Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für Antrag auf Vollziehungsaufhebung
Leitsatz (NV)
Für einen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung fehlt grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Finanzbehörde einen bestrittenen Gegenanspruch wegen Rückforderung von Ausfuhrerstattungen gegen einen unstreitigen Ausfuhrerstattungsanspruch aufgerechnet hat und Aufhebung der Vollziehung des Rückforderungsbescheides begehrt wird. Die Frage, ob die Aufrechnung der Gegenforderung als Vollziehung des Rückforderungsbescheides anzusehen ist, stellt sich in diesem Zusammenhang nicht.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, 2; MOG § 34 Abs. 1; BGB § 389
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt -- HZA --), der der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) Ausfuhrerstattungen für die Ausfuhr von Zuchtrindern bzw. Zuchtfärsen gewährt hatte, gelangte nach einer Überprüfung zu der Auffassung, daß Erstattungen zu Unrecht gewährt worden seien, und nahm die Erstattungsbescheide insoweit zurück, mit der an die Antragstellerin gerichteten Aufforderung, die entsprechenden Beträge zu zahlen. Über die Einsprüche der Antragstellerin ist noch nicht entschieden worden. Die von der Antragstellerin beantragte Aussetzung der Vollziehung wurde vom HZA abgelehnt. Darauf begehrte die Antragstellerin die Aufhebung der Vollziehung durch das Finanzgericht (FG). Während des gerichtlichen Verfahrens rechnete das HZA seine Forderungen gegen der Antragstellerin zustehende Ausfuhrerstattungsansprüche auf. Das FG entsprach den bei ihm gestellten Anträgen und hob die Vollziehung der angefochtenen Bescheide gegen Sicherheitsleistung auf, wobei es zur Zulässigkeit der Rechtsschutzbegehren ausführte, dieser ständen die vom HZA erklärten Aufrechnungen gegen die Ausfuhrerstattungsansprüche der Antragstellerin nicht entgegen. Die Aufrechnung einer streitigen Gegenforderung gegen eine unstreitige Hauptforderung stelle sich im Rahmen des Aussetzungsverfahrens als Vollziehung der angefochtenen Änderungs- und Rückforderungsbescheide dar, die durch Aufhebung rückgängig gemacht werden könne (gegen Bundesfinanzhof -- BFH --, Urteil vom 17. September 1987 VII R 50 -- 51/86, BFHE 151, 304, 310 f., BStBl II 1988, 366). Wegen der Begründung im einzelnen wird auf die insoweit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 732 veröffentlichte Vorentscheidung (Beschluß vom 14. April 1994 IV 332/93 H) verwiesen.
Mit den vom FG zugelassenen Beschwerden trägt das HZA im wesentlichen vor, die angefochtenen Beschlüsse könnten der Antragstellerin zwar nicht zu dem von ihr erwarteten Erfolg verhelfen (Auszahlung der aufgerechneten Ausfuhrerstattungsbeträge), doch sei ein Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerden gleichwohl gegeben. Die Vorentscheidungen ständen im Widerspruch zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, nach der eine Aufrechnung -- auch von Forderungen, die auf einem in der Vollziehung ausgesetzten Verwaltungsakt beruhen -- keine Vollziehung sei. Auch bei freiwilliger Zahlung könne diese nicht selbst, sondern nur ihre Annahme durch die Verwaltung als (hoheitliche) Vollziehung gewertet werden.
Die Antragstellerin meint, der Inhaber einer unstreitigen Forderung gegen die Behörde dürfe hinsichtlich des vorläufigen Rechtsschutzes nicht schlechter gestellt werden als ein sonst Betroffener.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerden, über die gemeinsam entschieden wird (vgl. § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), sind zulässig und begründet. Sie führen zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Ablehnung der Anträge.
Die Beschwerden sind zulässig (vgl. auch § 128 Abs. 3 FGO). Das HZA ist durch die Vorentscheidungen beschwert; das gilt unabhängig davon, welche Wirkungen sie etwa zugunsten der Antragstellerin äußern.
