Entscheidungsstichwort (Thema)
Urteil aufgrund eines Klageentwurfs
Leitsatz (NV)
1. Entscheidet das FG über einen mit einem PKH-Antrag eingereichten Klageentwurf, so ist sein Urteil aufzuheben.
2. Der Wiedereinsetzung in die Klagefrist steht die Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO nicht entgegen, wenn der Kläger aufgrund des Verhaltens des FG stets davon ausgehen konnte, dass der Rechtsstreit aufgrund des Klageentwurfes materiell entschieden würde.
Normenkette
FGO § 47 Abs. 1, §§ 56, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beklagte und Beschwerdeführerin (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 21. Februar 2008 die Kindergeldfestsetzung für einen der Söhne des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) auf. Den Einspruch vom 15. Mai 2008 verwarf die Familienkasse am 28. Mai 2008 als unzulässig; Wiedereinsetzung gewährte sie nicht.
Der Kläger beantragte am 30. Juni 2008 Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Klageverfahren. Dem Antrag war die unterzeichnete "Klage (Entwurf)" beigefügt. Auf den "beigefügten Klagentwurf" bezog sich der Kläger zur Begründung der hinreichenden Erfolgsaussichten. Seinem Antrag war nicht zu entnehmen, dass der Entwurf im Falle der PKH-Gewährung als Klageschrift behandelt werden sollte; Wiedereinsetzung in die Klagefrist wurde --soweit aus der vorgelegten Akte des Finanzgerichts (FG) ersichtlich-- weder "im Vorhinein" noch nach der Gewährung der PKH durch Beschluss vom 26. September 2008 beantragt.
Das FG stellte der Familienkasse den Antrag nebst Klageentwurf zu und entschied wie vom Kläger beantragt. Es ging von einer fristgemäß erhobenen Klage aus, die --zusammen mit dem PKH-Antrag-- auch zugestellt worden sei. Im Erörterungstermin hatte die Einzelrichterin erläutert, dass es sich bei der nochmaligen Zustellung der Klage nach Gewährung der PKH um eine reine Förmlichkeit handeln würde. Die Revision ließ das FG nicht zu.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde trägt die Familienkasse vor, das FG-Urteil beruhe auf einem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hätte die Klage verwerfen müssen, da sie innerhalb der Monatsfrist des § 47 Abs. 1 FGO nur als Entwurf eingereicht worden sei. Eine bedingte Klage für den Fall der Gewährung von PKH sei nach dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. Februar 2005 VII B 304/03 (BFH/NV 2005, 1111) unzulässig. Nach Gewährung der PKH sei innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 FGO auch kein Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden. Verstehe man die Einreichung von PKH-Antrag und Klageentwurf als Ankündigung, so sei die für den Fall der PKH-Gewährung angekündigte Klage tatsächlich nicht erhoben worden. Nach Auffassung des FG würde eine ausdrücklich als Entwurf bezeichnete Klageschrift durch einen stattgebenden PKH-Beschluss "automatisch" zu einer wirksamen Klage werden, unabhängig davon, ob der Antragsteller das zu diesem Zeitpunkt noch wolle. Unklar sei auch, ob der Antragsteller bei einer Änderung der PKH-Entscheidung oder einer PKH-Gewährung, die ihm höhere Zahlungen zumute, seine "Klage" zurücknehmen müsse. Die Klage wäre zudem unbegründet gewesen, da das FG dem Kläger zu Unrecht trotz dessen Verschulden Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist (§ 110 der Abgabenordnung) gewährt habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Der Kläger hat am 30. Juni 2008 keine Klage unter der Bedingung der Gewährung von PKH erhoben, was teilweise als unzulässig angesehen wird (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1111, m.w.N.; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 40 Rz 5; vgl. auch Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 120 FGO Rz 56 für die Revision; für die Zulässigkeit dagegen BFH-Beschluss vom 24. August 2001 VI S 5/01, nicht veröffentlicht; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 65 FGO Rz 7), sondern ausdrücklich nur den Entwurf einer Klage eingereicht. Die Klage ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt erhoben worden.
Das FG hat mithin über eine (noch) nicht erhobene Klage entschieden und damit gegen die Grundordnung des Verfahrens verstoßen. Sein Urteil beruht auch auf diesem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
2. Der Senat hält den Weg über § 116 Abs. 6 FGO für geeignet, den Verfahrensfehler möglichst schnell zu beheben. Er weist dazu darauf hin, dass eine Wiedereinsetzung in die Klagefrist in Betracht kommt; die Zwei-Wochen-Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO für den Antrag und die Nachholung der versäumten Rechtshandlung (Klageerhebung) beginnt mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses an den Kläger. Falls der Kläger innerhalb dieser Frist dem FG erklärt, dass der eingereichte Klageentwurf nunmehr als Klage gelten soll, kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO). Die Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO stellt im Streitfall keinen Ausschlussgrund dar, weil der Kläger infolge des Verhaltens des FG stets davon ausgehen konnte, dass der Rechtsstreit materiell entschieden würde und es für ihn daher unzumutbar war, die erforderliche Prozesshandlung der Klageerhebung rechtzeitig vor Ablauf der Jahresfrist vorzunehmen. Insoweit ist dieser Fall als höhere Gewalt i.S. des § 56 Abs. 3 FGO zu behandeln (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1111; vgl. Beermann/Kuczynski, FGO, § 56 Rz 29).
Fundstellen