Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde; grundsätzliche Bedeutung; notwendige Beiladung; ungenügende Sachverhaltsaufklärung
Leitsatz (NV)
- Zu den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.
- Ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit, das eine notwendige Beiladung erforderlich machen würde, ist nicht gegeben, wenn es im Rahmen der Milch-Garantiemengenregelung darum geht, ob der Kläger tatsächlich eine bestimmte Mehrmenge an Milch geliefert hat, davon aber die Rechtsverhältnisse desjenigen, der beigeladen werden soll, nicht betroffen werden.
- Der Verfahrensfehler einer ungenügenden Sachverhaltsaufklärung ist nur dann ausreichend bezeichnet, wenn angegeben ist, welche Beweisanträge das Gericht übergangen hat oder die Erhebung welcher Beweise sich ihm auch, ohne dass sie beantragt wurde, hätte aufdrängen müssen.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3, § 73 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Milcherzeuger. Er belieferte in dem hier streitigen Zeitraum 1985 bis 1989 die Molkerei (M). Nach dem Ergebnis der im Jahr 1990 aufgenommenen Ermittlungen des Zollfahndungsamtes hatte ein Angestellter der M im o.g. Zeitraum zum Ausgleich von Überlieferungen Manipulationen zu Gunsten von Milcherzeugern, u.a. des Klägers, vorgenommen. Für den Kläger ergaben sich folgende Feststellungen:
Im November 1988 hatte er seine Anlieferungs-Referenzmenge Milch (ARM) bereits überschritten. Für ihn wurden deshalb in den Folgemonaten bis März 1989 keine Milchlieferungen mehr verbucht, obwohl in Anbetracht vorgenommener Inhaltsstoffuntersuchungen darauf zu schließen war, dass er in diesen Monaten an die M geliefert hatte. In einer an den Kläger gerichteten Entscheidung vom 21. Dezember 1988 hatte der Milchkontrollverband im Kontrolljahr 1987/1988 die für die Herde des Klägers ermittelten Leistungsdaten ersatzlos gestrichen. U.a. war bemängelt worden, dass die Milchlieferungen 1988 um etwa 40 % unter dem vom Kontrollverband ermittelten Herdendurchschnitt lagen. Der Kläger hatte an dieser Stelle handschriftlich vermerkt, dass … kg über andere Abnehmer mit offenen Quoten an M geliefert worden seien. Diese Mengen seien als sog. "Abendmilch" jeweils am späten Abend für gesonderte Verarbeitung und gesonderte Verrechnung abgeholt worden.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt ―HZA―) rechnete diese Menge von "Abendmilch" für die Zwölfmonatszeiträume 1987/1988 und 1988/1989 zu den Milchlieferungen des Klägers hinzu und setzte gegen den Kläger wegen der dadurch entstandenen Überschreitungen der ARM eine Milch-Garantiemengenabgabe in Höhe von … DM fest (Teil II des Abgabenbescheides vom 24. August 1990, geändert durch Änderungsbescheid vom 20. März 1991 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8. Dezember 1994 und des Änderungsbescheides vom 1. März 1999). In Teil III des genannten Bescheides setzte das HZA für den Zwölfmonatszeitraum 1988/1989 außerdem eine Milch-Garantiemengenabgabe in Höhe von … DM gegen den Kläger fest, wobei es geänderte Milchgeldabrechnungen der M für die Monate Dezember 1988 und Januar bis März 1989 zugrunde legte.
Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt den angefochtenen Bescheid in Gestalt des Änderungsbescheides vom 1. März 1999 für rechtmäßig und führte im Einzelnen aus: Der Milcherzeuger habe gemäß § 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 der Milch-Garantiemengenverordnung vom 25. Mai 1984 (BGBl I, 720, mit späteren Änderungen) für die Milch, die er über seine ARM hinaus liefert, die Milch-Garantiemengenabgabe zu zahlen. Das HZA sei in Teil II seines Abgabenbescheides zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger in den Zwölfmonatszeiträumen 1987/1988 und 1988/1989 die Menge von … kg Milch über seine ARM hinaus an M geliefert habe. Außerdem sei auch nicht zu beanstanden, dass das HZA in Teil III des angefochtenen Bescheides als Lieferung des Klägers in den Monaten Dezember 1988 bis März 1989 weitere … kg Milch berücksichtige.
Seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stützt der Kläger auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf verschiedene Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde kann keinen Erfolg haben, weil die grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend dargelegt ist und die geltend gemachten Verfahrensmängel entweder nicht ausreichend bezeichnet sind oder nicht vorliegen.
