Entscheidungsstichwort (Thema)
Verstöße gegen § 76 und § 96 FGO
Leitsatz (NV)
1. Bei der Auslegung der ersten Alternative von § 21 Abs. 1 BierStG 1986 ist darauf abzustellen, mit welchem Willen und welcher Absicht das Getränk in den Handel gebracht worden ist. Dabei ist nicht der "innere" Wille maßgebend, sondern der aus den objektiven Umständen nach außen erkennbar gewordene Wille, der sich insbesondere aus der Aufmachung, den Etiketten und aus dem Inhalt der ergänzenden Werbung erschließt.
2. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen bei der Beurteilung der Frage, ob die Tatbestandsmerkmale des § 21 Abs. 1 BierStG 1986 erfüllt sind, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht durch Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens kann daher nur dann angenommen werden, wenn sich das Erfordernis einer Begutachtung, etwa mangels eigener Sachkunde, dem Gericht hätte aufdrängen müssen.
Normenkette
BierStG 1986 § 21 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1, §§ 96, 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Brauerei, stellte 1989 die Produktion eines bisher als Bier versteuerten obergärigen Vollbieres ein und nahm die Produktion eines neuen Getränks auf, das sie als " ... neu" bezeichnete. Im Gegensatz zum vorherigen Produkt unterband die Klägerin bei der Herstellung des " ... neu" den alkoholbildenden Gärungsprozeß. Entgegen der Auffassung der Klägerin, daß das nahezu alkoholfreie " ... neu" von der Biersteuer freizustellen sei, sah der Beklagte und Be- schwerdegegner (das Hauptzollamt -- HZA --)
das neue Produkt als bierähnlich i. S. von § 21 Abs. 1 des Biersteuergesetzes (BierStG) an und nahm die Klägerin auf Zahlung von insgesamt ... DM Biersteuer in Anspruch.
Mit ihren nach erfolglosen Einspruchsverfahren erhobenen Klagen machte die Klägerin geltend, das " ... neu" werde von ihr nicht als Ersatz für Bier in den Handel gebracht, sondern als alkoholfreies und gesundheitsdienliches Erfrischungs- und Stärkungsgetränk angeboten. Nach dem Ergebnis einer von ihr in Auftrag gegebenen Marktforschungsstudie werde " ... neu" von den Konsumenten auch nicht als Ersatz für Bier genossen; insoweit habe sich die Verkehrsauffassung gegenüber dem Vorprodukt geändert.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klagen zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und nach Beweiserhebung durch Vernehmung der Zeugen H, R und C abgewiesen. Es urteilte, die Klägerin habe das Produkt " ... neu" im strittigen Zeitraum überwiegend als Ersatz für Bier in den Handel gebracht. Entscheidend sei nicht der möglicherweise entgegenstehende "innere" Wille der Klägerin, sondern der Wille, der aus den objektiven Umständen erkennbar geworden und nach außen in Erscheinung getreten sei. Zu berücksichtigen sei insbesondere, daß die Klägerin das " ... neu" im Vergleich zum Vorprodukt mit gleicher Etikettierung und unter gleicher Bezeichnung und Aufmachung auf den Markt gebracht habe. Demgegenüber komme der auf eine neue Zielgruppe abgestellten Werbung von geringer Intensität bei der Beurteilung der Vermarktungsstrategie keine ausschlaggebende Rolle zu. Wie der Zeuge R bekundet habe, sollte der bisherige Abnehmerkreis nicht verlorengehen. Der Handel hätte das Produkt tunlichst sowohl bei den Bieren als auch bei der Limonade und den Sportgetränken anbieten sollen.
Des weiteren werde " ... neu" von den Konsumenten nach wie vor auch als Bier genossen. Nach allgemeiner Lebenserfahrung könne sich das Konsumverhalten in ein oder zwei Jahren nicht grundlegend ändern. Davon gehe auch die Klägerin in einem Schreiben an das HZA aus, in dem sie darlege, daß dem Verbraucher das Bewußtsein fehle, " ... neu" als Ersatz für " ... alt" zu genießen.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) und wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Im wesentlichen macht sie geltend, das FG habe entgegen ihren in zwei Schriftsätzen gestellten Anträgen zu den dort bezeichneten Beweisthemen keinen Sachverständigenbeweis eingeholt und damit gegen die Sachaufklärungspflicht aus § 76 FGO verstoßen. Darüber hinaus habe sich dem FG die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen mangels eigener Sachkunde auch zu weiteren Beweisthemen aufdrängen müssen. So hätte durch Sach verständigenbeweis festgestellt werden müssen, inwieweit noch alte Kunden vorhanden gewesen seien, die das " ... neu" als bierähnliches Getränk angesehen hätten, und ob der Erhalt dieser Altkunden angestrebt worden sei. Durch ein entsprechendes Sachverständigengutachten hätten auch Umfang und Auswirkungen der klägerischen Werbemaßnahmen ermittelt werden müssen. Dadurch hätte festgestellt werden können, daß 95 % der Konsumenten " ... neu" nicht als bierähnlich angesehen und folglich auch nicht als Ersatz für Bier genossen hätten.
