Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage an den EuGH: Vorsteuerabzug bei fehlgeschlagener Unternehmensgründung, wenn das FA bei erstmaliger Steuerfestsetzung hiervon Kenntnis hat, Begrenzung des Verzichts auf Steuerbefreiung einer Grundstückslieferung auf die Gebäude
Leitsatz (amtlich)
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29. Februar 1996 Rs. C-110/94, INZO) können selbst die ersten Investitionsausgaben, die für die Zwecke eines Unternehmens getätigt werden, als wirtschaftliche Tätigkeit i.S. des Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG angesehen werden. Die Steuerbehörde hat die in diesem Zusammenhang erklärte Absicht des Unternehmers zu berücksichtigen. Die danach zuerkannte Eigenschaft als Steuerpflichtiger kann grundsätzlich nicht wegen Eintritts oder Nichteintritts bestimmter Ereignisse nachträglich aberkannt werden (Grundsatz der Rechtssicherheit). Das gilt auch für den Vorsteuerabzug aus den Investitionsmaßnahmen.
Ist nach diesen Grundsätzen das Recht auf Vorsteuerabzug (Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG) aus sog. Gründungsinvestitionen auch dann aufgrund der Absicht, zu steuerbaren Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen, zuzusprechen, wenn der Finanzbehörde bereits bei der erstmaligen Steuerfestsetzung bekannt ist, daß die beabsichtigte, zu steuerbaren Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeit tatsächlich nicht aufgenommen wurde?
Falls Frage 1 zu bejahen ist:
2. Kann bei Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden die Option zur Besteuerung auf die Gebäude/Gebäudeteile begrenzt werden?
Normenkette
EGVtr Art. 177 (jetzt Art. 234 EG); EWGRL 388/77 Art. 13 Teil C S. 1 Buchst. b, Art. 17, 4; UStG 1980 § 1 Abs. 1, §§ 15, 2 Abs. 1, § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 9
Tatbestand
I. Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) meldete zum Februar 1990 bei der für sie zuständigen Gemeinde einen Gewerbebetrieb "Verkauf und Reparatur von Kraftfahrzeugen" an. Am 9. Februar 1990 erwarb sie für 62 670 DM (umsatzsteuerfrei) ein unbebautes Grundstück, das als Betriebsstätte für die angemeldete Tätigkeit dienen sollte. Bereits 1989 hatte sich die Klägerin bei dem Automobilhersteller A um einen Händlervertrag beworben, der ihr mit Schreiben vom 14. April 1989 unter bestimmten Voraussetzungen in Aussicht gestellt wurde.
Im April 1990 beauftragte die Klägerin einen Bauunternehmer (B GmbH) mit der Errichtung einer Kfz-Werkstatt auf dem Grundstück. Die Erdarbeiten begannen noch im selben Monat. Bis Mitte Mai 1990 waren die Erdarbeiten beendet, die Fundamente erstellt und die Sohle zum Teil fertiggestellt. Aufgrund der Arbeiten waren Zahlungen in Höhe von 173 655,50 DM fällig.
Das Gesamtvolumen der Baumaßnahmen war in der Planungsphase mit 1 400 000 DM angenommen worden. Als sich eine voraussichtliche Steigerung um 230 000 DM ergab, war die Bank nicht bereit, diese Mehrkosten zu finanzieren. Sie wies die Klägerin darauf hin, daß sie (der Klägerin zugesagte) Gelder aus öffentlichen Finanzierungshilfen nicht werde auszahlen dürfen, solange die Finanzierung nicht gesichert sei. Mit Schreiben vom 19. Juni 1990 wurde eine Darlehenszusage aus dem Eigenkapitalhilfeprogramm gegenüber der Klägerin widerrufen. Das Bauunternehmen stellte aufgrund der unklaren Finanzierungssituation am 22. Mai 1990 die Bauarbeiten ein.
Da die Klägerin sich nicht mehr in der Lage sah, das Grundstück vollständig zu bebauen und den Geschäftsbetrieb aufzunehmen, verpflichtete sie sich durch Vergleich vom 22. November 1990, an das Bauunternehmen für dessen Leistungen insgesamt 100 000 DM zu zahlen und die bereits errichteten Baulichkeiten auf D zu einem Kaufpreis (brutto) von 50 000 DM (43 859,65 DM zuzüglich 6 140,35 DM ausgewiesener Umsatzsteuer) zu übertragen. Ferner übertrug sie D vereinbarungsgemäß am 21. Dezember 1990 das Grundstück für 61 905 DM (ohne Umsatzsteuerausweis).