1. Der Kläger meint, dass in diesem Fall die Voraussetzungen bzw. die Abgrenzungskriterien für eine unzulässige Sachverhaltsschätzung gegenüber einer zulässigen Quantitätsschätzung ebenso ungeklärt geblieben seien wie die Frage, ob überhaupt ein Schätzungsfall vorliege. Daher seien sie von grundsätzlicher Bedeutung.
Mit seinen Ausführungen hat der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 115 Abs. 1 Nr. 1 FGO) nicht hinreichend dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Abgesehen davon, dass der Kläger in seiner Beschwerdeschrift keine Rechtsfrage konkret formuliert hat, deren Klärung er für grundsätzlich bedeutsam hält, begründet er auch nicht, weshalb der Sache über den Einzelfall hinaus im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts grundsätzliche Bedeutung zukommen soll.
2. Der vom Kläger gerügte Verfahrensfehler der unterlassenen notwendigen Beiladung der Tochter des Klägers zum Verfahren liegt nicht vor, weil die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung der Tochter des Klägers nach § 60 Abs. 3 FGO, die ggf. durch Verbindung der Verfahren des Klägers und des durch dessen Tochter anhängig gemachten Verfahrens zu ersetzen gewesen wäre (§ 73 Abs. 2 FGO), nicht gegeben sind.
Die Beiladung ist nur dann i.S. von § 60 Abs. 3 FGO notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das ist dann der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt, insbesondere also in Fällen, in denen das, was einen Prozessbeteiligten begünstigt oder benachteiligt, notwendigerweise umgekehrt den Dritten benachteiligen oder begünstigen muss (vgl. Urteile des Bundesfinanzhof ―BFH― vom 27. Februar 1969 IV R 263/66, BFHE 95, 148, BStBl II 1969, 343, und vom 19. April 1988 VII R 56/87, BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789; Senatsbeschlüsse vom 29. Januar 1980 VII B 34/79, BFHE 129, 536, BStBl II 1980, 303; vom 15. Mai 1997 VII B 5/97, BFH/NV 1997, 867, sowie vom 11. Januar 1994 VII B 100/93, BFHE 173, 207, BStBl II 1994, 405). Ein solches Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit ist im Streitfall nicht gegeben, weil die Entscheidung hinsichtlich des vom Kläger angefochtenen Bescheids über die Milch-Garantiemengenabgabe nicht unmittelbar in Rechtsverhältnisse der Tochter eingreift oder diese gestaltet. Im Streitfall geht es nämlich nicht einmal darum, ob der Kläger oder dessen Tochter Erzeuger der in Rede stehenden Mehrmengen an Milch war (so im Verfahren …), sondern allein darum, ob der Kläger tatsächlich die Mehrmenge geliefert hat, für die das HZA in Teil II und III seines Abgabenbescheids die Milch-Garantiemengenabgabe berechnet hat. Von einer Entscheidung darüber sind die Rechtsverhältnisse der Tochter in keiner Weise betroffen.
3. Weiter rügt der Kläger als Verfahrensfehler, dass das Urteil in sich widersprüchlich sei. Die Grundlagen der Urteilsfindung seien nicht nachvollziehbar. Das sei im Ergebnis auf eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung zurückzuführen, die die vom Gericht durchgeführte Schätzung in keiner Weise begründe. Mit seinen diesbezüglichen Ausführungen hat der Kläger jedoch den Verfahrensfehler ungenügender Sachverhaltsaufklärung (§ 76 FGO) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet. Dazu wäre es u.a. erforderlich gewesen, genau anzugeben, welche Beweisanträge das FG übergangen hat oder die Erhebung welcher Beweise sich ihm, auch ohne dass sie beantragt wurde, hätte aufdrängen müssen. Dazu trägt der Kläger indes nichts vor. Soweit er rügt, das Urteil sei in sich widersprüchlich, nicht nachvollziehbar oder eine Schätzung sei nicht zulässig gewesen, wird damit kein Verfahrensfehler, sondern werden nur materielle Fehler gerügt, die nicht zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO führen können. Soweit damit das Fehlen von Urteilsgründen gerügt werden sollte, könnte dieser Grund nur nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO im Wege einer zulassungsfreien Revision geltend gemacht werden; für eine auf diesen Grund gestützte Nichtzulassungsbeschwerde würde daher das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.