Die Rechtssache habe auch grundsätzliche Bedeutung, weil noch weitere Verfahren, und zwar mindestens zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits, anhängig seien.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
1. Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängel sind vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Senats, der sich das FG angeschlossen hat, zu beurteilen. Hiernach kommt es bei der Auslegung der ersten Alternative von § 21 Abs. 1 (BierStG) i. d. F. der Bekanntmachung vom 15. April 1986 (BGBl I, 527) darauf an, mit welchem Willen und welcher Absicht das Getränk -- unabhängig von seiner konkreten Beschaffenheit -- in den Handel gebracht wird. Dabei ist nicht der "innere" Wille maßgebend, sondern der aus den objektiven Umständen nach außen erkennbar gewordene Wille, der sich insbesondere aus der Anpreisung erschließt. Ob ein Getränk als Ersatz für Bier angepriesen worden ist, ist objektiv im wesentlichen aus der Aufmachung, den Etiketten und ggf. aus dem Inhalt der ergänzenden Werbung abzuleiten (Senatsurteil vom 19. Dezember 1989 VII R 93/87, BFHE 159, 383, m. w. N.). Ob die Tatbestandsmerkmale des so auszulegenden § 21 Abs. 1 BierStG erfüllt sind, unterliegt der Beurteilung des Tatrichters. In diesem Rahmen steht die Hinzuziehung eines Sachverständigen grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (Senatsurteil vom 8. Januar 1991 VII R 16--19/89, BFH/NV 1991, 850, m. w. N.). Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens stellt sich nur dann als Verletzung der Aufklärungspflicht dar, wenn sich das Erfordernis einer Begutachtung dem Gericht, etwa mangels eigener Sachkunde, aufdrängen mußte (vgl. Senatsurteil vom 6. Dezember 1988 VII R 43/86, BFH/NV 1989, 475, sowie Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 76 Anm. 22).
2. Hinsichtlich der Rüge mangelnder Sachaufklärung durch Übergehen der in den beiden Schriftsätzen gestellten Beweisanträge ist die Beschwerde der Klägerin unzulässig. Neben den von der Klägerin gemachten Angaben hätte es insbesondere der Darlegung bedurft, daß der behauptete Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung gerügt worden ist oder warum dies nicht habe geschehen können. Das Übergehen eines Beweisantrages stellt nämlich einen verzichtbaren Verfahrensmangel dar, bei dem das Rügerecht durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verlorengeht (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372, und vom 4. Oktober 1991 VII B 98/91, BFH/NV 1992, 603, m. w. N.).
3. Soweit die Klägerin vorträgt, dem FG hätte sich die Erhebung eines Sachverständigenbeweises zu den von ihr in der Beschwerdeschrift angegebenen Beweisthemen auch ohne entsprechenden Antrag aufdrängen müssen, ist die Beschwerde unbegründet. Der geltend gemachte Verfahrensmangel mangelnder Sachaufklärung (§ 76 FGO) liegt nicht vor.
a) Das FG hat § 76 Abs. 1 FGO nicht dadurch verletzt, daß es von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat. Eine fehlerhafte Ausübung des ihm bei der Wahl der Beweismittel zustehenden Ermessens ist nicht ersichtlich. Seine Überzeugung, daß die Klägerin das Produkt " ... neu" überwiegend als Ersatz für Bier in den Handel gebracht hat, hat das FG insbesondere aus dem von der Klägerin nicht bestrittenen Umstand gewonnen, daß das neue Produkt mit gleicher Etikettierung und unter gleicher Bezeichnung und Aufmachung wie das Vorprodukt auf den Markt gebracht worden ist. Gerade diese Merkmale hat der Senat in seiner Rechtsprechung zu § 21 Abs. 1 BierStG als wesentlich für die Erforschung des objektiven nach außen in Erscheinung getretenen Willens des Anpreisenden angesehen.
b) Auch hinsichtlich der vom FG getroffenen Feststellung, daß mit dem neuen Produkt auch die Altkunden angesprochen werden sollten, liegt der gerügte Verfahrensmangel unzureichender Sachaufklärung nicht vor. Denn die Behauptung der Klägerin, es gebe keine einzige Aussage und Sachverhaltsdarstellung dahin, daß der Erhalt der das " ... neu" nach wie vor als bierähnlich ansehenden Altkunden angestrebt worden sei, trifft nicht zu. Das FG bezieht sich in seiner Urteilsbegründung insoweit ausdrücklich auf die Aussage des in der Sitzung vernommenen Zeugen R, "der bisherige Abnehmerkreis habe nicht verlorengehen sollen".