Die Klägerin erklärte für 1990 (Jahreserklärung) als steuerpflichtige Umsätze die Veräußerung der Gebäudeteile (Bemessungsgrundlage: 43 859 DM). Als abziehbare Vorsteuerbeträge machte sie 13 900,11 DM (aus Notar-, Steuerberatungs- sowie Bauabrechnungen) geltend. Daraus ergab sich ein Überschuß zu ihren Gunsten von 7 759,90 DM. In Voranmeldungen hatte sie die Vorsteuerbeträge nicht geltend gemacht.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte zunächst im Steuerbescheid für 1990 vom 15. Juli 1992 abziehbare Vorsteuerbeträge nur in Höhe von 95,20 DM. Das FA begründete dies mit der Verwendung der zugrundeliegenden Leistungen zur Ausführung der steuerfreien Grundstücksveräußerung. Die Steuer wurde in Höhe von 6 045 DM festgesetzt.
Mit der Einspruchsentscheidung erhöhte das FA die Umsatzsteuerfestsetzung 1990 auf 6 140,35 DM. Es ging jetzt davon aus, daß die Klägerin mangels nachhaltiger Umsätze nicht Unternehmerin geworden und damit auch nicht vorsteuerabzugsberechtigt sei. Sie schulde aber die in der Rechnung an D vom 27. Dezember 1990 offen ausgewiesene Steuer.
Die Klage hatte überwiegend Erfolg. Unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 29. Februar 1996 Rs. C-110/94 (INZO, Slg. 1996, I-857, BStBl II 1996, 655) ging das Finanzgericht (FG) von unternehmerischer Tätigkeit schon aufgrund der Vorbereitungshandlungen der Klägerin aus. Die Vorsteuerbeträge aus den Baurechnungen ließ das FG gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG) zum Abzug zu mit der Begründung, die Klägerin habe die erhaltenen Bauleistungen steuerpflichtig an D weitergeliefert. Denn sie habe auf die Steuerfreiheit der Lieferung des Betriebsgrundstücks insoweit --begrenzt auf den abgrenzbaren Teil der errichteten Baulichkeiten (Erdarbeiten, Fundamente und Sohlenplatte)-- verzichten können. Der Vorsteuerabzug sei nur aus der Notarrechnung zu versagen, die das Grundstücksgeschäft betreffe.
Das FA rügt mit der --vom FG zugelassenen-- Revision Verletzung von § 9 Abs. 1 UStG.
Es führt aus: Das Gesetz lasse den auf die Gebäude begrenzten Verzicht auf Steuerbefreiung der Grundstückslieferung nicht zu. Wenn die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Urteil vom 26. Juni 1996 XI R 43/90, BFHE 181, 191, BStBl II 1997, 98) aufgrund der EuGH-Rechtsprechung die Begrenzung des Verzichts auf Steuerbefreiungen nach § 9 UStG auf bestimmte Gebäudeteile für zulässig halte, betreffe das eine Aufteilung nach räumlichen Gesichtspunkten, "wie es auch bei der Bildung von Teileigentum der Fall wäre". Dabei wäre aber das Sondereigentum an den Räumen mit dem Miteigentumsanteil am gemeinschaftlichen Eigentum verbunden. Die Veräußerung eines Gebäudeteils enthalte immer eine Veräußerung eines damit verbundenen Grundstücksanteils. Die gleiche Beurteilung ergebe sich aus Art. 13 Teil C Satz 1 i.V.m. Teil B Buchst. g der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), der von Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörenden Grund und Boden spreche. Hiernach sei keine getrennte Option in bezug auf Gebäude und Grund und Boden möglich.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
Der Streitfall wirft im Rahmen des Vorsteuerabzugs Fragen zur Unternehmereigenschaft der Klägerin und --falls Unternehmereigenschaft anzunehmen ist-- zum Verzicht auf Steuerbefreiung der Lieferung eines (bereits teilweise) bebauten Grundstücks auf. Im Hinblick auf richtlinienkonforme Anwendung des deutschen Umsatzsteuerrechts und Zweifel über die geltenden gemeinschaftlichen Grundsätze hält der Senat eine Vorlage an den EuGH für geboten (vgl. III).