Im Übrigen hat das FG, soweit die Menge von … kg in Rede steht, gar keine Schätzung vorgenommen, sondern hat lediglich die aus den Akten bekannten Umstände gewürdigt, die den handschriftlichen Vermerk des Klägers auf dem Bescheid des Kontrollverbandes über die Lieferung einer solchen Menge an M bestätigen. Dabei hat es sich hinsichtlich der möglichen Milchleistung der Kühe nicht allein auf eigenen Sachverstand, sondern auf weitere Umstände, u.a. die Aussage des Klägers in einem anderen Verfahren gestützt. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die mögliche Milchleistung der Kühe, das der Kläger vermisst, musste sich daher dem Gericht nicht aufdrängen.
Das FG hat lediglich erkannt, dass die vom HZA im Schätzungswege vorgenommene Aufteilung der Gesamtmenge von … kg auf die beiden in Rede stehenden Zwölfmonatszeiträume nicht zu beanstanden sei. Insoweit ist der Beschwerdeschrift keine Verfahrensrüge zu entnehmen.
4. Der Kläger wirft dem FG ferner eine Verletzung seines Rechts auf Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) vor, weil ihm zu der vom Gericht durchgeführten Schätzung kein rechtliches Gehör gewährt worden sei. Es kann dahinstehen, ob der Kläger insoweit einen Verfahrensfehler ausreichend bezeichnet hat (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Er liegt jedenfalls nicht vor, weil das FG, wie zuvor schon in Bezug auf die Überlieferung der … kg ausgeführt, selbst gar keine Schätzung vorgenommen hat. Dies gilt auch in Bezug auf die ermittelte Überlieferung mit … kg in den Monaten Dezember 1988 bis März 1989. Insoweit hat das FG lediglich ausgeführt, dass dieses Ergebnis im Rahmen der notwendigen Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nicht zu beanstanden sei. Es hat damit nur die Feststellungen des HZA bestätigt, zu denen der Kläger im Laufe des Verfahrens ausführlich Stellung nehmen konnte.
5. a) Nach Meinung des Klägers hat das FG den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verletzt und eine ausreichende Sachverhaltserforschung unterlassen. So habe sich das FG hinsichtlich des Teils II des angefochtenen Abgabenbescheids im Wesentlichen auf einen vom Kläger gefertigten Vermerk gestützt, ohne weitere Ermittlungen hierzu zu tätigen. Dies sei angesichts der Quotenmanipulationen, die während der in Rede stehenden Zeit bei M stattgefunden hätten, unverständlich. Viel hilfreicher wäre es gewesen, wenn das FG den Zeugen G, auf dessen Aussagen es seine Urteilsbegründung auch stütze, persönlich in diesem Verfahren gehört hätte. Außerdem hätte das FG seine Entscheidung nicht mit angeblichen Widersprüchen des Klägers begründen dürfen und dafür auf die "anders lautende, in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung" (S. 6, 2. Absatz Mitte des Urteils) Bezug nehmen dürfen.
Den insoweit gerügten Verfahrensfehler der Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme hat der Kläger nicht hinreichend bezeichnet. Da die Beteiligten auf die Unmittelbarkeit der Beweiserhebung verzichten können, hätte der Kläger gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung vortragen müssen, weshalb er die Verletzung dieses Grundsatzes dadurch, dass mögliche Zeugen nicht persönlich im Verfahren vernommen wurden, nicht bereits bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gerügt hat bzw. rügen konnte (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 120 Rz. 38).
Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht darin, dass sich das FG auf die "anders lautende, in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung" des Klägers gestützt hat, obwohl eine solche Behauptung nicht im Protokoll über die mündliche Verhandlung wiedergegeben ist. Das FG hat die betreffende Behauptung im Sachverhaltsteil seiner Entscheidung wiedergegeben (S. 4 Mitte des Urteils). Sie ist damit festgestellt. Der Kläger hätte sich dagegen nur im Wege eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung wenden können (§ 108 FGO).
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang eine unzureichende Sachverhaltserforschung rügt, gilt das oben unter Nr. 3 Abs. 1 Ausgeführte sinngemäß.
b) Zu Teil III des angefochtenen Abgabenbescheides rügt der Kläger die Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, weil sich das FG für die zugrunde gelegte Überlieferung von … kg durch den Kläger auf nicht hinreichend beweiskräftige Beweismittel stütze. Zur Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gilt das zuvor unter Nr. 5 Buchst. a Ausgeführte entsprechend. Soweit der Kläger mit seinen Ausführungen weiter geltend machen möchte, dass das FG die verwendeten Beweismittel nicht zutreffend gewürdigt habe, liegt darin kein Verfahrens-, sondern ein materieller Fehler.
6. Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.
Fundstellen