Unter dem Gesichtspunkt der dem FG obliegenden Aufklärungspflicht ist es auch nicht zu beanstanden, daß das FG den von der Klägerin getroffenen Werbemaßnahmen keine entscheidende Bedeutung bei gemessen hat. Überzeugend hat das FG dargelegt, daß die durchgeführte Werbung aufgrund der selektiven Auswahl der Sender und kurzen Sendezeiten nur von geringer Intensität war. Bei diesem Befund hätte sich dem FG die Notwendigkeit einer zusätzlichen Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Umfang der Werbemaßnahmen nicht aufdrängen müssen. Im übrigen hat die Klägerin den Feststellungen des FG hinsichtlich des Umfanges der Werbemaßnahmen in der Beschwerdeschrift nicht substantiiert widersprochen.
c) Ohne einen entsprechenden Antrag der Klägerin mußte das FG von Amts wegen auch kein Sachverständigengutachten zu der Frage einholen, ob oder von welchem Zeitpunkt an " ... neu" nicht oder nicht mehr als Nachfolgeprodukt von " ... alt" angespriesen oder vom Konsumenten als solches angesehen worden sei. Das FG hat die Feststellung, daß die Klägerin ihr neues Getränk als Nachfolgeprodukt des als Bier versteuerten Vorproduktes auf den Markt gebracht und entsprechend beworben hat, aus der Aussage des Zeugen R und der eigenen Einschätzung der Klägerin gewonnen, nach der dem Verbraucher das Bewußtsein fehle, " ... neu" als Ersatz für " ... alt" zu genießen. Auch hat die Klägerin mit ihrer Beschwerde die Feststellung der Vorinstanz nicht angegriffen, in der späteren Werbung sei jeder Hinweis auf eine Änderung des Produktes oder des Herstellungsverfahrens unterblieben. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hatte das FG keinen Anlaß zu der Annahme, daß eine weitere Sachverhaltsermittlung erforderlich sei, die nur durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hätte erfolgen können.
4. Soweit die Klägerin dem FG mangelnde Sachkunde in bezug auf den zu beurteilenden Sachverhalt unterstellt, ist dieser Vortrag unsubstantiiert. Insbesondere hat die Klägerin nicht substantiiert dargelegt, aus welchen Ausführungen des FG auf dessen mangelnde Sachkunde geschlossen werden könnte (vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 28. April 1989 III B 84--85/88, BFH/NV 1990, 124).
5. Soweit sich die Klägerin dagegen wendet, das FG habe die Aussage des Zeugen R unberücksichtigt gelassen, daß der gewählten Flaschenart aus Marketinggesichtspunkten kein besonderer Stellenwert zukomme, rügt die Klägerin im Kern ihres Vorbringens, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt, und damit einen Verstoß gegen § 96 FGO. Die Rüge ist jedoch unzulässig, da die Klägerin nicht dargelegt hat, daß die nicht berücksichtigte Aussage auch aus der Sicht des FG entscheidungserheblich war (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 120 Anm. 39). Aus der Sicht der Vorinstanz kam es auf die Vorstellungen und Absichten der Klägerin gar nicht an. Entscheidend für die Einstufung des Produkts als bierähnliches Getränk i. S. der ersten Alternative von § 21 Abs. 1 BierStG war für das FG die sich aus den objektiven Umständen erschließende Willensrichtung -- und nicht der "innere" Wille -- der Klägerin. Die aus den festgestellten Umständen gezogene Schlußfolgerung, daß die Klägerin " ... neu" als Ersatz für Bier in den Handel gebracht hat, gibt in diesem Zusammenhang keinen Anlaß zur Beanstandung.
Da die Klägerin somit keine durchgreifende Verfahrensrüge gegen das Urteil der Vorinstanz vorgebracht hat, ist die Feststellung des FG, das streitbefangene Getränk sei von der Klägerin als Ersatz für Bier in den Handel gebracht worden, nicht zu beanstanden. Da sie das erstinstanzliche Urteil für sich allein trägt, ist ein Eingehen auf die vorgebrachten Verfahrensrügen hinsichtlich der zweiten Alternative von § 21 Abs. 1 BierStG entbehrlich.
6. Soweit die Klägerin ihre Beschwerde auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache stützt, ist das Rechtsmittel unzu lässig. Die Klägerin hat die grundsätzliche Bedeutung einer für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage nicht ausreichend i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist einer Rechtsfrage dann grundsätzliche Bedeutung beizumessen, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das allgemeine Interesse an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dabei muß es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln (BFH-Beschlüsse vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625, und vom 14. Juni 1995 II B 5/95, BFH/NV 1996, 141). Diese grundsätzliche Bedeutung muß gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Beschwerdeschrift dargelegt werden. Dabei ist auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung einzugehen (vgl. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479).
b) Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen der Klägerin nicht. Die Klägerin hat nicht einmal ausgeführt, welcher Rechtsfrage zum BierStG 1986 grundsätzliche Bedeutung zukommen soll.
Auch hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Einholung eines Sachverständigengutachtens -- generell -- an gezeigt ist, wird eine grundsätzliche Be deutung nicht substantiiert dargelegt. Die Behauptung, die Finanzrechtsprechung habe diese Frage noch nicht entschieden, und der pauschale Hinweis auf eine Vielzahl von -- nicht näher bezeichneten -- Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts genügen den Anforderungen an die Darlegungspflicht des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 421943 |
BFH/NV 1997, 553 |