Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Besteuerung eines kommunalen Müllheizkraftwerks
Leitsatz (NV)
Der BMF wird gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 FGO zum Beitritt aufgefordert, um Stellung nehmen zu können, inwieweit ein Landkreis mit seinem Müllheizkraftwerk im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art oder eines Hoheitsbetriebs tätig wurde.
Normenkette
UStG 1980 § 2 Abs. 3 S. 1; KStG 1984 § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4; FGO § 122 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ist als Gebietskörperschaft für die Abfallentsorgung in seinem Gebiet zuständig. Zu diesem Zweck betreibt er ein Müllheizkraftwerk, in dem er den gesammelten Abfall verbrennt. Dabei gewinnt er Strom und Fernwärme, die er an die Stadtwerke vor Ort liefert.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) die Auffassung, die Lieferung des Stroms und der Fernwärme sei dem hoheitlichen und nicht dem unternehmerischen Bereich des Klägers zuzuordnen, so daß für die Strom- und Wärmelieferungen keine Umsatzsteuer anfalle und für die entsprechenden Leistungsbezüge keine Vorsteuer geltend gemacht werden könne. Das FA setzte eine höhere Umsatzsteuer fest, als der Kläger ermittelt hatte. In dessen Umsatzsteuererklärung hatten die in diesem Zusammenhang für die Streitjahre (1986 und 1987) erklärten Vorsteuerbeträge die errechnete Umsatzsteuer aus den Energielieferungen überstiegen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage gegen die Umsatzsteuerbescheide statt. Es führte aus, der Kläger habe den Strom und die Wärme nicht im Rahmen eines Hoheitsbetriebs i. S. des § 4 Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1984) geliefert, sondern im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art i. S. des § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG 1984, § 2 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980).
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Es rügt Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Entscheidungserheblich ist die Frage, inwieweit der Kläger mit seinem Müllheizkraftwerk im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art oder eines Hoheitsbetriebs tätig wurde (§ 2 Abs. 3 Satz 1 UStG 1980, § 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 KStG 1984).
1. Nach § 4 Abs. 3 KStG 1984 gehören Betriebe, die der Versorgung der Bevölkerung mit Elektrizität oder Wärme dienen, zu den Betrieben gewerblicher Art. Hinzu kommt, daß die Energielieferungen des Klägers nach den Feststellungen des FG in den Formen des Privatrechts erfolgt sind und derartige Leistungen nach der neueren Rechtsprechung des Senats der Umsatzsteuer unterliegen (vgl. z. B. Senatsurteil vom 10. Dezember 1992 V R 3/88, BFHE 170, 277, BStBl II 1993, 380, und die dort zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften). Falls das Bundesministerium der Finanzen (BMF) weiterhin mit dem FA der Ansicht ist, es lägen "hoheitliche Hilfsgeschäfte" vor, wäre zu klären, auf welche Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze des Körperschaftsteuerrechts und des Umsatzsteuerrechts diese Ansicht gestützt werden kann.
2. Für den Fall, daß die Energielieferungen im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art erfolgten und damit umsatzsteuerpflichtig sein sollten, stellt sich die weitere Frage nach dem Umfang des Betriebs gewerblicher Art und des durch ihn eröffneten Vorsteuerabzugs.
a) Dieser wäre wohl in weiterem Umfang als nach dem angefochtenen Urteil des FG möglich, wenn die Abfallentsorgung (einschließlich der damit verbundenen Energiegewinnung) insgesamt als Betrieb gewerblicher Art der entsorgungspflichtigen Körperschaft behandelt werden könnte (vgl. zuletzt Urteil des FG Schleswig-Holstein vom 16. Februar 1994 IV 984/93, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1994, 985).
Nach der herkömmlichen Abgrenzung der Betriebe gewerblicher Art von den Hoheitsbetrieben im Körperschaftsteuerrecht ist die Abfallentsorgung der entsorgungspflichtigen Körperschaft eigentümlich und vorbehalten (vgl. Abschn. 5 Abs. 24 der Körperschaftsteuer-Richtlinien -- KStR 1990 --; ähnlich bereits für die Müllbeseitigung § 19 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz -- UStDB 1951 -- und § 4 der Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung -- KStDV 1968 --). Andererseits hat der Senat bereits mehrfach ausgesprochen, daß sich die Ausübung öffentlicher Gewalt nicht aus der gesetzlichen Zuweisung einer Aufgabe als Pflichtaufgabe ergibt, wenn die Leistungen (zur Aufgabenerfüllung) ihrer Art nach privat-unternehmerisch sind (vgl. Urteile vom 30. Juni 1988 V R 79/84 BFHE 154, 192, BStBl II 1988, 910 und vom 21. September 1989 V R 89/85, BFHE 158, 177, BStBl II 1990, 95).
Für die generelle Steuerpflicht der Abfall entsorgung könnte der Umstand angeführt werden, daß sich die entsorgungspflichtige Körperschaft zur Erfüllung ihrer Pflicht eines Dritten bedienen darf (§ 3 Abs. 2 Satz 2 des Abfallbeseitigungsgesetzes -- AbfG --), der Privatrechtsubjekt sein kann und der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer unterliegen kann (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 15. Dezember 1993 X R 115/91 BFHE 173, 254, BStBl II 1994, 314). Es kann sich deshalb eine unterschiedliche steuerliche Belastung ergeben, je nachdem ob die Körperschaft des öffentlichen Rechts ihrer Entsorgungspflicht selbst nachkommt oder sich der Hilfe eines Dritten bedient. Wäre die Abfallentsorgung insgesamt ein Betrieb gewerblicher Art, wären derartige Wettbewerbsverzerrungen -- jedenfalls auf dem Gebiet der Umsatzsteuer -- weitgehend ausgeschlossen.
b) Wäre die Abfallentsorgung grundsätzlich Ausübung öffentlicher Gewalt und lediglich die Lieferung der durch die Abfallverwertung gewonnenen Energie unternehmerisch, würde sich insbesondere wegen des Vorsteuerabzugs die Frage nach der zutreffenden Abgrenzung des Hoheitsbetriebs zum Betrieb gewerblicher Art stellen.
aa) Denkbar wäre es, den Vorsteuerabzug nur für diejenigen Eingangsleistungen zu eröffnen, die in der Hand des Entsorgungsverpflichteten zu einem Zusatzaufwand für die Energieerzeugung führen. So wäre es z. B. vorstellbar, daß eine Turbine für den Betrieb gewerblicher Art angeschafft würde, während ein ohnehin für die Müllverbrennung benötigter Gegenstand für den Hoheitsbetrieb bezogen würde. Dies könnte zu ähnlichen Ergebnissen führen wie das Urteil des FG.
bb) Der Vorsteuerabzug wäre hingegen nur in geringerem Umfang eröffnet, wenn die im Wege der Abfallverwertung gewonnene Energie -- entsprechend der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AbfG -- den "Hoheitsbetrieb Abfallentsorgung" erst mit der Einspeisung in das Netz verlassen würde. Sämtliche Gegenstände, die der Abfallentsorgung und dem Müllheizkraftwerk dienen, wären dann dem Hoheitsbetrieb zuzuordnen.
Der Senat würde es begrüßen, wenn das BMF dem Revisionsverfahren beiträte (§ 122 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung) und zu den aufgeworfenen Fragen in körperschaftsteuerrechtlicher und umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht Stellung nähme. Einer Erklärung über den Beitritt sieht der Senat bis zum 30. April 1995 entgegen. Für den Fall des Beitritts wird für die Stellungnahme zur Sache eine Frist bis zum 31. Juli 1995 gesetzt.
Fundstellen