II. Rechtslage nach nationalem Recht
1. Nach § 15 Abs. 1 UStG kann der Unternehmer als Vorsteuerbeträge u.a. abziehen: die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.Für den Vorsteuerabzug gilt der Grundsatz des "Sofortabzugs" (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Februar 1985 Rs. 268/83, Rompelman, Slg. 1985, 655, Umsatzsteuer-Rundschau 1985, 199), d.h., der Vorsteuerabzug ist bereits in dem Besteuerungs- bzw. Voranmeldungszeitraum zu gewähren, in dem der Leistungsempfänger die Rechnung mit gesondertem Ausweis der Steuer erhalten hat, sofern die übrigen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG erfüllt sind. Fehlt noch die (tatsächliche) Umsatztätigkeit --wie bei Unternehmensgründungen--, ist (zunächst) auf die beabsichtigte Tätigkeit abzustellen. Sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift stehen insoweit für die endgültige Besteuerung unter dem Vorbehalt ihres tatsächlichen Vorliegens.
Das gilt nach bisheriger Rechtsprechung des BFH (bis zum EuGH-Urteil vom 29. Februar 1996 Rs. C-110/94, INZO) auch für die Voraussetzung gemäß § 15 Abs. 1 UStG, daß nur ein Unternehmer abzugsberechtigt ist. Unternehmer im Sinn der Vorschrift ist nach § 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen. Darunter ist die Ausführung von Leistungen gegen Entgelt (vgl. § 1 Abs. 1 UStG) zu verstehen. Diese Umsatztätigkeit muß tatsächlich vorliegen. Führt der Leistungsempfänger keinen Umsatz aus, erfüllt er die Voraussetzungen der Unternehmereigenschaft nicht. Je nach den Umständen kann bei sog. fehlgeschlagenen Investitionen bzw. Unternehmensgründungen nach der Rechtsprechung des Senats die spätere Veräußerung der Investitionsgegenstände (z.B. Grundstück, Planungsmaßnahmen) die Annahme unternehmerischer Tätigkeit rechtfertigen (BFH-Urteil vom 30. November 1989 V R 85/84, BFHE 159, 272, BStBl II 1990, 345).Bei der Prüfung der sog. verwendungsbezogenen Voraussetzungen nach § 15 Abs. 2 UStG ist entsprechend vorzugehen. Nach dieser Vorschrift ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, wenn die bezogene Leistung zur Ausführung steuerfreier Umsätze (mit Ausnahmen) verwendet wird. Auch insoweit kommt es auf die tatsächliche Ausführung der Umsätze an. Liegen diese noch nicht vor, ist (zunächst) auf die beabsichtigten Umsätze abzustellen.Diese Steuerfestsetzungen sind jedoch --wie bereits dargelegt-- nicht materiell abschließend, sondern vorläufig unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 15 UStG. Solche Festsetzungen können nach nationalem Verfahrensrecht (gemäß § 164 Abs. 2, § 165 Abs. 2 oder § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO 1977--) aufgehoben oder geändert werden, soweit dies aufgrund der dann vorliegenden tatsächlichen Umstände erforderlich sein sollte (vgl. BFH-Urteile vom 6. Mai 1993 V R 45/88, BFHE 171, 138, BStBl II 1993, 564, und in BFHE 159, 272, BStBl II 1990, 345, jeweils m. Nachw.).
2. Verzicht auf die Steuerbefreiung der Grundstückslieferung (Gebäude und dazugehörender Grund und Boden)
Nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG sind steuerfrei: die Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) fallen. Das sind insbesondere Umsätze mit unbebauten und bebauten Grundstücken. Nach § 2 Abs. 1 GrEStG sind "unter Grundstücken im Sinne dieses Gesetzes ... Grundstücke im Sinne des bürgerlichen Rechts zu verstehen". Nach § 94 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gehören zu den wesentlichen Bestandteilen eines Grundstücks die mit dem Grund und Boden fest verbundenen Sachen, insbesondere Gebäude. Nach § 93 BGB können die wesentlichen Bestandteile nicht Gegenstand besonderer Rechte sein. Gebäude teilen somit regelmäßig das rechtliche Schicksal des Grundstücks. Nach den Feststellungen im Streitfall liegt nicht der Ausnahmefall vor, daß die Klägerin das Gebäude "nur zu einem vorübergehenden Zweck" oder berechtigterweise auf einem "fremden Grundstück" errichtet hätte. Nur dann wäre das Gebäude gemäß § 95 BGB nicht Bestandteil des Grundstücks gewesen.
