Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Revisionszulassung wegen überlanger Verfahrensdauer
Leitsatz (NV)
Die Revision ist nicht schon deshalb wegen Verfahrensfehlers zuzulassen, weil der Kläger geltend macht, die lange Verfahrensdauer habe das Erinnerungsvermögen von ihm aufgebotener Zeugen erschöpft, selbst aber keinen Beitrag zur Verfahrensbeschleunigung geleistet hat.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3; GG Art. 19 Abs. 4; EMRK Art. 6 Abs. 1
Gründe
Von der Wiedergabe des Tatbestands wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Rüge überlanger Verfahrensdauer beim Finanzgericht (FG) greift nicht durch. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben dazu vorgetragen, mehr als 5 Jahre nach Beginn des Besteuerungsverfahrens und mehr als 7 Jahre nach den umstrittenen Zahlungen habe das FG die Zeugen A, B und C vernommen, deren Aussagen aber als nicht glaubhaft bezeichnet, weil sich die Zeugen nach so langer Zeit nicht mehr an die Einzelheiten der Geldübergaben erinnern könnten. Bei einer kürzeren Verfahrensdauer und früheren Beweisaufnahme hätten sich die Zeugen mit größter Wahrscheinlichkeit an die Details der Zahlungen erinnern können und das FG hätte den Aussagen der Zeugen folgen müssen.
Aus diesen Ausführungen ergibt sich kein Zulassungsgrund nach §115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Dies folgt weder aus §6 Abs. 1 Satz 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK) noch aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG). Nach §6 Abs. 1 Satz 1 MRK hat jedermann Anspruch u. a. darauf, daß seine Sache innerhalb angemessener Frist von einem unabhängigen Gericht gehört wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 28. Juni 1978 -- C (78) 31 im Fall König (Neue Juristische Wochenschrift 1979, 477) erstreckt sich das Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 MRK auch auf bestimmte Verwaltungsstreitverfahren, wenn diese die Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche zum Gegenstand haben. Steuerstreitigkeiten, selbst wenn sie sich auf die Vermögenslage des Betroffenen auswirken, begründen indes keine Zuständigkeit nach Art. 6 Abs. 1 MRK, da das für dieses Verfahren ausschlaggebende Steuerrecht dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist (Beschluß des Senats vom 13. September 1991 IV B 105/90, BFHE 165, 469, BStBl II 1992, 148, m. w. N.).
Auch aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG folgt nichts anderes. Nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG steht einem durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten Verletzten der Rechtsweg offen. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrfach ausgesprochen, daß der damit gewährleistete Rechtsschutz zumal auch einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit bedeutet (vgl. Beschlüsse vom 28. Oktober 1975 2 BvR 883/73 und 379, 497, 526/74, BVerfGE 40, 237 ff., 256 f.; vom 16. Dezember 1980 2 BvR 419/80, BVerfGE 55, 349 ff., 369; vom 29. April 1981 2 BvR 348/81, Europäische Grundrechte Zeitschrift 1982, 75; vom 22. Januar 1987 1 BvR 103/85, Der Betrieb 1987, 1722; vom 20. Mai 1988 1 BvR 273/88, unter 5. a, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz 1975, §5, Rücklagen, Rechtsspruch 2).
Im Streitfall ist der Anspruch der Kläger auf Rechtsschutz in angemessener Zeit nicht verletzt. Das FG hat über die am 2. Oktober 1996 erhobene Klage bereits am 24. September 1997 nach mündlicher Verhandlung entschieden. Zügiger kann ein FG einen nach Auffassung der Kläger "allenfalls durchschnittlich aufwendigen Fall" kaum entscheiden, berücksichtigt man, daß den Beteiligten schon aus Gründen des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) angemessene Zeit zur Stellungnahme einzuräumen ist und daß das Gericht noch eine Vielzahl weiterer Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden hat. Soweit die Kläger die Dauer des von der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG allerdings nicht erfaßten Verwaltungsverfahrens rügen, hätten sie auch bereits vor Erhebung der Anfechtungsklage schleunigen gerichtlichen Rechtsschutz im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung erlangen können. Die Kläger haben aber vor allem geltend gemacht, die lange Verfahrensdauer habe das Erinnerungsvermögen der drei aufgebotenen Zeugen erschöpft. Dazu hat das FG angesichts der unwahren und widersprüchlichen Bekundungen der Zeugen zutreffend ausgeführt, daß es sehr unwahrscheinlich sei, die Namen von Personen zu vergessen, denen Geldbeträge von mehreren 10 000 DM zum Transport und zur Übergabe anvertraut würden. Zu Unrecht rügen die Kläger die lange Dauer des Verwaltungsverfahrens auch deshalb, weil sie mit einem mehrfachen Beraterwechsel selbst zur Verzögerung des Ermittlungs-, Festsetzungs- und Rechtsbehelfsverfahrens beigetragen haben. Soweit die Geldübergaben im Ausland erfolgten, traf die Kläger im übrigen eine erhöhte Mitwirkungs- und Beweisvorsorgepflicht (§90 Abs. 2 der Abgabenordnung -- AO 1977 --), deren Beachtung ebenfalls der Verfahrensbeschleunigung gedient hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 154046 |
BFH/NV 1999, 655 |