Begründet sind die Beschwerden, weil das FG den Anträgen auf Aufhebung der Vollziehung der angefochtenen Erstattungsbescheide (§ 69 Abs. 3 FGO; vgl. auch § 34 Abs. 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen; BFHE 151, 304, 309, BStBl II 1988, 366 -- Rückforderung von Währungsausgleichsbeträgen) zu Unrecht stattgegeben hat. Diesen Anträgen war nicht zu entsprechen, weil das erforderliche allgemeine Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin nicht mehr vorlag, nachdem das HZA die auf die angefochtenen Bescheide gestützten Forderungen gegen Ansprüche der Antragstellerin auf Gewährung von Ausfuhrerstattungen aufgerechnet und damit klar zum Ausdruck gebracht hatte, daß eine -- weitere -- Durchsetzung dieser (Gegen-)Forderungen nicht stattfinden werde. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Aufrechnung derartiger Gegenforderungen als Vollziehung der zugrundeliegenden Bescheide i. S. von § 69 FGO darstellt (verneinend BFHE 151, 304, 310, BStBl II 1988, 366; zur Möglichkeit der Aufrechnung entsprechender Gegenforderungen auch Senat, Beschlüsse vom 26. Februar 1991 VII B 151/90, BFH/NV 1992, 86, und vom 11. Mai 1993 VII B 191/92, BFH/NV 1994, 218). Selbst wenn dies mit den Vorentscheidungen (vgl. auch die Anmerkung in EFG-Beilage 9/1994 Nr. 2) zu bejahen wäre, ließe sich ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aussetzung /Aufhebung der Vollziehung der betreffenden Bescheide nicht geltend machen. Grundsätzlich fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Finanzbehörde eine bestrittene Gegenforderung gegen einen -- unstreitigen -- Erstattungsanspruch aufgerechnet hat und Aussetzung /Aufhebung der Vollziehung des Bescheides beantragt wird, auf dem die Gegenforderung beruht (vgl. Gräber /Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 69 Anm. 58; im Ergebnis ebenso BFH, Beschluß vom 14. März 1990 I S 5/89, BFH/NV 1991, 172). Der Betroffene braucht in einem solchen Falle nicht zu befürchten, wegen der Gegenforderung in Anspruch genommen zu werden. Die Gegenforderung steht der Hauptforderung gegenüber. Ob die Aufrechnung zum Erlöschen (auch) der Hauptforderung geführt hat (vgl. § 389 des Bürgerlichen Gesetzbuches), ist im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. In ihm geht es allein um vorläufigen Rechtsschutz gegen die angefochtenen Bescheide (Rückforderung von Ausfuhrerstattungen). Das Rechtsschutzziel ist erreicht. Der vorläufige Rechtsschutz kann nicht umfassender sein als derjenige im Hauptsacheverfahren ("Identität der Rechtsschutzbegehren"; vgl. Gräber /Koch, a. a. O., Anm. 25).
Das vorstehende Ergebnis wird durch den von der Antragstellerin vorgetragenen Gesichtspunkt nicht in Frage gestellt. Wenn ein Betroffener, dem keine Forderung gegen die Behörde zusteht, die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung eines gegen ihn gerichteten Rückforderungsbescheides erwirken kann, so bedeutet dies, daß er vorläufig von der Zahlung entbunden bzw. ihm ein "freiwillig" geleisteter Betrag wieder ausgefolgt wird. Die Antragstellerin als Gläubigerin von Forderungen gegen das HZA ist nicht schlechter gestellt. Auch sie wird von der Zahlung der zurückgeforderten Beträge verschont. Die nachteilige Folge eines (etwaigen) Erlöschens der Hauptforderungen aufgrund der vom HZA erklärten Aufrechnung ist für dieses Verfahren ohne Bedeutung.
Fundstellen
Haufe-Index 420278 |
BFH/NV 1995, 244 |