Leitsatz (amtlich)
Über Voraussetzungen für ein Ersuchen des Finanzamts an das Amtsgericht um Abnahme des Offenbarungseides.
Normenkette
AO § 325
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt durch Schreiben vom 24. Mai 1954 das Amtsgericht zu Recht ersucht hat, dem Beschwerdeführer (Bf.) den Offenbarungseid abzunehmen.
Der Bf. schuldet nach den Feststellungen des Finanzgerichts für die Jahre 1951 bis 1954 u. a. Steuern im Betrage von etwa 6 400 DM. Nachdem Vollstreckungsmaßnahmen nicht zu einem angesichts der Höhe der Steuerrückstände in Betracht kommenden Erfolg geführt hatten, bat das Finanzamt den Bf. am 9. Oktober 1953, ein vordruckmäßiges Vermögensverzeichnis ausgefüllt zurückzureichen. Am 10. Dezember 1953 forderte das Finanzamt den Bf. erneut auf, bis zum 4. Januar 1954 das Vermögensverzeichnis persönlich an Amtsstelle vorzulegen; das Schreiben enthielt gleichzeitig den Hinweis, daß der Bf. bei Nichteinhaltung der Frist zum Offenbarungseid vorgeladen werden müßte. Das Vermögensverzeichnis wurde am 5. Januar 1954 schriftlich eingereicht. Mit Schreiben vom 1. März 1954 verlangte das Finanzamt eine Ergänzung des Verzeichnisses bis zum 15. März 1954; das Finanzamt behielt sich zugleich erneut vor, dem Bf. zum Beweise der Richtigkeit seiner Angaben den Offenbarungseid abzunehmen. Am 24. März 1954 bat der Bf. das Finanzamt noch um einige Tage Geduld, da er zu der vom Finanzamt gewünschten Beantwortung von Fragen noch einige Unterlagen benötige; er sei vom Vertrauensarzt immer noch krank geschrieben.
Durch das -- den Gegenstand dieses Rechtsmittelverfahrens bildende -- Schreiben vom 24. Mai 1954 ersuchte das Finanzamt das Amtsgericht, dem Bf. den Offenbarungseid abzunehmen.
Am 21. Juni 1954 ging das ergänzte Vermögensverzeichnis beim Finanzamt ein. Der Bf. bat, den Antrag an das Amtsgericht auf Abnahme des Offenbarungseides zurückzuziehen. Das Finanzamt, das die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bf. u. a. im Hinblick auf die unentgeltliche Übertragung seines Geschäfts an Frau S. als ungeklärt ansah, bestand auf der Leistung des Offenbarungseides vor dem Amtsgericht.
Der Bf. legte zunächst beim Finanzamt, später bei der Oberfinanzdirektion und schließlich -- nach entsprechender Rechtsmittelbelehrung -- Beschwerde gemäß § 18 c der Verordnung Nr. 175 der britischen Militärregierung (Steuer- und Zollblatt 1948 S. 291 ff.) beim Finanzgericht gegen das Verlangen des Finanzamts auf Abnahme des Offenbarungseides durch das Amtsgericht ein. In dieser Beschwerde wandte der Bf. sich u. a. gegen die von ihm für 1951 bis 1953 anerkannten Steuerschulden; er machte ferner geltend, das Ersuchen des Finanzamts an das Amtsgericht um Abnahme des Offenbarungseides sei im Hinblick auf seine Krankheit und deshalb unbillig, weil sein ergänztes Vermögensverzeichnis Klarheit über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gebe.
Das Finanzgericht hat die Beschwerde als fristgerecht eingelegt angesehen, sie jedoch als unbegründet zurückgewiesen. Die Vorinstanz hat in dem Verlangen des Finanzamts auf Ableistung des Offenbarungseides durch den Bf. keine Ermessensverletzung erblickt. Das Finanzgericht hat u. a. weiter ausgeführt: Der Bf. sei nicht bereit gewesen, den Offenbarungseid vor dem Finanzamt zu leisten, was sich daraus ergebe, daß der Bf. der Verfügung vom 1. März 1954 betreffend Ergänzung des Vermögensverzeichnisses (zunächst) nicht entsprochen habe; das Finanzamt habe sich deshalb mit dem Ersuchen um Abnahme des Offenbarungseides an das Amtsgericht wenden müssen.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde ist zwar verspätet eingegangen; der Senat hat jedoch antragsgemäß Nachsicht wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist gewährt, weil der Bf. infolge einer durch ärztliches Attest nachgewiesenen schweren Erkrankung verhindert war, die Frist einzuhalten (§§ 86, 87 der Reichsabgabenordnung -- AO --). Auch in sachlicher Hinsicht ist der nach § 4 Ziff. 1 des Gesetzes über den Bundesfinanzhof (BFHG) zulässigen Rechtsbeschwerde der Erfolg nicht zu versagen.
