Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtberücksichtigung des Akteninhalts als Verfahrensmangel
Leitsatz (NV)
- Geht das FG bei seiner Entscheidung davon aus, die Veranlagungsstelle habe den Betriebsprüfungsbericht ausgewertet und den Eingabewertbogen für die Steuerfestsetzung ausgefüllt, obwohl dies nach dem Akteninhalt der Innendienst der Amtsbetriebsprüfungsstelle getan hat, verstößt es gegen die Verpflichtung, seiner Entscheidung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen.
- Das Urteil kann auf diesem Mangel beruhen, wenn das FG die Voraussetzungen für eine Berichtigung der Steuerfestsetzung wegen offenbarer Unrichtigkeit deshalb verneint, weil die Veranlagungsstelle möglicherweise aus rechtlichen Erwägungen von dem Betriebsprüfungsbericht abgewichen sei. Da die Amtsbetriebsprüfungsstelle gegenüber dem Prüfer weisungsgebunden ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das FG bei Zugrundelegen des zutreffenden Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Normenkette
AO 1977 § 129; FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6
Gründe
Von der Wiedergabe des Sachverhalts wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 FGO zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht (FG).
Es liegt ein vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt ―FA―) geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Das FG hat unter Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO angenommen, der Betriebsprüfungsbericht sei durch die Veranlagungsstelle des FA ausgewertet worden (S. 4 des Urteils letzter Satz), tatsächlich wurde er aber ―wie vom FA vor dem FG vorgetragen― vom Innendienst der Amtsbetriebsprüfungsstelle ausgewertet. Diese Tatsache ist aus den Betriebsprüfungshandakten (Laufzettel im Innendeckel und Bl. 219) und dem in den Einkommensteuerakten befindlichen Eingabewertbogen klar ersichtlich. Das angefochtene Urteil kann auch hierauf beruhen, weil das FG bei Zugrundelegung des zutreffenden Sachverhalts möglicherweise eine Berichtigung des Einkommensteuerbescheids für 1989 wegen offenbarer Unrichtigkeit für zulässig erachtet hätte.
Nach § 129 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Sinne dieser Vorschrift müssen einem Schreib- oder Rechenfehler ähnlich sein, d.h., es muss sich um mechanische Fehler handeln, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können. Besteht die bloße Möglichkeit eines Rechtsirrtums, Denkfehlers oder unvollständiger Sachaufklärung, liegt ein mechanisches Versehen dagegen nicht vor. Die Entscheidung, ob eine offenbare Unrichtigkeit in diesem Sinne gegeben ist, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls, vor allem nach der Aktenlage zu treffen. Offenbare Unrichtigkeiten können sich auch aus Übertragungsfehlern infolge unbeabsichtigt unrichtigen Ausfüllens eines Eingabewertbogens ergeben (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 15. März 1994 XI R 78/92, BFH/NV 1995, 937, und vom 5. Februar 1998 IV R 17/97, BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535, jeweils m.w.N.). Für eine Berichtigung nach § 129 AO 1977 ist nicht erforderlich, dass die Unrichtigkeit aus dem Bescheid selbst ersichtlich ist. Offenbar ist eine Unrichtigkeit vielmehr immer dann, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit zu erkennen ist (BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 937, m.w.N.).
Das FG hat eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977 verneint, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Veranlagungsstelle bei der Auswertung des Betriebsprüfungsberichts aus rechtlichen Gründen von der Empfehlung des Betriebsprüfers abgewichen sei, den Einkommensteuerbescheid 1989 unter den Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen.
Da der Innendienst der Amtsbetriebsprüfung ―anders als die Veranlagungsstelle― mit dem Ausfüllen des Eingabewertbogens lediglich die Anweisungen des Prüfers umsetzt, hätte das FG möglicherweise eine offenbare Unrichtigkeit angenommen, wenn es vom zutreffenden Sachverhalt ausgegangen wäre.
Fundstellen
Haufe-Index 968317 |
BFH/NV 2003, 1343 |