Nach § 9 Abs. 1 UStG kann der Unternehmer einen Umsatz, der nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln (die weiteren Voraussetzungen des § 9 UStG sind hier nicht von Interesse).
Die generelle Verweisung auf den nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfreien Umsatz spricht dafür, daß das Gesetz diesen Verzicht auf Steuerbefreiung "ungeteilt" und nicht auf Gebäude begrenzbar vorsieht.
Die bisherige Rechtsprechung des BFH ergibt dazu nichts Abweichendes (zur EuGH-Rechtsprechung s. zu III.).
Soweit nach dem BFH-Urteil in BFHE 181, 191, BStBl II 1997, 98, bei Veräußerung eines Grundstücks der Verzicht auf die Steuerbefreiung auf einen abgrenzbaren Teil beschränkt werden kann, ging es nicht um die Aufteilung zwischen Grund und Boden einerseits und dem Gebäude andererseits. Gegenstand der Lieferung zu einem Gesamtkaufpreis war das gesamte bebaute Grundstück. In dem Gebäude waren die Geschosse unterschiedlich genutzt (verschiedene Verpachtungen). Nur hinsichtlich des einen gesondert verpachteten Geschosses war die umsatzsteuerrechtlich unterschiedliche Behandlung beantragt (und vom BFH grundsätzlich gebilligt) worden. Dazu heißt es in dem Urteil: "Eine Teiloption kommt insbesondere bei unterschiedlichen Nutzungsarten, wie im Streitfall, in Betracht. Unter Zugrundelegung unterschiedlicher wirtschaftlicher Funktionen hält der Senat auch eine Aufteilung nach räumlichen Gesichtspunkten (nicht dagegen eine bloße quotale Aufteilung) für möglich, wie es auch bei der Bildung von Teileigentum der Fall wäre."
Diese Rechtfertigung der "Teiloption" bei unterschiedlich genutzten Gebäudeteilen mit dem Hinweis auf die entsprechenden Rechtsfolgen bei tatsächlich durchgeführter Bildung von Teileigentum zeigt, daß nicht an die Trennung von Grundstück und Gebäude für umsatzsteuerrechtliche Zwecke gedacht war.
III. Zur Anrufung des EuGH
Die Fragen des Streitfalls berühren das Gemeinschaftsrecht. Der Senat legt daher gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft dem EuGH Fragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vor, die im Streitfall entscheidungserheblich sind.
1. Eigenschaft als Steuerpflichtiger, wenn die beabsichtigte Tätigkeit nicht zu steuerbaren Umsätzen führt
Zum Recht auf Vorsteuerabzug auf Investitionen, wenn die beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit nicht zu besteuerten Umsätzen führt, enthält das Urteil des EuGH vom 29. Februar 1996 Rs. C-110/94, INZO, folgende Grundsätze:
In Rdnr. 17 wird gefolgert, "daß selbst die ersten Investitionsausgaben, die für die Zwecke eines Unternehmens getätigt werden, als wirtschaftliche Tätigkeiten im Sinne des Artikels 4 der Richtlinie angesehen werden können und daß die Steuerbehörde in diesem Zusammenhang die erklärte Absicht des Unternehmens zu berücksichtigen hat", ferner (Rdnr. 19) daß die für eine solche Investitionsausgabe entrichtete Mehrwertsteuer grundsätzlich nach Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG abgezogen werden kann.
