Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an Besetzungsrüge
Leitsatz (NV)
1. Ein Richterwechsel nach Vertagung einer mündlichen Verhandlung ist - anders als bei einer Unterbrechung der mündlichen Verhandlung - unschädlich.
2. Macht der Beschwerdeführer als Besetzungsrüge geltend, an den Terminen der mündlichen Verhandlung hätten unterschiedliche ehrenamtliche Richter teilgenommen, erfordert die schlüssige Darlegung des Mangels auch den Vortrag von Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass im zweiten Termin die nach dem ersten Termin unterbrochene Verhandlung lediglich fortgesetzt worden ist.
Normenkette
FGO §§ 103, 119 Nr. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
Thüringer FG (Urteil vom 01.12.2005; Aktenzeichen III 145/04) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine im Juni 1999 von D, ihrem Alleingesellschafter und Alleingeschäftsführer, gegründete GmbH; Unternehmensgegenstand war die Errichtung von Rohbauten. Nach einer Steuerfahndungsprüfung versagte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) der Klägerin im Umsatzsteuerbescheid für 1999 (Streitjahr) vom 6. Oktober 2003 den Vorsteuerabzug aus Rechnungen der I-Bau-GmbH, weil es sich hierbei um Scheinrechnungen handele, und erließ einen Lohnsteuerhaftungsbescheid gegen die Klägerin, weil diese und nicht die I-Bau-GmbH die Arbeitnehmer beschäftigt habe.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat im Wesentlichen die Auffassung, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass nicht die I-Bau-GmbH, sondern die Klägerin selbst unmittelbar die Leistungen an ihre Auftraggeber erbracht habe. Die Umsätze seien deshalb nicht der I-Bau-GmbH, sondern der Klägerin zuzurechnen. Das FA habe deshalb auch zu Recht den geltend gemachten Vorsteuerabzug aus den Rechnungen der I-Bau-GmbH nicht zugelassen. Die Arbeitnehmer, um deren Lohnsteuer es gehe, seien nur formal bei der I-Bau-GmbH beschäftigt gewesen.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen; hiergegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 FGO).
1. Die Klägerin rügt, das Gericht sei fehlerhaft besetzt gewesen. Es hätten zwei mündliche Verhandlungen stattgefunden, nämlich am 21. September 2005 und am 1. Dezember 2005. Ausweislich der beigefügten Niederschrift des FG hätten an der Verhandlung am 21. September 2005 die ehrenamtlichen Richterinnen R. und Dr. P. teilgenommen, während an der Verhandlung vom 1. Dezember 2005 die ehrenamtlichen Richter L. und M. teilgenommen hätten. Diese hätten sich deshalb kein persönliches Bild insbesondere über den Hauptzeugen N. machen können.
a) Nach § 119 Nr. 1 FGO ist ein wesentlicher Mangel die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts. Gemäß § 103 FGO kann das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung teilgenommen haben.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 12. September 2000 III R 56/99, BFH/NV 2001, 197; BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 30/81, BFHE 143, 117, BStBl II 1985, 305, 306, jeweils m.w.N.) bezieht sich das Tatbestandsmerkmal "dem Urteil zugrunde liegende Verhandlung", das nach § 103 FGO den gesetzlichen Richter bestimmt, nur auf die letzte mündliche Verhandlung, in der das Urteil ergangen ist. Daraus folgt, dass bei einer Verhandlung an mehreren Sitzungstagen ein Richterwechsel nach Vertagungeiner mündlichen Verhandlung unschädlich ist und zwar auch dann, wenn in dem früheren Verhandlungstermin eine Beweisaufnahme stattgefunden hat (BFH-Urteil vom 23. April 1996 VIII R 70/93, BFH/NV 1997, 31, m.w.N.). Etwas anderes gilt in der Regel bei einer bloßen Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, wenn sich ein und dieselbe mündliche Verhandlung über mehrere Verhandlungstage (Sitzungstage) hinzieht (vgl. hierzu BFH-Urteile in BFH/NV 1997, 31; vom 15. März 1977 VII R 122/73, BFHE 121, 392, BStBl II 1977, 431, 432; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 27 Rz. 5).
b) Wird als wesentlicher Mangel des Verfahrens i.S. von § 119 Nr. 1 FGO gerügt, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil an den Terminen zur mündlichen Verhandlung jeweils unterschiedliche ehrenamtliche Richter teilgenommen haben, gehört deshalb zur schlüssigen Darlegung dieser Verfahrensrüge auch die Darlegung konkreter Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass im zweiten Termin lediglich die nach dem ersten Termin unterbrochene mündliche Verhandlung fortgesetzt wurde (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 31; BFH-Beschluss vom 9. März 1994 II R 41/92, BFH/NV 1994, 880). Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Vielmehr ergibt sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 21. September 2005, dass das FG die Sache vertagt hat.
2. Auch der Vortrag, die ehrenamtlichen Richter hätten sich keinen unmittelbaren Eindruck von den Zeugen machen können, die am 21. September 2005 angehört worden seien, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.
a) Wird die Verletzung von Verfahrensvorschriften durch das FG geltend gemacht, auf deren Beachtung der Betroffene verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung --ZPO--), setzt deren schlüssige Rüge den Vortrag des Beschwerdeführers voraus, dass er den Verstoß in der Vorinstanz gerügt hat bzw. aus welchen entschuldbaren Gründen er an einer solchen Rüge vor dem FG gehindert gewesen ist.
b) Zu diesen Mängeln gehören auch die Vorschriften über die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (z.B. BFH-Beschlüsse vom 9. September 2005 I B 40/05, BFH/NV 2006, 101; vom 25. November 1992 II B 169/91, BFH/NV 1993, 258). Insoweit hätte die Klägerin vortragen müssen, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 1. Dezember 2005 das Unterlassen der Vernehmung der benannten Zeugen gerügt hat; das ist nicht geschehen und ergibt sich im Übrigen auch nicht aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung, in der ausweislich des Protokolls die Zeugenaussagen vom 21. September 2005 verlesen worden sind. Es ist auch nicht ersichtlich, warum der fachkundig vertretenen Klägerin eine solche Rüge nicht möglich gewesen sein soll.
3. Die Klägerin macht weiter geltend, die Entscheidungsgründe des FG widersprächen unter Berücksichtigung der Beweisaufnahme den Denkgesetzen und seien nicht von den festgestellten Tatsachen getragen; sie legt im Einzelnen dar, weshalb ihrer Auffassung nach das FG bei Berücksichtigung der Zeugenaussagen nicht zu dem Ergebnis hätte kommen dürfen, sie, die Klägerin, habe die streitigen Leistungen erbracht und die Arbeitnehmer seien tatsächlich bei der Klägerin angestellt gewesen.
Mit diesem Vortrag wird kein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO, insbesondere kein Verfahrensmangel dargelegt. Das gilt auch dann, wenn geltend gemacht wird, die Beweiswürdigung verstoße gegen Denkgesetze und allgemeine Verfahrenssätze. Denn ein Verstoß gegen Denkgesetze ("Grundsätze logischer und geordneter Denkweise"), auch wenn er sich auf die Würdigung von Tatsachen erstreckt, ist --wie Fehler in der Tatsachen- und Beweiswürdigung-- kein Verfahrensfehler, sondern ein materiell-rechtlicher Fehler, der nicht zur Zulassung der Revision führen kann (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Juni 2002 IX B 74/01, BFH/NV 2002, 1331; vom 6. März 2006 XI B 56/05, juris; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz. 248, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 1612030 |
BFH/NV 2006, 2293 |