Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Bindung an geltend gemachten Zulassungsgrund bei Vorliegen eines Verfahrensmangels; Nachweis der Vollmacht unter Setzung einer Ausschlussfrist; Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens
Leitsatz (NV)
- Es besteht keine Bindung an einen von dem Beschwerdeführer geltend gemachten Zulassungsgrund, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz gestützt wird, der dargestellte Sachverhalt jedoch das Vorliegen eines Verfahrensmangels ergibt.
- Das Gericht darf nach der Neufassung des § 62 Abs. 3 FGO durch das 2. FGOÄndG bei dem Auftreten einer Person i.S. des § 3 Nr. 1 bis 3 StBerG als Bevollmächtigter den Nachweis der Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht unter Setzung einer Ausschlussfrist nur noch bei begründeten Zweifeln an der Bevollmächtigung verlangen (Fortführung des BFH-Urteils vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BFH/NV 2003, 1004).
- Zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens kann ein bestimmter Klageantrag ausreichen, wenn sich der Sachverhalt, um den gestritten wird, in groben Zügen aus der Einspruchsentscheidung ergibt.
Normenkette
FGO § 62 Abs. 3 Sätze 3, 6, § 65 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, Abs. 6
Tatbestand
I. Die Bevollmächtigte des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft. Sie erhob "namens und in Vollmacht" des Klägers beim Finanzgericht (FG) Klage gegen "den Steuerbescheid vom 16. 05. 2001 … in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 05. 12. 2001". Mit Verfügung vom 19. Februar 2002 forderte der Vorsitzende des FG-Senats die Bevollmächtigte des Klägers auf, eine Vollmacht im Original vorzulegen und den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Hierfür wurde jeweils eine Ausschlussfrist von einem Monat nach Zustellung der Verfügung (am 21. Februar 2002) gesetzt. Die Vollmacht ging erst am 30. April 2002 im Original beim FG ein.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab, weil die Bevollmächtigte des Klägers innerhalb der Ausschlussfrist keine Vollmacht vorgelegt habe. Die Vorlage einer Vollmacht sei eine Sachentscheidungsvoraussetzung. Aus dem von der Klägerin genannten Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. November 1988 I R 168/84 (BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514) ergebe sich nichts anderes. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sei die Vollmacht nicht mit einer Ausschlussfrist angefordert worden.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers, mit der er geltend macht, die Vorentscheidung weiche von dem BFH-Urteil in BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514 ab.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Beschwerde ist zulässig. Der Kläger hat, wie es für die Darlegung einer Divergenzrüge nach § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderlich ist, abstrakte Rechtssätze aus dem BFH-Urteil in BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514 und dem FG-Urteil gegenübergestellt (hierzu etwa: Senatsbeschluss vom 7. August 2002 VII B 214/01, BFH/NV 2002, 1606, 1607).
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
a) In der Sache liegt jedoch keine Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) vor, wenn auch das FG in seinem Urteil zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass in dem Fall, der Gegenstand des BFH-Urteils in BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514 war, keine Ausschlussfrist für die Vorlage einer Vollmacht gesetzt worden sei. Das BFH-Urteil in BFHE 156, 1, BStBl II 1989, 514 bezieht sich nur auf die nachträgliche Genehmigung der Prozessführung eines vollmachtlosen Vertreters, wobei dort innerhalb der Ausschlussfrist eine Vollmacht vorgelegt worden war. Dies ist im Streitfall anders. Die Bevollmächtigte des Klägers hat erst nach Ablauf der ihr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO gesetzten Ausschlussfrist die Vollmacht vorgelegt. Es ist geklärt, dass die Vorlage einer Vollmacht erst nach Ablauf einer gemäß § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO gesetzten Ausschlussfrist nicht zu einer Heilung führen kann (vgl. BFH-Urteile vom 2. August 1994 IX R 102/91, BFH/NV 1995, 534, 535; vom 9. Juni 1999 I R 23/98, BFH/NV 2000, 51, 52).
b) Gleichwohl beruht das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO, der zu seiner Aufhebung führt. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger seine Beschwerde auf einen anderen Zulassungsgrund gestützt hat.
Es ist anerkannt, dass keine Bindung an einen von dem Beschwerdeführer geltend gemachten Zulassungsgrund besteht, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz gestützt wird, der dargestellte Sachverhalt jedoch das Vorliegen eines Verfahrensmangels ergibt (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29. Juni 1977 V B 88.76, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 310, § 132 VwGO Nr. 154; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 55). Eine fehlerhafte Anwendung des § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO stellt einen Verfahrensmangel dar (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 5. August 2002 II B 60/01, BFH/NV 2002, 1605).
c) Die Vorentscheidung beruht auf einer fehlerhaften Anwendung des § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO. Das FG hat die Neuregelung in § 62 Abs. 3 Satz 6 FGO übersehen. Wie der Senat eingehend in seinem Urteil vom 11. Februar 2003 VII R 18/02 (BB 2003, 1267) dargelegt hat, darf hiernach bei dem Auftreten einer Person i.S. des § 3 Nr. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) als Bevollmächtigter eine Vollmacht unter Setzung einer Ausschlussfrist nur noch bei begründeten Zweifeln an der Bevollmächtigung angefordert werden. Die Bevollmächtigte des Klägers gehört zu dem von der Neuregelung in § 62 Abs. 3 Satz 6 FGO erfassten Personenkreis (§ 3 Nr. 3 StBerG). Es ist weder ersichtlich noch vom FG deutlich gemacht worden, warum dennoch Zweifel am Bestehen einer Vollmacht der Bevollmächtigten des Klägers bestanden haben sollten.
d) Die Klage ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Bevollmächtigte des Klägers die vom FG nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzte Ausschlussfrist zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens fruchtlos hat verstreichen lassen. Zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) kann ein bestimmter Klageantrag ausreichen, wenn sich der Sachverhalt, um den gestritten wird, in groben Zügen aus der Einspruchsentscheidung ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, m.w.N.). Denn bei der Auslegung einer beim FG erhobenen Klage sind sämtliche diesem und der Finanzbehörde erkennbaren Umstände tatsächlicher und rechtlicher Art zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile vom 12. Mai 1989 III R 132/85, BFHE 157, 296, BStBl II 1989, 846; vom 27. Juni 1996 IV R 61/95, BFH/NV 1997, 232).
Die Bevollmächtigte des Klägers hat in ihrer Klageschrift vom 21. Dezember 2001 einen bestimmten Klageantrag gestellt und dabei auf die ―dem Einspruchsbegehren teilweise abhelfende― Einspruchsentscheidung vom 5. Dezember 2001 Bezug genommen. Aus dieser Einspruchsentscheidung ergibt sich hinreichend deutlich, worum gestritten wird.
Fundstellen
Haufe-Index 958731 |
BFH/NV 2003, 1208 |