Nach Rdnr. 21 "verbietet nämlich der Grundsatz der Rechtssicherheit, daß die von der Steuerbehörde festgestellten Rechte und Pflichten der Steuerpflichtigen von Tatsachen, Umständen oder Ereignissen abhängen können, die nachträglich eingetreten sind. Hat die Behörde also aufgrund der ihr von einem Unternehmen übermittelten Angaben festgestellt, daß diesem die Eigenschaft als Steuerpflichtiger zuzuerkennen sei, so kann ihm diese Stellung ab diesem Zeitpunkt grundsätzlich nicht wegen des Eintritts oder Nichteintritts bestimmter Ereignisse nachträglich aberkannt werden".Für den Senat ist daraus nicht zweifelsfrei zu entnehmen,
- ob nur in den Fällen, in denen die Finanzbehörde die Eigenschaft als vorsteuerabzugsberechtigter Steuerpflichtiger bereits in einem Steuerbescheid --aufgrund der erklärten Absichten des "Unternehmers", steuerbare Umsätze ausführen zu wollen-- anerkannt hatte (so offenbar im Entscheidungsfall INZO), nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit daran festzuhalten ist, obwohl sich nachträglich ergibt, daß die Absichten nicht verwirklicht werden,
- ob die Finanzbehörde in jedem Fall die (objektivierte) Absicht, zu steuerbaren Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen, der Besteuerung zugrunde legen muß, also auch dann, wenn schon bei erstmaliger Befassung mit dem Steuerfall aufgrund der bereits vorhandenen tatsächlichen Umstände feststeht, daß die beabsichtigte Umsatztätigkeit nicht realisiert wird.
So war im hier vorgelegten Streitfall für das FA bei der erstmaligen Steuerfestsetzung (mit anschließendem Einspruchsverfahren) ersichtlich, daß die Klägerin die im Jahr 1990 zunächst beabsichtigte wirtschaftliche Tätigkeit aufgrund der im selben Jahr eingetretenen Umstände nicht durchführte. Es fehlt eine vorherige Zuerkennung der Rechtsstellung als vorsteuerabzugsberechtigter Steuerpflichtiger durch das FA, die aus Gründen der Rechtssicherheit nicht nachträglich beseitigt werden darf.
Außerdem könnte sich bei der letztgenannten Alternative die Frage stellen, ob "objektive Nachweise für die erklärte Absicht ..., zu steuerbaren Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen" (INZO, Rdnr. 23), zu verlangen sind, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Recht auf Vorsteuerabzug bereits feststeht, daß beabsichtigte steuerbare Umsätze tatsächlich nicht ausgeführt werden. Die Finanzverwaltung müßte in diesem Fall bloße "Absichtsgebilde" steuerlich als Unternehmen führen und ggf. im Berichtigungsverfahren (Art. 20 der Richtlinie 77/388/EWG) --mit entsprechenden Steuerausfällen-- abwickeln.
Aus dieser Sicht könnte im Streitfall in Betracht kommen, daß das FA --in seiner Einspruchsentscheidung-- zutreffend die Unternehmereigenschaft wegen Nichteintritts der beabsichtigten besteuerten Umsätze und damit den Vorsteuerabzug versagt hat.Liegt der Schwerpunkt der Grundsätze des Falles INZO hingegen darin, daß bereits die ersten Investitionsausgaben endgültig als wirtschaftliche Tätigkeit i.S. des Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG anzusehen sind und die Eigenschaft als Steuerpflichtiger begründen, so war die Klägerin bereits mit den ersten Investitionsmaßnahmen (Bauaufträge) ab April 1990 zum Zweck der Errichtung eines Kfz-Betriebs Steuerpflichtige i.S. von Art. 4 und 17 der Richtlinie 77/388/EWG. Als solche hatte sie grundsätzlich Anspruch auf Vorsteuerabzug aus den Baurechnungen. Dann stellt sich die Frage, ob die Veräußerung des Grundstücks mit den begonnenen Baumaßnahmen noch 1990 als Lieferung eines Investitionsguts innerhalb des Berichtigungszeitraums zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs unter den in Art. 20 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Voraussetzungen führen kann. Gemäß der nach Art. 20 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG zulässigen Vereinfachungsregelung in § 15a Abs. 5 UStG kann die Berichtigung des Vorsteuerabzugs auch bei Veräußerung des Wirtschaftsguts (Investitionsguts) im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung durchgeführt werden.
Ob die Klägerin wirksam auf die Steuerbefreiung der Lieferung durch die Veräußerung des bebauten Grundstücks verzichtet hat und damit nicht unter die Berichtigungsvoraussetzungen fällt, richtet sich nach der Beantwortung der Fragen zu 2.