Mit Recht ist allerdings das Finanzgericht davon ausgegangen, daß mit Rücksicht auf § 327 Abs. 1 AO grundsätzlich Einwendungen gegen die Entstehung der zu vollstreckenden Steueransprüche außerhalb des Vollstrekkungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsmitteln zu verfolgen sind. Es kann im Streitfalle dahingestellt bleiben, ob dieser Grundsatz auch im Offenbarungseidverfahren stets und ohne Einschränkung gilt, oder ob es nicht unter Berücksichtigung der einschneidenden Wirkung des Offenbarungseides unter Umständen als Ermessensmißbrauch anzusehen wäre, wenn ein Finanzamt einen Vollstreckungsschuldner ohne Rücksicht auf etwaige Zweifel am Bestande bzw. an der Höhe der beizutreibenden Forderungen zum Offenbarungseid bringen würde. Denn im Streitfalle konnte das Finanzgericht ohne Rechtsirrtum die Feststellung treffen, daß der Bf. für die Jahre 1951 bis 1954 allein an Steuern (ohne Säumniszuschläge und Kosten) den Betrag von rund 6400 DM schuldete, die sich im wesentlichen aus unanfechtbar gewordenen Berichtigungsveranlagungen ergeben hatten. Es bedeutete keinen Ermessensmißbrauch, wenn das Finanzamt wegen der bezeichneten Steuerrückstände, deretwegen Vollstreckungsversuche in das bewegliche Vermögen des Bf. im wesentlichen erfolglos geblieben waren, gemäß § 325 Abs. 2 AO von dem Bf. die Vorlegung eines Vermögensverzeichnisses forderte, zumal weitere Vollstreckungsmaßnahmen aussichtslos erschienen. Es stellte auch keine Ermessensverletzung dar, wenn das Finanzamt die Ergänzung des unvollständigen Vermögensverzeichnisses verlangte und androhte, gegebenenfalls den Bf. zum Offenbarungseid vorzuladen. Es war -- auch nach der Ergänzung des Vermögensverzeichnisses -- keineswegs die Möglichkeit von der Hand zu weisen, daß der Bf. Vermögensgegenstände verborgen hielt; die Geschäftsübertragung an die Frau S. konnte nach den Gesamtumständen sehr wohl für eine solche Möglichkeit sprechen. Das Verlangen des Finanzamts, daß der Bf. den Offenbarungseid leisten sollte bzw. soll, war und ist daher an sich nach § 325 Abs. 2 AO gerechtfertigt und stellt keine Verletzung der für die Ausübung des Ermessens maßgebenden Grundsätze von Recht und Billigkeit dar.
Gleichwohl kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Denn § 325 Abs. 3 Satz 1 AO bestimmt, daß das Finanzamt den Offenbarungseid selbst abzunehmen hat, wenn der Beschwerdeführer zu dessen Leistung bereit ist; andernfalls ersucht es das Amtsgericht um die Abnahme des Eides. Die Verwaltungsbestimmung des § 76 Abs. 1 der Beitreibungsordnung vom 23. Juni 1923 (Reichsministerialblatt 1923 S. 595 ff.) legt die Rechtsvorschrift des § 325 Abs. 3 Satz 1 AO zutreffend dahin aus: "Wenn der Vollstreckungsschuldner ohne ausreichende Entschuldigung in dem zur Leistung des Offenbarungseides anberaumten Termine (. . .) vor dem Finanzamt nicht erscheint, oder wenn er die Vorlegung des Vermögensverzeichnisses oder die Leistung des Offenbarungseides verweigert, so hat das Finanzamt (. . .) Entschließung darüber zu fassen, ob das Amtsgericht um Abnahme des Offenbarungseides ersucht werden soll." Wenn das Finanzgericht aus dem Umstand, daß der Bf. zunächst das Schreiben des Finanzamts vom 1. März 1954 wegen Ergänzung des Vermögensverzeichnisses nicht befolgt hat, die Schlußfolgerung zieht; der Bf. sei nicht bereit gewesen, es zu ergänzen und den Offenbarungseid vor dem Finanzamt zu leisten, so kann der Senat darin der Vorentscheidung nicht zustimmen. Einmal hat der Bf. später die Ergänzung vorgenommen, zum anderen ist auch die erwiesene Krankheit des Bf. in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt worden, die für sein Verhalten ursächlich gewesen sein kann.
