Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zur einstweiligen Einstellung der Vollstreckung
Leitsatz (NV)
1. Als Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung genügt nicht die Darlegung von Vollstreckungsnachteilen, mit denen jemand rechnen muß, der seine Steuern nicht rechtzeitig zahlt und die Finanzbehörden daher zur Vollstreckung nötigt. Die Wahrnehmung der Pflicht der Behörde, Steueransprüche im Zwangswege durchzusetzen, ist nicht schon deshalb ein eine einstweilige Anordnung rechtfertigender Nachteil, weil sie zu einer erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigung des Steuerschuldners führt.
2. Die Vollstreckung kann nicht allein deswegen einstweilen eingestellt werden, weil über die beantragte Aussetzung der Vollziehung der betr. Steuerbescheide noch nicht endgültig entschieden ist.
Normenkette
FGO § 114; AO 1977 §§ 251, 256
Verfahrensgang
Tatbestand
Das FA hob gegen die Antragstellerin Ansprüche auf Zahlung rückständiger Steuern und Säumniszuschläge. Mit drei Pfändungsverfügungen vom 30. April 1984, den Drittschuldnern am 4. Mai 1984 zugestellt, pfändete das FA wegen Steuerrückständen in Höhe von 70 599,14 DM Forderungen, Ansprüche und Rechte der Antragstellerin aus Verträgen mit der Bank X, das Konto der Antragstellerin bei der Sparkasse Y und Forderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen der Antragstellerin gegen die Stadt Z. Gegen diese Pfändungsverfügungen legte die Antragstellerin Beschwerden ein, über die offenbar noch nicht entschieden ist. Die Drittschuldner teilten dem FA mit, daß die Antragstellerin keine pfändbaren Guthaben bei ihnen unterhalte bzw. - im Fall der Stadt Z - daß Forderungen der Antragstellerin nicht zu ermitteln seien. Die Bank X teilte am 28. Juni 1984 der Antragstellerin mit, daß der bisherige Kreditrahmen von 18 000 DM wegen der Pfändungsverfügung nicht verlängert werde. Mit Anträgen vom 8. Mai und 6. August 1984 beantragte die Antragstellerin beim FG, durch Erlaß von einstweiligen Anordnungen vorläufigen Vollstreckungsaufschub durch Aufhebung der drei Pfändungsverfügungen zu gewähren. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus: Wegen der Pfändungsverfügungen sei sie nicht mehr in der Lage, ihren Zahlungsverpflichtungen gegenüber ihren Lieferanten nachzukommen, so daß bei Fortbestehen der Pfändungen die Eröffnung des Konkursverfahrens unausweichlich sei. Zumindest beruhe die Aufhebung des Kreditrahmens durch die Bank X auf der Pfändungsverfügung, was für sie einen schwerwiegenden Nachteil darstelle. Für sie bestehe nunmehr nicht die Möglichkeit, weiterhin für die Stadt Z tätig zu sein. Die durchgeführten Pfändungen seien auch deshalb unbillig, weil bezüglich rückständiger Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuerbeträge Klagen wegen der Aussetzung der Vollziehung anhängig seien, über die das Gericht noch nicht entschieden habe. Das FA sei auch für die Vollstreckungsmaßnahmen nicht zuständig gewesen. Mit Beschlüssen vom 10. August 1984 und vom 11. September 1984 wies das FG die Anträge als unbegründet ab.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerden sind unbegründet. Das FG hat mit den angefochtenen Beschlüssen die Anträge der Antragstellerin auf Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnungen im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Es kann dahinstehen, ob das FG zu Recht das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs verneint hat. Denn es fehlt hier jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
§ 114 Abs. 1 FGO räumt dem Gericht keine schrankenlose Befugnis zum Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein. Die in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ausdrücklich genannten Gründe (,,wesentliche Nachteile" und ,,drohende Gewalt") setzen Maßstäbe auch für die ,,anderen Gründe" im Sinne dieser Bestimmung. ,,Andere Gründe" rechtfertigen eine einstweilige Anordnung nur dann, wenn sie für die begehrte Anordnung ähnlich wichtig und bedeutsam sind wie die ,,wesentlichen Nachteile" oder ,,drohende Gewalt" (vgl. BFH-Beschluß vom 26. Januar 1983 I B 48/80, BFHE 137, 235, 240, BStBl II 1983, 233, 236). Der befürchtete Nachteil muß also ein solcher sein, der über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung hinausgeht (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Januar 1982 VIII B 94/79, BFHE 135, 23, 27, BStBl II 1982, 307, 309).
Das Vorbringen der Antragstellerin läßt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes in diesem Sinne nicht erkennen. Die von der Antragstellerin geschilderten Nachteile der ausgebrachten Pfändungen für ihre Beziehung zu den Banken und zur Stadt Z sowie für die Erfüllung ihrer Zahlungsverpflichtungen gehen nicht über die Nachteile hinaus, mit denen jemand rechnen muß, der seine Steuern nicht rechtzeitig zahlt und die Finanzbehörden daher zur Vollstreckung nötigt. Das FA hat im Interesse der Allgemeinheit grundsätzlich die Pflicht, Steueransprüche auch im Zwangswege durchzusetzen. Die Wahrnehmung dieser Pflicht ist nicht schon deshalb ein eine einstweilige Anordnung rechtfertigender wesentlicher Nachteil, weil sie zu einer erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigung des Steuerschuldners führt (vgl. auch Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 227 AO 1977 Anm. 45).
Soweit die Antragstellerin vor dem FG vorgetragen hat, bei Fortbestehen der Pfändungen sei der Konkurs unvermeidlich, hat sie das nicht ausreichend substantiiert. Sie kann daher damit nicht gehört werden; denn nach § 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO ist sie verpflichtet, den Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
Zu einem anderen Ergebnis vermag auch nicht das Vorbringen der Antragstellerin zu führen, daß die Steuerfestsetzungen, die den Pfändungsmaßnahmen zugrunde liegen, zum Teil noch nicht bestandskräftig seien und deren Aussetzung der Vollziehung noch Gegenstand von Klageverfahren vor dem FG sei. Die Antragstellerin kann mit Einwendungen gegen die zu vollstreckenden Steuerbescheide im vorliegenden Verfahren, das zur Zwangsvollstreckung gehört, nicht gehört werden (§ 256 AO 1977). Für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Steuerbescheide hat das Gesetz die Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung zur Verfügung gestellt (§ 361 AO 1977, § 69 FGO). Solange die Vollziehung nicht ausgesetzt ist, kann aber ein Verwaltungsakt vollstreckt werden (§ 251 Abs. 1 AO 1977). Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß vom 12. Mai 1980 VII B 9/80 (BFH 130, 136, 140, BStBl II 1980, 399, 401) ausgeführt, daß eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung allein aus der Erwägung, daß über die Aussetzung der Vollziehung noch nicht endgültig entschieden ist, einen Vollstreckungsaufschub schon aufgrund des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung bewirken würde. Ein solches Ergebnis widerspräche der gesetzlichen Regelung, nach welcher die Einlegung von Rechtsbehelfen die Vollziehung von Steuerbescheiden nicht hemmt (§ 361 Abs. 1 AO 1977, § 69 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 414019 |
BFH/NV 1986, 138 |