Entscheidungsstichwort (Thema)

Weiterleitung von Belegen des Klägers an das Finanzamt rechtfertigt nicht die Ablehnung des Richters als befangen

 

Leitsatz (NV)

Es rechtfertigt kein Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Richters, wenn dieser im Rahmen der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vom Kläger vorgelegte Belege an das Finanzamt weiterleitet mit der Bitte, den Vorsteuerabzug nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen zu überprüfen und gleichzeitig auf bestimmte rechtliche Bedenken zur Zulässigkeit des Vorsteuerabzugs hinweist.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

In dem vor dem Finanzgericht (FG) anhängigen Verfahren wegen Umsatzsteuer 1976 bis 1978 streiten die Beteiligten darum, ob die Entgelte für Planungsarbeiten dem Regelsteuersatz oder dem begünstigten Steuersatz unterliegen, in welcher Höhe der private Kraftfahrzeuganteil als Eigenverbrauch bei der Umsatzsteuer zu erfassen ist und ob das beklagte Finanzamt (FA) zu Recht vom Kläger und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) geltend gemachte Vorsteuern in Höhe von 684,24 DM gekürzt hat.

Im Rahmen der Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung kamen dem Berichterstatter (BE), dem Richter am FG A, anläßlich der Vorlage bestimmter Belege Bedenken, ob dem Beschwerdeführer in dem vom FA ,,angenommenen Maße ordnungsgemäße Rechnungen erteilt worden sind, aus denen der Vorsteuerabzug in Anspruch genommen werden kann". Der BE bat deshalb um Vorlage der dem Vorsteuerabzug für die Streitjahre zugrunde liegenden Belege, und zwar geordnet nach Streitjahren und unter Angabe des jeweiligen Umsatzsteuerbetrages.

Dieser Bitte kam der Beschwerdeführer schließlich nach einigem Schriftwechsel und einer auf Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) gestützten Aufklärungsverfügung des BE nach und legte am 20. Juni 1986 mehrere Aktenordner, Tagebücher und Kontoblätter vor.

Diese Unterlagen leitete der BE mit Verfügung vom 20. Juni 1986 an das FA mit der Bitte weiter, ,,den Vorsteuerabzug nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen zu überprüfen". Verbunden war dies mit dem Hinweis darauf, ,,daß sich aus den im Klageverfahren vorgelegten Ablichtungen ergibt, daß in Kleinbetragsrechnungen z.B. der Steuersatz nicht angegeben ist und damit der Vorsteuerabzug entfällt. Soweit Skonti abgezogen worden sind, ist zu prüfen, ob die umsatzsteuerlichen Folgen gezogen worden sind". Die Verfügung schließt mit der Bitte um Stellungnahme und Rückgabe der Unterlagen innerhalb einer bestimmten Frist.

Nachdem der Beschwerdeführer zunächst vergeblich um Aufhebung dieser Verfügung gebeten hatte, lehnte er den BE wegen Besorgnis der Befangenheit ab, und zwar mit der Begründung, im Hinblick auf die Weitergabe der Unterlagen an das FA sei die Neutralität des Richters nicht mehr gegeben. Es müsse angenommen werden, daß der BE aufgrund eines schon früher gestellten (vom FG und schließlich auch vom Bundesfinanzhof - BFH - zurückgewiesenen) Befangenheitsantrages ,,willentlich der anderen Seite prozessuale Vorteile verschafft". Nunmehr müsse außerdem unterstellt werden, daß der BE ,,Darstellungen des Klägers nicht mehr aufgeschlossen gegenübersteht". Nachdem der BE eine dienstliche Äußerung dahingehend abgegeben hatte, daß er sich nicht für befangen halte, hat das FG das Ablehnungsgesuch mit Beschluß vom 10. Juli 1986 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der hiergegen erhobenen Beschwerde rügt der Beschwerdeführer weiterhin, daß der BE ,,dem Gegner willentlich Vorteile verschafft" und daß dies seine Ursache in dem früheren Befangenheitsgesuch habe.

Das beklagte FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat das Ablehnungsgesuch zu Recht als unbegründet angesehen.

Gemäß § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.

Hierdurch sollen die Beteiligten vor Unsachlichkeit geschützt werden. Dabei kommt es ausschließlich darauf an, ob ein Verfahrensbeteiligter bei objektiver Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit und unparteilichen Einstellung des Richters zu zweifeln (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 25. Januar 1972 2 BvR 1/69, Die Öffentliche Verwaltung - DÖV - 1972, 312; BFH-Beschlüsse vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12, 13, und vom 2. März 1978 IV R 120/76, BFHE 125, 12, BStBl II 1978, 404, 407).

Im Streitfall konnte der Beschwerdeführer bei objektiver Betrachtung weder aus der Weiterleitung der Unterlagen an das beklagte FA zur Stellungnahme noch aus den damit verbundenen Hinweisen Zweifel an der Unparteilichkeit des BE herleiten. Die Maßnahme hielt sich, auch soweit sie über die Gewährung rechtlichen Gehörs hinausging und das FA zur konkreten Überprüfung aufforderte, im Rahmen des rechtlich Möglichen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß einerseits das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO), daß andererseits den Beteiligten am finanzgerichtlichen Verfahren besondere Mitwirkungspflichten auferlegt sind (§ 76 Abs. 1 Satz 2 FGO) und daß darüber hinausgehend die Finanzbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens selbst zur Sachverhaltsermittlung verpflichtet bleibt (§ 76 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 88, 89 der Abgabenordnung - AO 1977 -).

Schon deshalb kann keine Rede davon sein, daß die hier in Frage stehende Maßnahme des BE, objektiv betrachtet, auch nur den Anschein erwecken konnte, für diese Handlungsweise sei etwas anderes bestimmend gewesen als das Bestreben, die Sachaufklärung (mit Hilfe des FA) voranzutreiben, zumal die Frage, wie dann das Ergebnis dieser Mitwirkung rechtlich zu beurteilen sein wird, völlig offengeblieben ist. Der in diesem Zusammenhang gegebene Hinweis des BE auf die eventuelle Unvollständigkeit von Kleinbetragsrechnungen war unvermeidlich, um die Sachaufklärung auf den vom BE offenbar für entscheidungserheblich gehaltenen Punkt hinzulenken, und im übrigen so gefaßt, daß auch von einer Festlegung auf irgendeine (richtige oder unrichtige) Rechtsansicht nicht gesprochen werden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414880

BFH/NV 1988, 572

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge