Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Verfahrens bei Aufrechnung mit einer rechtshängigen Gegenforderung
Leitsatz (NV)
1. Ein Klageverfahren, in dem um den Bestand eines Erstattungs- / Vergütungsanspruchs gestritten wird, kann gemäß § 74 FGO ausgesetzt werden, wenn das FA gegen diesen Anspruch aufgerechnet hat und über die Gegenforderung ebenfalls ein finanzgerichtliches Verfahren anhängig ist.
2. Die Finanzbehörde ist befugt, mit einer Gegenforderung aufzurechnen, die auf einem angefochtenen und einstweilen nicht vollziehbaren Verwaltungsakt beruht.
Normenkette
FGO § 74; AO 1977 § 226 Abs. 1; BGB §§ 387, 389
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) klagt vor dem Finanzgericht (FG) gegen einen ihm erteilten Abrechnungsbescheid über Umsatzsteuer. Er begehrt die Verurteilung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -) zur Auszahlung eines Vorsteuererstattungsbetrages von . . . DM. Nach Auffassung des FA hat dieses - wie in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid und der Einspruchsentscheidung ausgeführt - gegen den Erstattungsanspruch mit einer Forderung aus einem gegen den Beschwerdeführer als Betriebsübernehmer (§ 75 der Abgabenordnung - AO 1977 -) ergangenen Haftungsbescheid des FA X wirksam aufgerechnet. Gegen den Haftungsbescheid ist beim FG A. ebenfalls ein Klageverfahren anhängig. Das FG hat die Vollziehung dieses Haftungsbescheids gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Haftungsschuld ausgesetzt; die Sicherheitsleistung wurde jedoch nicht erbracht.
Mit Beschluß . . . hat das FG die Verhandlung in dem Verfahren wegen Abrechnungsbescheid und Zahlung bis zur Erledigung des beim FG A. anhängigen Rechtsstreits wegen des Haftungsbescheids gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit der Begründung ausgesetzt, daß die Entscheidung über das Bestehen des Haftungsanspruchs vorgreiflich sei für die Entscheidung über die Wirksamkeit der Aufrechnung (Urteil des Senats vom 17. September 1987 VII R 50-51/86, BFHE 151, 304, BStBl II 1988, 366).
Mit der Beschwerde gegen diese Entscheidung macht der Beschwerdeführer geltend, die anstehende Entscheidung über den Haftungsbescheid sei nicht vorgreiflich. Die Aufrechnung sei unwirksam. Es fehle die Aufrechnungserklärung und eine zur Aufrechnung geeignete Forderung. Der Haftungsanspruch sei materiell unvollkommen und die Vollziehung des Bescheides sei ausgesetzt. Das bloße Behaupten einer Forderung seitens des FA sei nicht geeignet, gegen seinen unstreitigen Erstattungsanspruch aufzurechnen und dessen Abrechnung hinauszuschieben.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des FG über die Aussetzung des Klageverfahrens wegen des Abrechnungsbescheids bis zur Entscheidung des vor dem FG A. anhängigen Rechtsstreits über den gegen den Beschwerdeführer ergangenen Haftungsbescheid ist rechtlich nicht zu beanstanden.
1. Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Entscheidung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen im Streitfall vor. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Abrechnungsbescheids und das Bestehen des vom Beschwerdeführer mit der Klage geltend gemachten Umsatzsteuervergütungsanspruchs 1983 hängt ab von der Wirksamkeit der vom FA gegen diesen Anspruch vorgenommenen Aufrechnung (Verrechnung) mit dem Haftungsanspruch gemäß § 75 AO 1977 gegenüber dem Beschwerdeführer, über den das FA X einen ebenfalls klagebefangenen Haftungsbescheid erlassen hat. Da die dem Abrechnungsbescheid zugrunde liegende Aufrechnung des FA nur dann wirksam sein kann, wenn der Haftungsanspruch gegenüber dem Beschwerdeführer besteht (§§ 47, 226 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. §§ 387, 389 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), ist das vor dem FG A. anhängige Klageverfahren, in dem sich der Beschwerdeführer gegen den Haftungsbescheid wendet, für die Entscheidung des Rechtsstreits über den Abrechnungsbescheid vorgreiflich. Das FG konnte somit gemäß § 74 FGO das Verfahren über den Abrechnungsbescheid bis zur Erledigung des Rechtsstreits im Haftungsverfahren aussetzen. Ein Ermessensfehler ist insoweit nicht ersichtlich, zumal der Streit über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung bereits vor einem anderen FG anhängig ist.
2. Die Einwendungen der Beschwerde gegen die Aussetzungsentscheidung des FG greifen nicht durch.
a) Die Vorgreiflichkeit des Rechtsstreits über den gegen den Beschwerdeführer ergangenen Haftungsbescheid kann nicht damit verneint werden, daß im Streitfall keine Aufrechnungserklärung des FA erfolgt sei, so daß es auf den Bestand des Haftungsanspruchs nicht ankomme. Es kann dahinstehen, ob die Aufrechnungserklärung im vorliegenden Verfahren gemäß § 74 FGO überhaupt überprüft werden mußte. An der Wirksamkeit der Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) bestehen jedenfalls keine Zweifel. Das Gesetz schreibt für die Ausübung des der Aufrechnung zugrunde liegenden Gestaltungsrechts eine besondere Form nicht vor. Die Aufrechnung kann sogar durch schlüssige Handlung und auch noch in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid erklärt werden (vgl. Urteil des Senats vom 4. Oktober 1983 VII R 143/82, BFHE 139, 487, BStBl II 1984, 178, 179, 180 m. w. N.). Im Streitfall ergibt sich die Aufrechnungserklärung des FA, wie dieses zutreffend ausführt, aus seinem Schreiben vom . . . an den Bevollmächtigten des Beschwerdeführers, mit dem diesem mitgeteilt wurde, daß die Auszahlung des Vorsteuerguthabens deshalb nicht erfolgt sei, weil es mit der Forderung aus dem Haftungsbescheid verrechnet werde. Das FA hat ferner in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid nochmals ausgeführt, daß das Guthaben von . . . DM aufgrund der Forderung aus dem Haftungsbescheid aufgerechnet wurde und hierfür auf sein Schreiben . . . Bezug genommen.
b) Das FA war auch nicht - wie der Beschwerdeführer meint - an der Aufrechnung mit der Haftungsforderung gegen den Beschwerdeführer deshalb gehindert, weil der Haftungsbescheid angefochten und seine Vollziehung durch das FG A. ausgesetzt worden war. Der Senat hat für einen mit dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt in seinem Urteil in BFHE 151, 304, BStBl II 1988, 366 entschieden, daß die Finanzbehörde befugt ist, gegen eine unstreitige Hauptforderung aufzurechnen mit einer Gegenforderung, die auf einem angefochtenen und einstweilen nicht vollziehbaren Verwaltungsakt beruht, weil die Aussetzung der Vollziehung die Fälligkeit der Forderung als Voraussetzung für die Aufrechnung (§ 387 BGB) nicht berührt. Wie der Senat weiter ausgeführt hat, ist die Aufrechnung aber nur dann wirksam, wenn die Gegenforderung materiell-rechtlich besteht, sie also rechtlich vollkommen ist. Da die Entscheidung darüber erst in dem entsprechenden Anfechtungsverfahren getroffen wird, ist dieses vorgreiflich für die Entscheidung über die Wirksamkeit der Aufrechnung. Der Senat hat es deshalb in dem Urteilsfall, auf den sich auch das FG für seine Entscheidung beruft, für geboten angesehen, das Verfahren (dort eine Leistungsklage) gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Bescheide über die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung auszusetzen. Da auch das FG nach diesen Rechtsgrundsätzen verfahren ist, ist die angefochtene Aussetzungsentscheidung nicht zu beanstanden.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die vom FG A. ausgesprochene Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids nicht wirksam geworden ist, weil die angeordnete Sicherheitsleistung vom Beschwerdeführer nicht erbracht wurde. Denn - wie oben ausgeführt - hindert auch eine wirksame Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich nicht die Aufrechnung mit der einstweilen nicht vollziehbaren Gegenforderung des FA.
c) Der Beschwerdeführer beruft sich schließlich noch auf den Beschluß des FG Köln vom 24. Januar 1990 6 V 837/89, mit dem die Vollziehung eines angefochtenen Abrechnungsbescheids über Einkommensteuer (1987) mit der Begründung ausgesetzt worden ist, daß die Entscheidung über das Bestehen der Gegenforderung, mit der das FA die Aufrechnung erklärt hatte (dort Einkommensteuer 1985), erst im Rahmen einer noch beim FG anhängigen Anfechtungsklage getroffen würde. Aus dieser Entscheidung können für das vorliegende Verfahren keine Rechtsfolgerungen hergeleitet werden, da die beiden Verfahren unterschiedliche Rechtsfragen betreffen. Während in dem angeführten FG-Beschluß über die Aussetzung der Vollziehung des Abrechnungsbescheids nach § 69 Abs. 2 und 3 FGO zu entscheiden war, geht es im vorliegenden Verfahren um die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO. Dort begründete die noch offene, in einem anderen gerichtlichen Verfahren zu entscheidende Frage über den materiell-rechtlichen Bestand der Gegenforderung nach Auffassung des FG ernstliche Zweifel an der Wirksamkeit der Aufrechnung und damit an der Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheids, während im Streitfall allein um die Vorgreiflichkeit des Anfechtungsverfahrens (§ 74 FGO), das die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung betrifft, gestritten wird. Die Aussetzung des Verfahrens über den Abrechnungsbescheid nach § 74 FGO im Streitfall läßt aber ebenso wie die Aussetzung der Vollziehung des Abrechnungsbescheids in dem Beschluß des FG Köln die Wirksamkeit der vom FA erklärten Aufrechnung bis zur Entscheidung des vorgreiflichen Verfahrens über den Bestand der Gegenforderung offen.
Fundstellen
Haufe-Index 417643 |
BFH/NV 1992, 86 |