2. Option zur Besteuerung der Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden
Soweit ersichtlich, behandeln die Richtlinie 77/388/EWG und die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH Gebäude oder Gebäudeteile und den dazugehörigen Grund und Boden als einheitlichen Gegenstand einer Lieferung. Dieser einheitliche Gegenstand der Lieferung kann aber hinsichtlich der Zuordnung zum Unternehmen "aufgeteilt" werden.
So führte der EuGH im Urteil vom 4. Oktober 1995 Rs. C-291/92 (Armbrecht, Slg. 1995, I-2775, BStBl II 1996, 392) aus, daß die Beurteilung der Lieferung eines Gegenstands als steuerbaren Umsatz nicht von der zivilrechtlichen Seite der Lieferung abhänge. Er ließ daher zu, daß der Steuerpflichtige bei Verkauf (Lieferung) eines bebauten Grundstücks, das nach deutschem Zivilrecht ein einziger Gegenstand ist, nur den unternehmerisch genutzten Teil als steuerbaren (und durch Option steuerpflichtigen) Umsatz behandelte, nicht hingegen den privat genutzten Teil. Nach Rdnr. 21 des Urteils --unter Bezugnahme auf Nr. 50 der Schlußanträge des Generalanwalts (vgl. Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1995, 273)-- ist die Aufteilung zwischen dem von Steuerpflichtigen unternehmerisch und dem von ihm privat genutzten Teil auf der Grundlage des unternehmerischen und des privaten Nutzungsanteils im Erwerbsjahr --also nach dem Verhältnis-- und nicht auf der Grundlage der räumlichen Aufteilung vorzunehmen. Hintergrund dieser Beurteilung sind die Erwägungen, daß die Aufteilung bzw. Zuordnung der privaten und unternehmerischen Nutzung eines Gebäudes (bebauten Grundstücks) "auf der Grundlage einer festgelegten geographischen Aufteilung" bei Wechsel der Raumnutzung zur Doppelbesteuerung führen kann.
Der Streitfall betrifft indessen andere Fragen der Mehrbelastung mit Umsatzsteuer, die sich aus einer einheitlichen Beurteilung von Grund und Boden mit darauf errichteten Gebäuden ergeben können.
Die Klägerin hatte das unbebaute Grundstück umsatzsteuerfrei erworben. Aufgrund der (begonnenen) Bebauung waren --bei einheitlicher Behandlung-- mit Umsatzsteuer belastete Bauleistungen in das Grundstück eingegangen.
Ist die Veräußerung des Grundstücks als insgesamt steuerfrei zu behandeln, könnte gemäß Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG auch hinsichtlich der Bauleistungen kein Vorsteuerabzugsrecht bestehen. Denn dann fehlt es an der Verwendung für Zwecke besteuerter Umsätze.
Ist der Verzicht auf die Steuerbefreiung der Veräußerung nur einheitlich für das bebaute Grundstück möglich, erhält die Klägerin zwar den Vorsteuerabzug auf die Bauleistungen. Sie wird andererseits mit Umsatzsteuer auf die Bemessungsgrundlage der Lieferung insgesamt belastet, obwohl sie keine Umsatzsteuer bei Erwerb des unbebauten Grundstücks abziehen konnte.
Die Richtlinie 77/388/EWG regelt die einschlägige Steuerbefreiung und die Möglichkeit, darauf zu verzichten, wie folgt:
Nach Art. 13 Teil C Satz 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG können die Mitgliedstaaten ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, bei den (steuerfreien) Umsätzen nach Teil B Buchst. g für eine Besteuerung zu optieren. Nach der zuletzt genannten Bestimmung sind die Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme der in Art. 4 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG bezeichneten Gegenstände, steuerfrei. Diese Bestimmung betrifft "die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt. Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten der Anwendung dieses Kriteriums auf Umbauten von Gebäuden und den Begriff 'dazugehöriger Grund und Boden' festlegen".