Da das Finanzamt vor dem Ersuchen an das Amtsgericht vom 24. Mai 1954 um Abnahme des Offenbarungseides den Bf. überhaupt nicht zur Leistung des Offenbarungseides vor dem Finanzamt aufgefordert hat, ist nach den Gesamtumständen nicht ausreichend dargetan, daß der Bf. zur Leistung des Eides vor dem Finanzamt nicht bereit war. Es erscheint daher auch nicht angängig, daß das Finanzgericht aus seinem späteren Verhalten während des finanzgerichtlichen Verfahrens Rückschlüsse dahin zieht, der Bf. sei von Anfang an nicht zur Eidesleistung vor dem Finanzamt bereit gewesen.
Außerdem sind die Vorschriften des § 19d Abs. 2 und 6 der Zwangsvollstreckungs-Verordnung vom 26. Mai 1933 Reichsgesetzblatt -- RGBl -- 1933 I S. 302, 308) in der Fassung vom 24. Oktober 1934 (BGBl 1934 I S. 1070) nicht berücksichtigt worden, die nach Art. 5 Nr. 6 des Gesetzes über Maßnahmen auf dem Gebiete der Zwangsvollstrekkung vom 20. August 1953 (Bundesgesetzblatt -- BGBl -- 1953 I S. 952, 964) für den Bereich des Verwaltungszwangsverfahrens auch jetzt noch fortgelten. Danach muß im Interesse des Vollstreckungsschuldners und der Einschränkung von vermeidbaren Eidesleistungen die Ladung zur Eidesleistung einen Hinweis auf die im § 19d a. a. O. vorgesehene grundsätzliche Möglichkeit enthalten, die Leistung des Offenbarungseides durch Abgabe einer Versicherung abzuwenden, daß der Vollstreckungsschuldner nach bestem Gewissen sein Vermögen so vollständig angegeben habe, als er dazu imstande sei. Der Bf. ist im Streitfall niemals zur Leistung des Offenbarungseides vor dem Finanzamt geladen worden; er ist deshalb auch nicht auf die Vorschriften des § 19d Abs. 2, 6 der erwähnten Verordnung hingewiesen worden. Das hätte aber geschehen müssen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Bf. die Versicherung nach § 19d a. a. O. abgegeben hätte.
Wenn ein Finanzamt einem Steuerpflichtigen -- entgegen § 19d der bezeichneten Verordnung -- nicht die Gelegenheit zur Abgabe der gekennzeichneten Versicherung vor dem Finanzamt gibt, sondern sogleich -- ohne daß der Bf. die Leistung des Offenbarungseides vor dem Finanzamt verweigert hat -- bei dem Amtsgericht Antrag auf Abnahme des Offenbarungseides stellt, so nimmt es dem Steuerpflichtigen die rechtliche Möglichkeit, die Versicherung nach § 19d a. a. O. abzugeben; denn im Vollstreckungsverfahren vor den Zivilgerichten gilt § 19d der genannten Verordnung nicht mehr. Der Bf. ist daher durch die Nichtbeachtung des § 19d Abs. 2 und 6 a. a. O. im Streitfalle in seinen Rechten verletzt. Dabei ist es unerheblich, daß das Finanzamt auch im Falle der Abgabe der erwähnten Versicherung gegebenenfalls auf der Leistung des Offenbarungseides bestehen kann, wenn es das ohne Ermessensverletzung zur Herbeiführung einer wahrheitsgemäßen Aussage für notwendig hält.
Nach alledem waren die Vorentscheidung und die Verfügung des Finanzamts vom 24. Mai 1954 wegen Rechtsirrtums aufzuheben. Das Finanzamt hat nunmehr den Antrag an das Amtsgericht, dem Bf. den Offenbarungseid abzunehmen, zurückzuziehen.
Fundstellen
Haufe-Index 408493 |
BStBl III 1956, 228 |
BFHE 1957, 81 |