Entscheidungsstichwort (Thema)
Mangelnde Vertretung in der mündlichen Verhandlung; Unterlassung einer gebotenen Verfahrensaussetzung
Leitsatz (NV)
1. Waren die Beteiligten ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen und dort vertreten, ist es nicht möglich, die mündliche Verhandlung etwa deshalb als nicht geschehen und die Beteiligten als nicht vertreten anzusehen, weil das FA im Beistand eines Steuerberaters erschienen ist.
2. Eine an sich gebotene Aussetzung des Verfahrens stellt keinen schweren Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO dar.
Normenkette
FGO §§ 74, 90 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 1 Nr. 3
Tatbestand
In der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 1992 vor dem Finanzgericht (FG) in der Gewinnfeststellungssache 1981 und 1982 der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erschienen für den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) ein Bediensteter des FA im Beistand eines ehemaligen Außenprüfers, des früheren Steueramtsrats Sch. Dieser hatte als Prüfer die Außenprüfung bei der Klägerin durchgeführt und ist jetzt als Steuerberater selbständig tätig. Die Klägerin hielt die Mitwirkung des Sch als Beistand des FA für unzulässig.
Das FG lehnte es durch den in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluß ab, den Steuerberater Sch als Beistand des FA zurückzuweisen. Zur Begründung führte es an, § 62 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebe auch dem FA das Recht, sich eines Beistandes zu bedienen. Das gelte auch ausdrücklich für Steuerberater. Eine Ausnahme davon liege hier nicht vor, insbesondere sei nicht anzunehmen, daß sich das FA nicht des früheren, in dieser streitigen Sache tätigen Außenprüfers bedienen dürfe. Darauf wurde die Sach- und Rechtslage des Klageverfahrens mit den Beteiligten erörtert. Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Das Urteil wurde den Beteiligten zugestellt. - Die Revision ließ das FG nicht zu.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das FG hätte das Urteil zum damaligen Zeitpunkt nicht erlassen dürfen, sondern hätte das Verfahren analog § 74 FGO so lange aussetzen müssen, bis der Bundesfinanzhof (BFH) über die eingelegte Beschwerde über die Zulassung des Steuerberaters Sch als Beistand des FA entschieden hätte. Die Aussetzung des Klageverfahrens wäre wegen der Vorgreiflichkeit dieser Entscheidung zwingend notwendig gewesen. Denn wenn die Beteiligung des Steuerberaters Sch auf seiten des FA unzulässig gewesen wäre, dann könnte daraus folgen, daß die Durchführung der mündlichen Verhandlung fehlerhaft gewesen sei und die Ergebnisse nicht verwertet werden dürften. In letzter Konsequenz bedeute das, daß eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden habe. Durch die Verkündung des Urteils habe das FG den eröffneten Rechtsweg der Beschwerde abgeschnitten.
Die eingelegte Revision sei gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO zulassungsfrei; der gerügte Verstoß gegen § 90 Abs. 1 und 2 FGO stelle sich als wesentlicher Mangel des Verfahrens dar.
Das FA trägt vor, die Rüge der mangelnden Vertretung sei nicht schlüssig gerügt. Die Umbewertung der tatsächlich stattgefundenen mündlichen Verhandlung in eine nicht stattgefundene sei nicht möglich. Im übrigen greife § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO nicht. § 74 FGO hindere das FG keineswegs, vor Rechtskraft der Zwischenentscheidung ein Sachurteil zu erlassen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig. Die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Revision sind im Streitfall nicht gegeben.
1. Die geltend gemachte Rüge fehlender Vertretung (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO) hat keinen Erfolg. Die Beteiligten des Verfahrens waren ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 18. Juni 1992 geladen worden und dort auch vertreten. Für die Klägerin und deren Prozeßbevollmächtigte war ihr jetziger Prozeßbevollmächtigter erschienen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung haben sich die Beteiligten auch zur Sach- und Rechtslage geäußert und ihre Anträge zur Sache gestellt. Auch aus tatsächlichen Gründen waren die Beteiligten nicht gehindert, ihre Belange in der mündlichen Verhandlung wahrzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Dezember 1971 VIII R 13/67, BFHE 104, 491, BStBl II 1972, 424 und BFH-Beschluß vom 21. März 1990 IV R 64/89, BFH/NV 1990, 724). Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es daher auch nicht möglich, die Durchführung der mündlichen Verhandlung als nicht geschehen und damit als einen Verstoß gegen § 90 Abs. 1 sowie 2 FGO und dementsprechend als Verfahrensfehler i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO anzusehen. Die Beteiligten haben zudem nicht einmal beantragt, den Termin zu vertagen.
2. Im übrigen stellt es keinen schweren Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO dar, wenn das FG eine an sich gebotene Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO) unterläßt. Sollte das FG dadurch tatsächlich einen Verfahrensfehler begangen haben, daß es nicht erst die Entscheidung des BFH im Beschwerdeverfahren gegen die Zulassung des Steuerberaters Sch als Beistand des beklagten FA abgewartet hat, dann wäre dies allenfalls ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, den die Klägerin mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hätte geltend machen müssen (BFH-Beschlüsse vom 9. Oktober 1991 II B 56/91, BFHE 165, 185, BStBl II 1992, 930 und vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123). Im übrigen hat die Klägerin nicht einmal beantragt, das Verfahren auszusetzen. Auch hat der erkennende Senat durch Beschluß vom heutigen Tage entschieden, daß das FG den als Beistand des FA aufgetretenen Steuerberater Sch zu Recht nicht zurückgewiesen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 419181 |
BFH/NV 1994, 716 |