Die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) hat für das Umsatzsteuerrecht weder Einzelheiten der Anwendung festgelegt noch die Lieferung solcher bebauten Grundstücke von der Steuerbefreiung ausgenommen. Auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG kann verzichtet werden. Dies beruht auf der übergangsweisen (noch bestehenden) Befugnis der Mitgliedstaaten nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG, den Steuerpflichtigen die Möglichkeit einzuräumen, für die Besteuerung der nach Anhang G befreiten Umsätze zu optieren. Nach Anhang G Nr. 1 Buchst. b kann das Optionsrecht bei den unter Anhang F fallenden Umsätzen eingeräumt werden. Unter Anhang F Nr. 16 fallen Lieferungen der in Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG bezeichneten Gebäude und Grundstücke. Da diese Lieferungen in der Bundesrepublik "vorübergehend weiterhin von der Steuer befreit sind", kann dafür das Optionsrecht nach Anhang G eingeräumt werden.
Diese Regel- und Ausnahmebestimmungen der Richtlinie 77/388/EWG ergeben aber nichts zur Frage, ob die Option zur Steuerpflicht eines bebauten Grundstücks auf das Gebäude begrenzt werden kann.
Ferner können nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG die Mitgliedstaaten (innerhalb der noch bestehenden Übergangszeit nach Abs. 4) "vorsehen, daß bei der Lieferung von Gebäuden und Baugrundstücken, die ein Steuerpflichtiger, der anläßlich des Erwerbs kein Recht auf Vorsteuerabzug besessen hat, zum Zweck des Wiederverkaufs erworben hat, die Besteuerungsgrundlage in dem Unterschied zwischen dem Verkaufspreis und dem Ankaufspreis besteht". Mit dieser Ermittlung der Besteuerungsgrundlage könnte zwar in Fällen der vorliegenden Art das von der Klägerin angestrebte Ergebnis erreicht werden. Auch bei Erfassung des gesamten Umsatzgegenstands "bebautes Grundstück" von der Option zur Steuerpflicht entstünde Steuer nur auf die mit Vorsteuerabzugsrecht bezogenen Bauleistungen. Die Klägerin erfüllt aber nicht die Voraussetzung, das Grundstück "zum Zwecke des Wiederverkaufs erworben" zu haben. Sie war bei Erwerb nicht als Grundstücks-Wiederverkäufer tätig.
Damit ist gemeinschaftsrechtlich nicht eindeutig bejahend oder verneinend geregelt, ob die Option zur Steuerpflicht einer Lieferung von Grundstück mit (teilweise ausgeführter) Bebauung auf die Bauteile begrenzt werden kann.
Der Senat hält im Streitfall folgende Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts für entscheidungserheblich:
1. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29. Februar 1996 Rs. C-110/94, INZO) können selbst die ersten Investitionsausgaben, die für die Zwecke eines Unternehmens getätigt werden, als wirtschaftliche Tätigkeit i.S. des Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG angesehen werden. Die Steuerbehörde hat die in diesem Zusammenhang erklärte Absicht des Unternehmers zu berücksichtigen. Die danach zuerkannte Eigenschaft als Steuerpflichtiger kann grundsätzlich nicht wegen Eintritts oder Nichteintritts bestimmter Ereignisse nachträglich aberkannt werden (Grundsatz der Rechtssicherheit). Das gilt auch für den Vorsteuerabzug aus den Investitionsmaßnahmen.
Ist nach diesen Grundsätzen das Recht auf Vorsteuerabzug (Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG) aus sog. Gründungsinvestitionen auch dann aufgrund der Absicht, zu steuerbaren Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeiten aufzunehmen, zuzusprechen, wenn der Finanzbehörde bereits bei der erstmaligen Steuerfestsetzung bekannt ist, daß die beabsichtigte, zu steuerbaren Umsätzen führende wirtschaftliche Tätigkeit tatsächlich nicht aufgenommen wurde?
Falls Frage 1 zu bejahen ist:
2. Kann bei Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden die Option zur Besteuerung auf die Gebäude/Gebäudeteile begrenzt werden?
Fundstellen
BFH/NV 1999, 428 |
BFHE 186, 465 |
BFHE 1999, 475 |
BB 1998, 2513 |
BB 1998, 2513 (Leitsatz) |
DB 1998, 2575 |
DStR 1998, 1870 |
DStR 1998, 1870-1873 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1998, 973 |
HFR 1999, 114 |
StE 1998, 758-759 (Leitsatz) |
UR 1999, 26 |
LEXinform-Nr. 0550014 |
IStR 1999, 21 |
StSem 1999 |
stak 1999 |