemerkung 5 a, § 2112 BGB Bemerkung 3; Kommentar von Reichtsgerichtsräten und Bundesrichtern zum BGB, 11. Aufl., § 2112 BGB Anm. 17). Ist der Vorerbe aber grundsätzlich in der Prozeßführung in bezug auf den Nachlaß frei, so war im Streitfall die Vorerbin auch ohne Zustimmung der Nacherben befugt, eine Prozeßhandlung vorzunehmen und die in dem vom Erblasser eingeleiteten Rechtsmittelverfahren über die Vermögensabgabe eingelegte Revision zurückzunehmen.
Der Zurücknahme der Revision stehen Bedenken aus § 125 FGO nicht entgegen; einer Einwilligung des Revisionsbeklagten bedurfte es hierzu nicht. Mit Rücksicht auf die besonderen Umstände hielt es der Senat für angebracht, das Revisionsverfahren durch Beschluß einzustellen (vgl. Beschluß des BFH VI R 107/66 vom 20. September 1966, BFH 86, 811, BStBl III 1966, 680 sowie BFH-Urteil V K 1/67 vom 30. November 1967, BFH 90, 339, BStBl II 1968, 96).
Fundstellen
Haufe-Index 68299 |
BStBl II 1969, 622 |
BFHE 1969, 93 |